Das Vorstandsbüro als gründerfreie Zone

Nur zwei aktuelle Chefs von Dax-Unternehmen haben eigene unternehmerische Erfahrung gesammelt

Das Vorstandsbüro als gründerfreie Zone

Von Stefan Paravicini, FrankfurtJunge Unternehmensgründer haben als Rollenmodell der Managerkaste derzeit Hochkonjunktur. Jede arrivierte Führungskraft, die etwas auf sich und ihr Unternehmen hält, möchte den Unternehmergeist und die möglichst disruptive Innovationsfreude der neuen Gründergeneration in die eigene Firma holen. In Scharen werfen die Unternehmenslenker deshalb ihren Schlips in die Ecke, machen Büros in Berlin, Tel Aviv und im Silicon Valley auf, in denen noch vor dem Schreibtisch eine gemütliche Couch stehen muss, und mixen sich zum Lunch einen Smoothie, um den Geschmack der Start-up-Gemeinde zu treffen.Dass der eine oder andere Annäherungsversuch großer Konzerne an die Gründerszene recht unbeholfen wirkt, könnte auch damit zu tun haben, dass die meisten Manager, die heute an der Spitze der Blue Chips stehen, keine eigenen Erfahrungen als Gründer oder Unternehmer gemacht haben. Das hat eine Auswertung der Biografien von Unternehmenslenkern aus dem Dax 30, Dow Jones und Nasdaq durch die Personalberatung Korn Ferry ergeben. Nur zwei der heutigen Chefs von Unternehmen aus dem Dax 30 haben sich demnach vor dem Start ihrer Karriere im Management von Großkonzernen selbst als Unternehmer betätigt. Der scheidende Adidas-Chef Herbert Hainer gründete nach dem Studium zunächst eine Bar, bevor er bei Procter & Gamble startete. Bill McDermott, CEO des Softwarekonzerns SAP, übernahm als Schüler den Delikatessenladen, für den er zuvor gejobbt hatte, und finanzierte sich mit den Einkünften daraus das Studium, bevor er mit Anfang 20 bei Xerox anheuerte. Ein größeres Unternehmen haben jedoch auch diese beiden Dax-Chefs mit Gründergeist nicht aufgebaut.Die Chefbüros der weiteren Dax-Konzerne sind derzeit gründerfreie Zonen. “Wer heute CEO eines gelisteten Großunternehmens ist, der hat seine Karriere in der Linie und im Anschluss im angestellten Management verbracht”, sagt Hubertus Graf Douglas, Geschäftsführer von Korn Ferry in Deutschland. Das gilt laut Korn Ferry auch für die CEOs der im Dow Jones Index geführten Unternehmen. Unter den Konzernlenkern im Technologiewerteindex Nasdaq 100 sieht es besser aus. Immerhin fast jeder dritte Chef hat hier sein eigenes Unternehmen gegründet.Neun der 29 Gründerpersönlichkeiten aus dem Nasdaq 100 sind unmittelbar im Software-, Internet- und IT-Umfeld zu verorten. “Die Eintrittsbarrieren in diesen Markt sind noch vergleichsweise gering, weil für die Umsetzung einer originären Idee zunächst nur wenig Kapital notwendig ist”, sagt Alexander Wink, Leiter der Digital-Sparte von Korn Ferry in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika. “Sie brauchen vor allem helle Köpfe, keine Maschinenparks oder teure Prototypen. Firmen wie Amazon, Facebook und Google, aber auch Autodesk und Activision Blizzard zeigen, dass Erfolgsgeschichten noch immer im Wohnzimmer starten können.”Manche CEOs haben vor ihrer Gründung bereits als Angestellte gearbeitet, dann als Unternehmer und heute wieder als angestellte Manager. So etwa Shantanu Narayen, CEO von Adobe, der nach diversen Managerfunktionen zunächst ein eigenes Unternehmen gegründet hat, bevor er zu Adobe gewechselt ist. “Solche Karrieren, die einen Wechsel zwischen Angestelltsein und dem Agieren als Unternehmer kombinieren, gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht”, stellt Hubertus Graf Douglas fest. “Ich prognostiziere jedoch: In 20 Jahren wird das ganz anders aussehen, wenn die heute junge Generation die Chefreife erreicht hat.” René Obermann als VorbildDann werde eine Generation ans Ruder kommen, die über eine “hohe Lernagilität” verfüge und am eigenen Leib erfahren habe, was es heißt, Risiken einzugehen und mit ihnen umzugehen. Denn viele junge Menschen sähen ihre Karriereperspektiven heute nicht mehr in den etablierten Konzernen, sondern als Gründer eines eigenen Unternehmens. René Obermann als Studienabbrecher, ehemaliger Unternehmer und späterer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom stelle eine frühe Ausnahmeerscheinung dieses Managertypus dar. “Chefs mit unternehmerischer Erfahrung würden auch heute schon vielen Konzernen guttun”, sagt Wink.