Frauen in Führungspositionen

„Das Haupthemmnis sind hierarchische, männlich dominierte Führungsstrukturen“

Der Anteil von Frauen in den Führungsgremien der deutschen Wirtschaft steigt vor allem in Unternehmen, die unter die gesetzlichen Quotenregelungen fallen. Die Präsidentin der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) Anja Seng erläutert im Interview, warum der Wirkungsradius der Gesetze noch immer viel zu klein ist und woran es in Unternehmen hapert.

„Das Haupthemmnis sind hierarchische, männlich dominierte Führungsstrukturen“

Im Interview: Anja Seng

„Wir brauchen eine Ausweitung der Geschlechterquote“

Von Antje Kullrich, Düsseldorf

Vor einem Jahr ist Anja Seng als neue Präsidentin von FidAR - Frauen in den Aufsichtsräten angetreten. Die 2006 gegründete Initiative hat maßgeblich dazu beigetragen, dass gesetzliche Regelungen zur Diversität in Führungsetagen in Deutschland verankert wurden. Seng erläutert im Interview, warum der Wirkungsradius der Gesetze noch immer viel zu klein ist und woran es in Unternehmen hapert.

Frau Seng, wo stehen wir in Deutschland, was Frauen in Aufsichtsräten angeht?

Der Weg ist noch weit. Ja, wir haben Veränderungen, die sind auch sichtbar. Bei den Aufsichtsräten sind wir in Unternehmen, die unter die Geschlechterquote fallen, bei 37% Frauenanteil – jedoch auch nur hier. Es funktioniert dort, wo der gesetzliche Rahmen gilt. 101 Unternehmen fallen in Deutschland im Moment unter die Quote. Im Verhältnis zu der Summe von Unternehmen, die sich am Markt tummeln, ist das natürlich ein verschwindend geringer Anteil. Die Anzahl der Aufsichtsratspositionen ist damit überschaubar. Man kann feststellen: Die gesetzlichen Vorgaben konnten ohne Probleme erfüllt werden – die entsprechend qualifizierten Frauen gibt es.

Was fordern Sie jetzt?

Auf dem Weg zu Parität brauchen wir dringend eine Ausweitung der Geschlechterquote. Wir plädieren dafür, dass sie nicht nur für börsennotierte und voll mitbestimmte Unternehmen gilt, sondern für börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen. Das sind Unternehmen, für die auch die Pflicht gesetzlich gilt, Zielgrößen für den Anteil von Frauen in Vorstand, Aufsichtsrat und erste und zweite Führungsebene zu benennen. Das machen übrigens nicht alle, die das müssten. Viele Unternehmen scheinen nicht zu wissen, dass sie unter das Gesetz fallen. Eine Datenlage gibt es dazu bisher nicht, wir untersuchen das gerade.

Gibt es Sanktionsmöglichkeiten, wenn Unternehmen ihren Pflichten in dieser Hinsicht nicht nachkommen?

Die gibt es, sie werden bislang aber noch nicht umgesetzt. Die Handhabung wird zwischen den zuständigen Ministerien diskutiert. Es sind empfindliche Bußgelder möglich. Das ist mit der Verschärfung durch das Mindestbeteiligungsgesetz 2021 eingeführt worden. Zuvor gab es kaum Sanktionsmöglichkeiten in Bezug auf die Zielgrößenpflicht, die zudem keine Anwendung fanden.

Wie sieht es aus Ihrer Sicht in den Vorständen aus?

Als die gesetzliche Regelung mit dem Mindestbeteiligungsgebot 2021 da war, ging es sogar noch viel schneller als noch bei der Aufsichtsratsquote, die Vorgaben zu erfüllen. Bei mehr als drei Vorstandsmitgliedern muss bei börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mindestens eine Frau im Vorstand sein. Das hat keine eineinhalb Jahre gedauert, bis die unter das Gesetz fallenden Gesellschaften das umgesetzt hatten. Es sind allerdings nur 62 Unternehmen vom Mindestbeteiligungsgebot betroffen. Das ist natürlich viel zu wenig.

Warum setzt FidAR immer noch vor allem bei den Aufsichtsräten an?

Es muss sich von oben etwas verändern. Aufsichtsräte können viel bewegen, weil sie den Vorstand besetzen. Wenn dann von oben die weibliche Perspektive eingebracht wird, besteht auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich das nach unten durchzieht. Natürlich müssen wir auch über Arbeitszeit, Recruiting, Personalpipeline, Vereinbarkeit reden, aber wir müssen uns als von Ehrenamtlerinnen geführter Verein fokussieren.

Welche politischen Möglichkeiten sehen Sie derzeit, den Druck für mehr Frauen in Führungspositionen noch zu verstärken?

Es würde helfen, die EU-Führungspositionen-Richtlinie auch auf Deutschland anzuwenden. Die ist Ende vergangenen Jahres verabschiedet worden. Deutschland hat die Möglichkeit, von der sogenannten Aussetzungsklausel Gebrauch zu machen, weil es hierzulande schon gesetzliche Regelungen in dieser Richtung gibt. Aber: Die EU-Richtlinie spricht von 40% Geschlechterquote in den Aufsichtsräten bzw. 33% in Aufsichtsrat und Vorstand zusammen. Die Regelungen sind etwas schärfer und sie gelten für mehr Unternehmen. Das wäre ein guter Anknüpfungspunkt für eine Ausweitung der hiesigen Regelungen.

Sind Sie mit der EU-Richtlinie zufrieden?

