"Das ist erst der Anfang der Defaults"

J.P.-Morgan-Banker Kevin Foley erwartet 2020 noch 15,7 Mrd. Euro an Zahlungsausfällen bei Unternehmensanleihen in Europa

"Das ist erst der Anfang der Defaults"

Trotz Coronakrise sind bisher nur 2,3 % der Unternehmensanleihen in Europa nicht zurückgezahlt worden. Doch J.P. Morgan erwartet noch deutlich mehr Ausfälle. Die Prognose der Investmentbank für das Jahr 2020 von 6 % entspricht 15,7 Mrd. Euro an erwarteten Zahlungsausfällen im Rest des Jahres.cru Frankfurt – Europa ist anders als die USA – das gilt auch bei der Unternehmensfinanzierung. Trotz der schweren Wirtschaftskrise haben europäische Unternehmen mit schlechten Kreditratings und gering eingeschätzter Bonität im Junk-Sektor die Kapitalmärkte weniger genutzt als ihre amerikanischen Pendants. “Die Märkte für Hochzinsanleihen aus dem Sub-Investment-Grade-Bereich entwickelten sich zu Beginn der Pandemie langsamer als in den USA”, sagte Kevin Foley, der neue Global Head of Debt Capital Markets der US-Investmentbank J.P. Morgan, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.”Europas High-Yield-Unternehmen bevorzugen normalerweise Bankkredite, weil sie billiger sind, und für die Dauer der Kreditlaufzeit lassen sich die Covenants auch immer wieder neu verhandeln”, sagt Foley, der vor kurzem auf den Spitzenposten bei der Investmentbank aufgerückt ist.Tatsächlich ist das Volumen der neu begebenen Hochzinsanleihen in Europa im Jahr 2020 bis jetzt nur um 6 % auf 29 Mrd. Euro gestiegen im Vergleich zum vergangenen Jahr. Unternehmen in Europa agierten zu Beginn von Covid-19 zunächst langsamer am Markt, und die Anzahl der Emissionen in Europa lag mit 52 unter dem Vergleichswert von 60 im Vorjahreszeitraum – während der High-Yield-Markt in den USA schon längst boomte. In Deutschland schrumpfte das Volumen der Hochzinsanleihen sogar: Es gab nur fünf Emissionen mit einem Gesamtvolumen von 2,8 Mrd. Euro nach neun Deals und 4,9 Mrd. Euro im Vorjahr.Zu den fünf Emittenten zählten der Stromableser Techem, die Arzneimittelfirma Cheplapharm, der Toilettenpapierhersteller Wepa, Stada und Synlab – meist ging es somit um nachträgliche Refinanzierungen von Milliardendeals der Private-Equity-Investoren. Enorme Liquidität aufgesaugtAnders sieht es hingegen bei den Unternehmen mit guter Bonität aus. Sie versorgten sich umfangreich und ausgiebig mit Liquidität – und das auf Rekordniveau: Das Volumen der High-Grade-Anleihen in Europa stieg im bisherigen Jahresverlauf sprunghaft um 38 % auf 375 Mrd. Euro an. In Deutschland waren es 50 Deals mit einem Volumen in Höhe von 64 Mrd. Euro. Zu den bisher größten Emittenten hierzulande gehörten bisher Siemens, Eon, Daimler, Deutsche Bank, Commerzbank, VW und BMW.”Wir wissen nicht, wie tief diese Rezession sein wird und wie lange sie andauert, deshalb ergreifen die Unternehmen jetzt Maßnahmen, um sicherzustellen, dass sie über genügend Liquidität verfügen, um den Sturm zu überstehen”, sagt Foley. “Sie evaluieren jede Kapitalquelle, und die Märkte sind sehr empfänglich für Emittenten.” Die Unternehmen seien sich bewusst, dass sich die Marktstimmung schnell ändern könne, deshalb müssten sie davon profitieren, solange der Marktappetit stark sei.”Die Märkte öffneten sich zunächst nur für High-Grade-Emittenten, haben sich aber inzwischen vollständig auf den Markt unterhalb des Investment-Grade-Bereichs ausgeweitet”, beobachtet Foley. “Wichtig ist, dass der Markt für Emittenten, die direkt von der Covid-Krise betroffen sind, die Bereitschaft gezeigt hat, das Risiko zu bepreisen. Wir hatten Emissionen unter anderem in den stark von der Krise betroffenen Bereichen Reisen, Energie, Unterhaltung und Automobil. In diesem Jahr gab es rund 200 Mrd. Dollar an Emissionen für sogenannte ,Fallen Angels’, und der High-Yield-Markt hat diese Papiere absorbiert und in der Tat Appetit auf mehr gezeigt”, sagt Foley. Das hätten die Emissionen der Krisenunternehmen Ford, Delta und Carnival belegt.Unter anderem wegen der staatlichen Hilfsprogramme zahlen auch die Unternehmen schlechter Bonität bisher ihre Schulden zurück. Im vergangenen Jahr sind in Europa insgesamt 4,6 Mrd. Euro an Anleihen ausgefallen, was einer Ausfallrate von 1,5 % entspricht – gegenüber nur 1,3 % im April 2020 auf dem Höhepunkt der Coronakrise. In den letzten drei Monaten betrug die Ausfallrate lediglich 2,3 % – ebenfalls kein besonders hoher Wert. “Doch das ist erst der Anfang der Defaults”, warnt Foley. J.P. Morgan erwartet noch deutlich mehr Ausfälle. Die Prognose der Investmentbank für das gesamte Jahr 2020 von 6 % entspricht weiteren 15,7 Mrd. Euro an erwarteten Zahlungsausfällen im Rest des Jahres. Dies würde eine abrupte Belebung der Wirtschaftstätigkeit voraussetzen. “Eine Ausfallrate von 6 % müsste angesichts der Schärfe des wirtschaftlichen Rückgangs in der ersten Jahreshälfte als positives Ergebnis gewertet werden”, warnt Foley.Es gibt indes auch gute Nachrichten für Anleiheinvestoren: Der Umfang der verzögert oder nur teilweise bedienten Schulden (Distressed Debt) nimmt nach Angaben von Foley weiter ab und hat sich seit dem Höchststand im Jahr 2020 ungefähr halbiert. Der Anteil der Anleihen, die unter dem Niveau von 1 000 Basispunkten des Nennwerts, also unter 100 % des Nennwerts, gehandelt werden, liegt jetzt bei 14 %, gegenüber 26 % Ende März.