Das Milliardenrisiko in den Firmenbilanzen

Dax-30-Werte bringen es auf Goodwill von 263 Mrd. Euro - Globaler Standardsetzer IASB will Werthaltigkeitstest verbessern

Das Milliardenrisiko in den Firmenbilanzen

Seit Jahren steigen die Preise bei Firmenübernahmen. In der Folge blähen sich die Goodwill-Positionen in den Bilanzen auf. Allein im Dax 30 summierten sich die Firmenwerte 2018 auf 263 Mrd. Euro. Gerade im konjunkturellen Abschwung droht die Goodwill-Blase zu platzen. Von der Rückkehr zur planmäßigen Abschreibung will der globale Standardsetzer jedoch nichts wissen. Stattdessen soll die Aussagekraft der Werthaltigkeitstests gestärkt werden. Von Annette Becker, DüsseldorfWenn die Wirtschaftsprüfer in diesen Wochen mit ihren Kunden, den bilanzierenden Unternehmen, zusammensitzen, dürften hitzige Debatten programmiert sein. Denn die mindestens einmal jährlich fällig werdenden Werthaltigkeitstests sind in der Abschlussprüfung inzwischen zu einem Schwerpunkt geworden. Nicht ganz zufällig, schwellen die Goodwill-Positionen in den Bilanzen doch seit Jahren an. Weltweit beläuft sich ihr Wert inzwischen auf mehr als 7 000 Mrd. Dollar, in Deutschland wiesen die Dax-30-Unternehmen 2018 zusammen Firmenwerte von 263 Mrd. Euro aus, Tendenz steigend. Zum Zuwachs 2018 trug allein Bayer mit 24,5 Mrd. Euro im Gefolge der Monsanto-Übernahme bei. Dabei ging beinahe unter, dass die Leverkusener parallel zu dem Zugang auch ein milliardenschweres Impairment auf den Goodwill des 2014 von Merck & Co erworbenen Geschäfts mit rezeptfreien Medikamenten vorgenommen hatten.Entsteht der Goodwill-Posten zunächst im Zuge einer Akquisition als Restgröße des Kaufpreises, der nicht anderen Vermögensposten zugeordnet werden kann, erweist er sich als überaus hartnäckig. Denn seit 2005 ist es Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren, verboten, den Bilanzposten planmäßig abzuschreiben. Stattdessen muss mindestens einmal jährlich ein Test zur Prüfung der Werthaltigkeit durchgeführt werden. Nur wenn sich nachweislich eine Abweichung nach unten vom Nutzungswert ergibt, muss der Wert außerplanmäßig korrigiert werden. Dass das Management wenig Interesse an ergebnis- und eigenkapitalmindernden Abschreibungen hat, versteht sich von selbst; zumal Impairments auch als Beleg für überteuerte Firmenübernahmen gelten. Großer ErmessensspielraumIm Impairment-Test wird aber nicht die Werthaltigkeit des Goodwill überprüft, sondern der Wert der zahlungsmittelgenerierenden Einheit, dem der Goodwill zugeordnet ist. Das hört sich nicht nur kompliziert und komplex an, sondern ist es in der Praxis auch. Während die Unternehmen die zahlungsmittelgenerierenden Einheiten in der Regel großzügig schneidern, wären im Sinne der Transparenz und Detailgenauigkeit kleinere Einheiten wünschenswert. Die Abgrenzung ist schwierig und bietet dem Management viel Gestaltungsfreiheit. Die maximal größte Einheit, der Goodwill zugeordnet werden darf, ist das Segment.Auch bei der Ermittlung des Nutzungswerts der zahlungsmittelgenerierenden Einheit ist der Ermessensspielraum groß, sind doch zahlreiche Annahmen über die künftige Entwicklung zu treffen. Dem Wirtschaftsprüfer ist es zwar anheimgestellt, ob er die schwerlich objektivierbaren Annahmen lediglich verifiziert oder selbst einen Impairment-Test durchführt. Klar ist aber auch, dass der Bilanzierende in der Regel über die besseren Branchenkenntnisse verfügt.War der globale Standardsetzer, der International Accounting Standards Board (IASB), ursprünglich davon ausgegangen, dass der Goodwill über Impairments im Laufe der Zeit abgebaut wird, sieht die Praxis anders aus. Goodwill verschwindet