Christophe Maire, Seed-Investor

„Das ist eine Revolution, die noch nicht angekommen ist“

Christophe Maire engagiert sich seit mehr als zehn Jahren als Seed-Investor. Im vergangenen Jahr hat der aus der Schweiz stammende Wahlberliner einen 100 Mill. Dollar schweren Fonds lanciert, mit dem er in eine Revolution der Lebensmittelproduktion investiert.

„Das ist eine Revolution, die noch nicht angekommen ist“

Von Stefan Paravicini, Berlin

„Ich möchte eigentlich lieber über unsere Portfoliounternehmen sprechen“, sagt Christophe Maire, Founding Partner der Berliner Early-Stage-Fonds Atlantic Labs und Foodlabs, gleich zu Beginn des Gesprächs mit der Börsen-Zeitung. Schließlich seien es die Gründer und die Ideen hinter Start-ups wie der Gastro-Bestellplattform Choco (Berlin), einem Hersteller von Käse aus dem Labor wie Formo (Berlin), Proteinen aus Lebensmittelabfällen von Mushlabs (Hamburg), Satellitentechnik von Vayma (München) oder Betriebssoftware für Industrieroboter von Wandelbots (Dresden), die für den Erfolg entscheidend sind. Atlantic Labs und Foodlabs stellten den Gründerteams eine „unterstützende Infrastruktur“ zur Verfügung, wie der gebürtige Schweizer betont. Doch allem helvetischen Understatement zum Trotz ist es in der Gründerszene niemandem entgangen, dass die „Infrastruktur“, die Maire mit seinen Fonds aufgebaut hat, für Start-ups und Gründerteams besonders wertvoll ist.

Maire ist einer der am höchsten dekorierten Frühphasen-Investoren in Europa. Das Online-Portal „Techcrunch“ hat ihn in den vergangenen Jahren zweimal zum „European Seed Investor of the Year“ gekürt. Mit Atlantic Labs investiert der „Superangel“ seit 2008 in Gründerteams und junge Firmen, die sich mit neuen Technologien rund um Themen wie Climate Tech, Mobility, Fintech, Digital Health oder Industrial Tech beschäftigen. Gerade hat Atlantic Labs den vierten Fonds an den Start gebracht. Der deutschsprachige Raum und Skandinavien stehen im Fokus. „Early Stage ist ein lokales Geschäft, man muss nahe an den Leuten dran sein“, erklärt Maire. Der dedizierte Themenfonds im Bereich Food und Nachhaltigkeit, mit dem er seit 2016 in die nächste Generation klimafreundlicher Nahrungsmittel investiert, nimmt trotzdem ganz Europa ins Visier. Vor knapp einem Jahr hat Maire unter der Flagge von Foodlabs den zweiten Fonds mit einem Volumen von 100 Mill. Dollar an den Start gebracht.

Das Startkapital für die Aktivitäten als Investor hat Maire 2006 mit dem Verkauf des von ihm mitgegründeten Berliner Navigationsdatenspezialisten Gate5 an Nokia eingesammelt. Nokia verkaufte diese Aktivitäten unter der Marke Here schließlich für knapp 3 Mrd. Euro an ein Konsortium deutscher Autohersteller. „Aus heutiger Sicht hätten wir eine viel größere Firma daraus machen können“, sagt Maire im Rückblick auf die Zeit als Gründer. „Sie haben den Netflix-Film ‚The Billion Dollar Code‘ über Google Earth gesehen? Ein Teil dieser Leute war in unserem Team, wir hatten im Kern die gleiche Technologie“, sagt Maire zum Potenzial von Gate5. Was damals an Unterstützung fehlte, will Maire anderen Gründern heute als Investor zur Verfügung stellen, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen.

Starke IP steht im Fokus

„Unser Fokus liegt auf Geschäftsmodellen mit starkem Intellectual Property (IP) und Mission-driven Gründern. Daran hat sich auch im aktuellen Marktumfeld nichts geändert“, sagt Maire zum Investmentansatz seiner Fonds. „Das Potenzial, das wir gerade in Deutschland mit Blick auf IP und Talente haben, wird weiterhin nicht genug ausgenutzt“, betont der Frühphasen-Investor. Atlantic Labs arbeite deshalb auch mit Spin-offs an Universitäten zusammen und finanziere Gründer, die erst noch den Nachweis erbringen müssen, dass sie aus ihrer Forschung ein Geschäftsmodell entwickeln können. So habe Atlantic Labs erst vor wenigen Wochen in das Climate-Tech-Start-up Tozero investiert, hinter dem zwei Forscherinnen stehen, die eine neue Methode zum Recycling von Batterien entwickelt haben. „Solche Finanzierungen machen wir regelmäßig.“ Eher ungewöhnlich sei dagegen ein Investment in ein kapitalintensives Geschäftsmodell wie den Berliner Express-Lieferdienst Gorillas, bei dem Foodlabs sehr früh mit dabei war.

