„Das wäre ein kräftiger Schub“
Von Detlef Fechtner, Frankfurt
Die europäischen Gesetzgeber stellen Anfang nächsten Jahres die Weichen für die Zukunft des Güter- und Frachtverkehrs. „Im ersten Quartal 2023 stehen in Brüssel gleich eine ganze Reihe von Entscheidungen an, die spielentscheidend sind für die Zukunft des kombinierten Verkehrs“, sagt Ralf-Charley Schultze, der Präsident der Internationalen Vereinigung für den Kombinierten Verkehr Schiene-Straße (UIRR), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
UIRR ist kein Bahnverband, sondern steht in der Mitte der logistischen Kette. „Unsere Mitglieder sind die Operateure des kombinierten Verkehrs und die Betreiber der Terminals“, erläutert Schultze. Dabei sind die Operateure diejenigen, die ganze Züge bei Eisenbahnunternehmen kaufen und die Slots an Spediteure verkaufen. Die Vereinigung vertrete mehr als 50% des intermodalen Verkehrs.
Einbeziehung externer Kosten
Der UIRR-Präsident verweist erstens auf die EU-Richtlinie für den kombinierten Verkehr, die auf der politischen Agenda steht. Dabei gehe es um Vorgaben und Anreize, um bis 2050 faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern zu schaffen, also ein sogenanntes Level Playing Field – etwa durch Einbeziehung der externen Kosten. „Unser Verband“, so unterstreicht Schultze, „wünscht sich vor allem eine einfache, transparente Lösung.“
Zweitens befassen sich die Gesetzgeber mit der EU-Richtlinie über Maße und Gewichte. „Wir plädieren dafür, dass 40 Tonnen das Maximum sein sollte für grenzüberschreitende Verkehre, allein schon wegen der Belastung für die Infrastruktur, etwa Brücken“, betont Schultze. Der Straßengüterverkehr setze sich indes mit dem Argument der Effizienzsteigerung für 44 Tonnen ein.
Drittens werden sich EU-Parlament und EU-Ministerrat Anfang kommenden Jahres auch mit den Railfreight-Korridoren befassen, also den Schienengüterverkehrskorridoren. „Eines der Probleme: Mit dem Lkw fahre ich einfach so über die Grenze. Bei Güterzügen muss ich beim Grenzübertritt oft noch den Lokführer wechseln oder sogar die Lok. Das muss durchgängiger werden“, fordert der UIRR-Vertreter.
Viertens schließlich sei eine Verordnung zur mengenmäßigen Erhebung der Schadstoffe (Count Emission) in Vorbereitung. Alles zusammen soll zu einem Greening-Freight-Paket verbunden werden. „Wenn dieses Paket richtig konzipiert wird, würde das den kombinierten Verkehr sehr unterstützen. Das wäre ein kräftiger Schub“, ist Schultze überzeugt.
Kompatible Ladeeinheiten
Die Vereinigung argumentiert, der kombinierte Verkehr sei effizient, weil es einen Bündelungseffekt gebe. Bei den kurzen Distanzen werde auch in Zukunft der Lkw gebraucht – im Vor- und Nachlauf. Aber auf langen Distanzen stünden Alternativen zur Verfügung, die nachhaltiger seien. „Der kombinierte Verkehr ist erst dann vorteilhaft, wenn ich Straße und Schiene effizient verknüpfe“, sagt Schultze. Es reiche nicht, „Lkw grüner zu machen“. Wichtig sei, dass die Ladeeinheiten mit den anderen Verkehrsträgern kompatibel bleiben. Es gehe daher um Harmonisierung und Standardisierung.
Kombinierter Verkehr wächst
Im vergangenen Jahr, so berichtet Schultze, sei der kombinierte Verkehr, gemessen an den Tonnenkilometern, um fast 11% gewachsen. In diesem Tempo wären die Ziele der EU rechnerisch erreichbar, denn die EU strebt eine Verdoppelung des Schienengüterverkehrs bis 2050 an. Das entspricht einer Verdreifachung des kombinierten Verkehrs, was wiederum jährlichen Wachstumsraten von 8 bis 9% entsprechen würde.
„In den EU-Mitgliedstaaten gibt es, historisch gewachsen, unterschiedliche Stromsysteme, Signalsysteme und Sicherheitssysteme, teilweise sogar andere Spurbreiten – aber das alles kann gelöst werden“, ist der UIRR-Präsident überzeugt. In puncto Interoperabilität mache die EU, unterstützt durch digitale Lösungen, „riesige Fortschritte“. Aber die Infrastruktur und die Energieversorgung stellten den kombinierten Verkehr vor bedeutende Probleme. „Das Netz ist problematisch, weil 30 Jahre lang kaum in die Infrastruktur investiert wurde und man nun alles auf einmal machen will.“ Das führe dazu, dass bestimmte Linien blockiert würden und Züge stehenbleiben müssten.
„Die Schiene ist wettbewerbsfähig, wenn sie Pünktlichkeit gewährleisten kann“, erklärt Schultze. Derzeit müsse sich der Schienengüterverkehr die Kapazitäten nicht allein mit dem Personenverkehr teilen, sondern auch mit den Baustellen. Hier seien kreative Kompromisse gefragt, zum Beispiel durch den Einsatz von Schienenersatzverkehr auf Linien, die im Personenverkehr nicht so intensiv genutzt werden. Denn dadurch würden Trassen für den Güterverkehr frei. Solche Optionen bestehen in sehr kleinem Rahmen heute schon für nicht ausgelastete Strecken. „Denn es ist einfacher, Fahrgäste in einen Bus umsteigen zu lassen, als Container umzuleiten.“ Die Politik habe jüngst den Energie- und Kohlezügen, den sogenannten „Enko“-Zügen, Priorität eingeräumt. Die Frage sei, warum es nicht gelinge, den Intermodalverkehr ebenfalls zu priorisieren.
Auf den Straßengüterverkehr kommen nach Einschätzung des UIRR-Präsidenten große Herausforderungen zu, etwa der Mangel an Fahrern. Das durchschnittliche Alter der Lkw-Fahrer betrage in Deutschland derzeit 59 Jahre. „Da muss ein Umdenken stattfinden.“