heute nur noch aus der Bilanz, wenn Wirtschaftsprüfer zum Impairment zwingen oder Goodwill-tragende Einheiten verkauft werden. So hat RWE 2018 beispielsweise im Vorgriff auf den Verkauf des Netz- und Vertriebsgeschäfts an Eon knapp 10 Mrd. Euro an Firmenwerten aus der Bilanz genommen. Der Posten wurde in die zur Veräußerung vorgesehenen Vermögenswerte verschoben.Problematisch ist, dass Impairments meist zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt kommen. Denn der Nutzungswert ist der Barwert der künftigen Cash-flows, und diese verringern sich, wenn Geschäfte in schwieriges Fahrwasser geraten. Dann lassen sich Impairments oftmals nicht mehr vermeiden und verschärfen die Krise. Insbesondere für Unternehmen mit ohnehin schwachem Eigenkapitalpolster kann das zum Problem werden. Bei Thyssenkrupp beispielsweise belief sich der Goodwill per Ende September mit knapp 4 Mrd. Euro auf fast das Doppelte des Eigenkapitals. Prozyklische WirkungWohl nicht ganz zu Unrecht wird befürchtet, dass die Goodwill-Blase im konjunkturellen Abschwung platzt und damit prozyklische Wirkung entfaltet. Nach Einschätzung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft geht von der geltenden Goodwill-Bilanzierung nach IFRS eine Gefahr für die globale Finanzstabilität aus. Gleichwohl ist es im Gefolge der Finanzkrise nicht zu der befürchteten Abschreibungswelle gekommen. Das lag allerdings auch daran, dass die Zentralbanken parallel die Zinsen nach unten schleusten, so dass die Nutzungswerte dank gesunkener Diskontierungsfaktoren stabilisiert wurden. IDW skeptischDie 2018 aufgekommene Hoffnung, der IASB könne zur planmäßigen Abschreibung zurückkehren, ist inzwischen jedoch zerstoben. Mit acht zu sechs Stimmen sprach sich der IASB im vorigen Sommer gegen eine offene Diskussion über die Rückkehr zur planmäßigen Abschreibung aus. Stattdessen wird nun am Impairment-only-Ansatz herumgedoktert, um die Praktikabilität, die Effektivität und die Verlässlichkeit zu verbessern und somit das Vertrauen in die Aussagekraft der Werthaltigkeitsprüfung zu stärken. Ein Konsultationspapier mit Änderungsvorschlägen will der IASB im Februar zur Diskussion stellen.”Das IDW begrüßt die Bemühungen des IASB und wird sich konstruktiv in den Konsultationsprozess einbringen”, übt sich Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), in Diplomatie. Vom Tisch ist die Diskussion um die Rückkehr zur planmäßigen Abschreibung von Goodwill damit allerdings nicht. “Sollte es dem Board auf diesem Weg jedoch nicht gelingen, die Werthaltigkeitsprüfung von Goodwill signifikant zu verbessern, erscheint es unseres Erachtens sinnvoll, eine planmäßige Abschreibung in Verbindung mit einer anlassbezogenen Werthaltigkeitsprüfung wieder in Betracht zu ziehen.”Befürworter des Impairment-only-Ansatzes halten dagegen, dass planmäßige Abschreibungen realitätsfern und vergangenheitsbezogen sind. Schon allein die Bestimmung des Abschreibungszeitraums – bis 2004 wurde Goodwill planmäßig über zehn Jahre abgeschrieben – sei willkürlich. Dass steigende Goodwills nicht notwendigerweise mit einer Verschlechterung der Bilanzrelationen einhergehen müssen, zeigt Fresenius. Hatten die Firmenwerte des Gesundheitskonzerns 2014 noch einen Anteil am Eigenkapital von 126 %, belief sich der Anteil zuletzt auf immer noch hohe 103 %. Dahinter standen weder eine größere Eigenkapitalzufuhr noch milliardenschwere Impairments. Im Gegenteil: Der bilanzierte Goodwill stieg ausgehend von 20 Mrd. Euro im Jahr 2014 auf 25,7 Mrd. Euro im Geschäftsjahr 2018. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich jedoch die Gewinnrücklage von 5,9 Mrd. auf 11,3 Mrd. Euro.