Es war wichtig, dass mit der EU-weiten Regelung ein neuer Impuls gesetzt wurde. 40% ist schon gut. Parität ist das Ziel, aber Parität bedeutet nicht unbedingt rechnerisch genau 50%, sondern es geht um Ausgewogenheit.

Eine einzelne Frau, so sehr sie an der einen oder anderen Stelle auch gefeiert wird, läuft Gefahr, zu schnell mundtot gemacht zu werden.

Anja Seng, FidAR

Sie sagen, es hat sich bereits einiges verändert. Wo sehen Sie aktuell die größten Schwierigkeiten, Frauen in Führungspositionen zu bringen?

Die Hindernisse sind immer noch gesellschaftspolitisch in Deutschland – die klassischen Themen: gläserne Decke, unbewusste Vorurteile, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das Haupthemmnis sind hierarchische, männlich dominierte Führungsstrukturen. Wir haben das Netzwerk-Thema – Stichwort Ähnlichkeits-Recruiting. So etwas nachhaltig zu verändern ist gar nicht so leicht. Manche Frauen stehen in Aufsichtsräten auch ziemlich allein da, weil sie in den Gremien häufig noch die einzigen sind. Eine einzelne Frau, so sehr sie an der einen oder anderen Stelle auch gefeiert wird, läuft Gefahr, zu schnell mundtot gemacht zu werden. Wir brauchen mehr Durchdringung, deshalb sind 30, besser 40% Frauenanteil notwendig.

Unbewusste Vorurteile treffen übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer, wenn die sich entscheiden, sich für die Familie zu engagieren. Auch am Bildungssystem ist anzusetzen, um geschlechterspezifisch manifestierte Bildungs- und Ausbildungswege zu öffnen. Es gibt nach wie vor zu wenig und zu wenig gute Möglichkeiten, Kinder betreuen zu lassen – auch hier könnte schon deutlich früher mit dem Bildungsauftrag begonnen werden. Da sind andere Länder einfach weiter und besser. Das fängt schon bei der Qualifikation und Bezahlung von Erzieherinnen an.

Wie können die männlich dominierten Strukturen aufgebrochen werden?

Es gibt viele Ansätze – von Strukturen über Kultur und Prozessgestaltung. Der erste Schritt ist, Transparenz zu schaffen und sich klarzumachen: Wo stehen wir eigentlich? Und was wollen wir? Dann gibt es eine Menge praktischer Tipps: Um gegen unbewusste Vorurteile vorzugehen, helfen strukturierte Gesprächsleitfäden für Bewerbungsgespräche, um Bauchentscheidungen zu vermeiden – hier wären wir wieder beim Ähnlichkeits-Recruiting.

Es gibt inzwischen Unternehmen, die Stellen nur noch in Teilzeit ausschreiben, Vollzeit muss begründet werden. Es gibt Vergütungsstrukturen, die sich an Pipeline-Entwicklung orientieren und damit Anreize setzen. Dann wird es auch für männliche Führungskräfte relevant, Veränderungen mitzugestalten.

Man sollte sprachlich sensibel sein, denn damit prägen wir die Wirklichkeit. So schwierig gendergerechte Sprache auch sein mag, es lässt sich einfach trainieren und so gestalten, dass es gar nicht so kompliziert ist. Außerdem geht es nicht nur um das gesprochene Wort, sondern es geht um Texte und die Bildwelt. Wie trete ich als Unternehmen auf, welche Bilder und Farben nutze ich, wie spreche ich Menschen an?

Mentoring etablieren, interne und auch externe Netzwerke fördern und Vorbilder schaffen hilft auch enorm.

Welche Unternehmen fallen Ihnen als Vorbilder ein?

Mein persönliches Highlight ist aktuell die Üstra, ein Nahverkehrsanbieter in Hannover. Dort ist der dreiköpfige Vorstand rein weiblich. Würde er erweitert, müsste es übrigens ein Mann sein, denn die Üstra ist am regulierten Markt notiert und fällt somit unter das Mindestbeteiligungsgebot. Ein weiteres Beispiel für mich ist Pfeiffer Vacuum mit Britta Giesen als Vorstandsvorsitzender mit technischem Hintergrund und persönlichem Engagement für weiblichen Nachwuchs. Auch der Aufsichtsrat ist dort mit Ayla Busch weiblich geführt. Sanofi ist auch interessant. Die haben konsequent Zielsysteme eingeführt für Frauen in Führungspositionen, Entgeltsysteme sehr systematisch an Frauenförderung geknüpft und Netzwerkprogramme aufgesetzt. Ein länger zurückliegendes Beispiel ist Peter Terium, CEO von RWE. Er setzte intern ein 30%-Ziel für die Besetzung der Aufsichtsratspositionen in den Beteiligungsgesellschaften und baute dafür Programme für potenzielle Kandidatinnen auf – um sie inhaltlich vorzubereiten, ein Netzwerk zu etablieren und ihnen Sichtbarkeit zu geben. Das hat gut funktioniert, soweit ich es von außen beurteilen kann.

Britta Giesen, CEO Pfeiffer Vacuum

Sind eigentlich auch Männer Mitglied bei FidAR?

Ja, aber leider noch zu wenige. Wir sind zuletzt stark gewachsen und haben jetzt rund 1.400 Mitglieder, darunter eine zweistellige Zahl Männer. Wir hätten gerne mehr. Denn das, was wir letztendlich erreichen wollen, geht nur zusammen.

Die Initiative „Frauen in den Aufsichtsräten“ will die gesetzlichen Regeln zu Diversität in den Führungsetagen auf mehr Unternehmen ausdehnen

Das Interview führte Antje Kullrich.

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