Der gelähmte Vorstand von Audi
Von Stefan Kroneck, MünchenAls vor einem Jahr der Audi-Aufsichtsrat vier der sieben Vorstände mit VW-Managern austauschte, sollte das einen Neubeginn symbolisieren für die von der Dieselbetrugsaffäre durchgerüttelte Volkswagen-Tochter. Der damalige VW-Chef Matthias Müller, zugleich Chefaufseher von Audi, frohlockte, dass das “neue Team” die “Transformation” des Unternehmens “konsequent” vorantreiben werde. Vorstandsvorsitzender Rupert Stadler, der auf seinem Posten bleiben durfte, sprach seinerzeit davon, “die Weichen für die Zukunft” gestellt zu haben.Zwölf Monate danach hat sich die Welt des BMW-Rivalen aus Ingolstadt radikal verändert. Im April beerbte der frühere BMW-Topmanager Herbert Diess den von der Aufarbeitung des Dieselabgasskandals amtsmüde gewordenen Müller. Stadler sitzt derweil seit fast drei Monaten wegen Dieselgate in Untersuchungshaft. Seine Vorhersage auf der Bilanzpressekonferenz im März, dass “die Dieselkrise noch nicht abgeschlossen” sei, bekommt damit für ihn persönlich eine ganz neue Bedeutung (vgl. BZ vom 16. März).Seit der Inhaftierung des langjährigen CEO führt der erst im September 2017 in den Vorstand geholte Vertriebsmanager Bram Schot den Audi-Konzern. Für die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch gilt der Niederländer nur als Zwischenlösung, versäumten sie es doch, für den zuvor schon angeschlagenen Stadler rechtzeitig einen geeigneten Nachfolger zu finden. Ihre Strategie, den zuletzt umstrittenen CEO so lange wie möglich zu halten, verfing. Eine geordnete Machtübergabe entfiel.Nach den Plänen des Wolfsburger Mutterkonzerns soll nun BMW-Vorstandsmitglied Markus Duesmann, den sein früherer Weggefährte Diess in den VW-Vorstand holen will, auf absehbare Zeit bei Audi das Ruder übernehmen. In dieser Konstellation fällt es Schot schwer, in dem über 60 000 Mitarbeiter umfassenden Unternehmen für Aufbruchstimmung zu sorgen, ist er doch nur ein Chef auf Abruf. Die Unklarheit über die Führungsspitze dauert an. Dieselbetrug überschattetIn diesem Zusammenhang kommt für Audi erschwerend hinzu, dass BMW-Aufsichtsratschef Norbert Reithofer den Einkaufsvorstand, der für den Münchner Autobauer operativ nicht mehr tätig ist, zum Wettbewerber nicht so schnell ziehen lässt. Nach Informationen der Börsen-Zeitung verlaufen die Verhandlungen darüber zwischen den beiden Autoherstellern zäh. Dessen Aufgaben übernahm vorläufig zusätzlich BMW-Produktionsvorstand Oliver Zipse. Unter Berücksichtigung von Duesmanns Vertragsablauf (Herbst 2019) und einer einjährigen Wechselklausel zu Konkurrenten kann der Manager frühestens im Oktober 2020 bei seinem neuen Arbeitgeber antreten. Für einen Wechsel an der Spitze mit dauerhaftem Charakter ginge für Audi damit viel Zeit verloren. Duesmann gilt für die Ingolstädter als Hoffnungsträger, ist er doch als Externer in der Affäre unbelastet.Unterdessen ermittelt die Staatsanwaltschaft in der Causa gegen einen weiteren Audi-Vorstand, dessen Namen sie vermutlich bislang aus taktischen Gründen nicht öffentlich bekannt gab. Medienberichten zufolge könnte es sich dabei um Beschaffungs- und IT-Vorstand Bernd Martens handeln, der dem Gremium seit sechs Jahren angehört.Die jüngsten Ereignisse werfen Audi zurück. Das lähmt die oberste Führungsebene bei ihren Bemühungen, wieder Anschluss an die Wettbewerber zu finden. Die VW-Tochter wirkt wie ein Nachzügler beim Umbau hin zur Elektromobilität und zum vollautonomen Fahren. BMW ist auf diesem Gebiet weiter. Nun setzen Schot und seine Mannschaft ihre ganze Hoffnung in den ersten vollelektrischen Geländesportwagen aus dem eigenen Hause, den Audi E-tron SUV, der alsbald auf den Markt kommt. Audi bläst damit zum Angriff auf Tesla.Die Folgen von Dieselgate überschatten das Unternehmen aber weiter. Die technische (Rückrufe in Werkstätten) und juristische Aufarbeitung der illegalen Machenschaften kosten viel Kraft und binden Kapazitäten. Diese fehlen, um Audi nach dem immensen Imageschaden ins Lot zu bringen. Das zeigte sich bei der Umstellung auf das strengere Abgas- und Verbrauchsprüfverfahren WLTP für Neuzulassungen. Auch auf diesem Feld hinkt Audi dem Münchner Rivalen hinterher. Das sorgt in Ingolstadt für Mehrkosten, die BMW aufgrund ihrer rechtzeitigen Vorbereitung erspart bleiben.Für Dieselgate musste die VW-Tochter bislang 2 Mrd. Euro zurückstellen. Das macht 7 % des bisherigen finanziellen Gesamtschadens für den Mehrmarkenkonzern (28 Mrd. Euro) aus. Das kann das Unternehmen zwar locker stemmen, verfügt es doch über ein Liquiditätspolster von brutto 22 Mrd. Euro. Doch für die teure Umbauphase braucht Audi jeden Cent aus dem Cash-flow. Die VW-Tochter verzichtet auf Einschnitte, um die Arbeitnehmervertreter bei der Stange zu halten.Audi gilt als Keimzelle der Manipulationen. Das Arbeitsverhältnis zum Schwesterunternehmen Porsche ist belastet. Dem Sportwagenbauer aus Zuffenhausen entstanden hohe Zusatzkosten infolge der Nachrüstung von Dieselmotoren, die Audi entwickelte. Das könnte sich als schwere Hypothek für Diess` Plan erweisen, die Mehrmarkengruppe zu entschlacken und dabei die Premiumbereiche enger zu verzahnen.Auch hausintern besteht erheblicher Verbesserungsbedarf. Das Klima zwischen dem Topmanagement und den Ingenieuren in der Motorenentwicklung gilt als zerrüttet. Dazu trug Stadler bei, der die Verantwortung für die Missstände von sich wies und dafür den Ingenieuren die Schuld gab. Der Interims-CEO wird viel Zeit dafür aufwenden müssen, das Verhältnis wieder zu kitten.Dabei könnten ihm die sich verbessernden Finanzzahlen helfen. Im ersten Halbjahr steigerte Audi ihr operatives Ergebnis um 3 % auf 2,8 Mrd. Euro. Der Konzern erwirtschaftete mit 8,9 % eine höhere Rendite als die Daimler-Autosparte (8,7 %). Doch das ist nur eine Momentaufnahme. Im laufenden zweiten Halbjahr wird es wieder bergab gehen, wenn die Anlaufkosten für neue Modelle und die Umstellung auf WLTP ins Kontor schlagen. Das einstige Vorzeigeunternehmen bleibt eine Baustelle.