„Bei der Mehrheit der Firmen beschäftigen wir uns mit Dingen, die nicht funktionieren“, sagt Maire über die Arbeit als Frühphasen-Investor. „Wir nehmen großes Risiko, bauen ein Portfolio von 40 Firmen pro Fonds auf und setzen darauf, dass zehn bis 15 davon allein den Fonds wieder einbringen“, beschreibt er das Geschäftsmodell. Dafür stellt der Investor in der Pre-Seed- und Seed-Phase nicht nur Kapital zur Verfügung. „Das ist wie bei Super Mario, man geht von einer Stufe auf die nächste und braucht unterschiedliche Fähigkeiten“, sagt Maire. Die „unterstützende Infrastruktur“ von Maires Fonds hilft Gründern auch dabei, die richtigen Fähigkeiten zu ergänzen. „Es geht sehr viel darum, das Team aufzubauen“, sagt er.

Zu den Investoren hinter den Fonds zählen Fund of Funds, Family Offices und ein Staatsfonds aus Asien. Bei Foodlabs sind auch familiengeführte Food-Unternehmen wie Bitburger an Bord, die sich neben finanziellen Returns Einblicke in neue Entwicklungen in ihren Märkten erhoffen. US-Adressen hat Maire derzeit nicht dabei. Über den Daumen sollen die Fonds etwa das Fünffache des eingesetzten Kapitals einspielen. „Wir sind darauf angewiesen, dass es Leute gibt, die nach uns investieren“, sagt Maire zur Rollenverteilung zwischen den Risikokapitalgebern in den unterschiedlichen Wachstumsphasen. „In den vergangenen Jahren haben wir große Fortschritte im Ökosystem gemacht“, sagt Maire über den Start-up-Standort Deutschland. Die Abhängigkeit von ausländischen Investoren sei vor allem in den früheren Phasen kleiner geworden. Entsprechend sei das Ökosystem auch unabhängig von der Konjunktur gesünder aufgestellt. Das Thema Unternehmertum sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, was sich auch an der Zahl der Ausgründungen an Universitäten niederschlage. „Insofern bin ich wirklich optimistisch, was die nächsten fünfzehn Jahre angeht“, sagt Maire.

Erst recht, wenn die Politik demnächst institutionelle Adressen wie Pensionskassen oder Stiftungen incentivieren würde, verstärkt in die Assetklasse zu investieren, wie das in der Start-up-Strategie der Bundesregierung formuliert ist. „Auf unserer Seite des Atlantiks ist es diesen institutionellen Investoren entweder nicht erlaubt, oder es wird nicht incentiviert.“ Dabei sei es für einen Pensionsfonds nur logisch, in die Innovationen zu investieren, die die Arbeitsplätze von morgen sichern. „Insofern ist das eine positive Entwicklung, aber wir sind hier noch am Anfang der Reise“, sagt Maire zu den Regierungsplänen. Der Stellenwert von Venture Capital werde allerdings immer noch nicht richtig wahrgenommen. „Ich habe schon mehrfach versucht, deutschen Politikern die extrem positive gesellschaftspolitische Rolle von Venture Capital zu erklären – allerdings ohne Erfolg“, sagt Maire. Risikokapital habe die Funktion eines Katalysators für Innovationen. „Wir geben Menschen Geld, die Talent, Mut und Visionen haben. Wir ermutigen sie, damit etwas ganz Neues zu machen. Wie sonst soll die Erneuerung der Wirtschaft stattfinden? Am Ende geht es um strategische Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit Europas.“

Bereits im nächsten Jahr will Maire mit Foodlabs den nächsten Fonds auflegen und die zuletzt eingesammelten 100 Mill. Dollar dabei noch übertreffen. „Wir wollen nicht groß wachsen und die Assets under Management optimieren“, sagt Maire. Die Chance im Food-Sektor sei aber noch größer, als er selbst erwartet hatte. „Das ist eine Revolution, die in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen ist, in zehn bis fünfzehn Jahren aber prägend sein wird“, sagt Maire über die Entwicklungen im Lebensmittelsektor. Die Lebensmittelproduktion müsse sich schon deshalb verändern, weil sie immense Auswirkungen auf das Klima habe. „Die Leute reden gerne über das Fliegen, die Ernährung ist aber von viel größerer Bedeutung.“

Insekten bleiben außen vor

Foodlabs investiert in Firmen wie Mushlabs, die Proteine aus der Fermentierung von Lebensmittelabfällen gewinnt. „Es geht um Nahrungsmittelsicherheit und die Nachhaltigkeit der Proteinproduktion.“ Ein anderes Portfoliounternehmen ist Formo, die Käse aus dem Labor verspricht. „Die Produkte sind beeindruckend im Geschmack und in der Textur“, sagt Maire, der als Schweizer gerade auch in Sachen Käse als Autorität gelten muss. Um die Adaptionsfähigkeit der Konsumenten macht er sich ohnehin keine Sorgen. „Die Produkte müssen gut schmecken und preiswert sein, dann verstehen die Verbraucher das auch.“ Doch nicht jede nachhaltige Proteinquelle hat den Investor überzeugt. „Insekten habe ich schon mehrfach zu Hause probiert, und dann haben wir am Ende kein Investment getätigt.“

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