GASTBEITRAG

Das Null-Zins-Paradox: Es wird verhalten investiert

Börsen-Zeitung, 3.7.2015 Ungeachtet staatlicher Programme und niedriger Zinsen investieren Deutschlands Unternehmen nur verhalten. Neben der Unsicherheit über die künftigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat dies auch...

Das Null-Zins-Paradox: Es wird verhalten investiert

Ungeachtet staatlicher Programme und niedriger Zinsen investieren Deutschlands Unternehmen nur verhalten. Neben der Unsicherheit über die künftigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat dies auch hausgemachte Gründe. Zu hohe Renditeerwartungen und Risikopuffer können langfristig sinnvolle Investitionen verhindern.Die derzeit robuste Verfassung der größten europäischen Volkswirtschaft darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Liquiditätsschwemme der EZB der anhaltenden Investitionszurückhaltung der deutschen Unternehmen bislang nicht entgegenwirken konnte. Während zahlreiche Privatpersonen das historisch niedrige Zinsniveau für den Erwerb von Eigenheimen nutzen, verwenden Unternehmen ihre Gewinne bevorzugt für den Schuldenabbau, großzügige Dividendenausschüttungen oder den Rückkauf eigener Aktien.In den USA haben die S & P-500-Unternehmen für das Jahr 2014 bis zu 95 % ihrer Gewinne ausgeschüttet. Für Investitionen in künftiges Wachstum bleibt da nur wenig übrig. Dabei zeigen Bain-Analysen, dass operatives Wachstum über zehn Jahre hinweg rund 75 % zur Wertsteigerung von Unternehmen beiträgt. Aktienrückkaufprogramme wirken hingegen nur kurzfristig. Schwieriges UmfeldEin Grund für die Investitionszurückhaltung der Unternehmen ist – wenig überraschend – das makroökonomische Umfeld mit der schwelenden Ukraine-Krise, dem Vormarsch des Islamischen Staates, dem griechischen Schuldendrama oder den gedrosselten Wachstumsaussichten in China. Darüber hinaus nutzen die politischen Entscheider die von der EZB teuer erkaufte Zeit nicht für die dringend nötigen Strukturreformen und die Schaffung investitionsfreundlicher Rahmenbedingungen. Diese sind abseits aller staatlichen Konjunkturprogramme die Voraussetzung schlechthin für ein nachhaltiges Wachstumsklima.Doch in wichtigen EU-Mitgliedstaaten sind die Strukturreformen nach wie vor zögerlich. Das stimmt ebenso wenig optimistisch wie das Zurückrudern der deutschen Regierung bei der Reformagenda hinsichtlich Renteneintrittsalter und Mindestlohn. Bei vielen Kernthemen wie Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme, Verbesserung des allgemeinen Bildungs- und Ausbildungsniveaus, Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und effiziente Umsetzung der Energiewende hat Deutschland noch einen weiten Weg zu gehen. Die zügige Ratifizierung des TTIP-Abkommens könnte ebenfalls ein wichtiges Signal senden. Mehr wäre nötigDiese externen Faktoren erklären die Investitionszurückhaltung jedoch nur teilweise. Hinzu kommen interne Ursachen. Die Hürden für die Rentabilität von Investitionen sind in vielen Unternehmen sehr hoch – mancherorts zu hoch.Generell spielen bei Investitionsentscheidungen vor allem drei Parameter eine Rolle: die erwarteten Rückflüsse, die Kosten für das eingesetzte Kapital und ein Risikopuffer. Die erwarteten Rückflüsse hängen im Wesentlichen von den Einschätzungen der zukünftigen Marktentwicklung und der eigenen Wettbewerbsposition ab.Bei aller Skepsis über das aktuelle Umfeld dürfen die Unternehmen dabei eines nicht vergessen: Die Weltwirtschaft ist und bleibt auf Wachstumskurs. Bis 2020 wird laut Bain-Prognose das weltweite Bruttoinlandsprodukt um voraussichtlich 20 % auf 90 Bill. Dollar steigen.Wesentliche Treiber sind der Aufstieg einer weiteren Milliarde Menschen in die Mittelschicht, die wachsende Nachfrage nach Gesundheits- und Bildungsangeboten, die alternde Infrastruktur in den Industrieländern sowie der Durchbruch immer neuer Technologien. Wollen Unternehmen an diesem Wachstum partizipieren, müssen sie investieren – in organisches und anorganisches Wachstum. Gerade der positive Effekt von Akquisitionen wird häufig unterschätzt. Einer Bain-Studie zufolge erzielen im M & A-Geschäft aktive Unternehmen im Durchschnitt eine Aktienrendite von 4,8 %. Inaktive Unternehmen müssen sich mit 3,3 % begnügen. Hemmschuh RenditeNeben den oft konservativ eingeschätzten Rückflüssen erweisen sich auch die beiden anderen Faktoren als Hemmschuh für Investitionen. Die typische Renditeerwartung von Unternehmen liegt derzeit bei rund 12 %. Davon entfallen 8 % auf die Kapitalkosten und 4 % auf den Risikopuffer.Mit Blick auf die Kapitalkosten wird klar, warum die Anstrengungen von Zentralbanken und Politik im Sand verlaufen. Denn der entscheidende Maßstab sind zunächst nicht die Leitzinsen der Zentralbanken, sondern die Renditeforderungen der Eigenkapitalgeber. Deren Ansprüche sind nicht zuletzt angesichts der von den Zentralbanken befeuerten Hausse an den Aktienmärkten in den vergangenen Jahren eher gestiegen als gesunken.Und auch auf das heutige Niedrigzinsniveau ist angesichts der absehbaren Zinswende kein Verlass. Es wäre fatal, würden sich Unternehmen auf dieser Basis Investitionen durch einen hohen Fremdkapitaleinsatz schönrechnen. Sie sollten vielmehr mit langfristig realistischen Zinssätzen kalkulieren. Ob sich daraus allerdings Kapitalkosten von durchschnittlich 8 % ergeben, scheint fraglich. Gleiches gilt für die Höhe des Risikopuffers. Dieser ist insbesondere dann zu überprüfen, wenn bereits konservative Annahmen zu den Investitionsrückflüssen getroffen wurden. Zu pessimistisch?Deutsche Unternehmen müssen sich daher fragen, ob sie Chancen und Risiken in einem ausgewogenen Verhältnis bewerten und nicht zu pessimistisch in die Zukunft schauen. Sie laufen Gefahr, durch zu geringe Investitionen Wachstumschancen zu verpassen. Daher sollten sie den internen Hürden für Investitionsentscheidungen auf den Grund gehen – allen voran ihren Erwartungen an Kapitalkosten und Risikopuffer.Kurzfristige Anreizprogramme von Politik und Zentralbanken können der Investitionszurückhaltung nicht nachhaltig entgegenwirken. Vielmehr sollte die Politik alles daransetzen, investitionsfreundliche und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.—-Wilhelm Schmundt, Partner Bain & Company