Der Klimaschutz geht vor Gericht
Unternehmen und Regierungen müssen sich darauf einstellen, vor Gericht für den von ihnen verursachten Anteil am Klimawandel verantwortlich gemacht zu werden. Das gilt nicht nur für RWE in Deutschland, sondern auch für die großen Ölkonzerne. Die Justiz wird in diesen Verfahren politisiert. Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfRund um den Globus werden Gerichte derzeit zunehmend politisiert, um die Verantwortung für den Klimawandel zu klären. Rund 1200 Klagen von Bürgern und Umweltorganisationen gegen Regierungen und Unternehmen sind weltweit anhängig, wie die Kanzlei White & Case ermittelt hat. “Die Gerichtsverfahren reichen von der Verpflichtung von Staaten und Staatengemeinschaften zur Anpassung oder Verschärfung ihrer Klimaschutzziele sowie auf deren Einhaltung oder Umsetzung bis hin zu Inanspruchnahmen einzelner CO2-Emittenten aufgrund eines ihnen vermeintlich zurechenbaren Verursachungsbeitrages”, fasst Jana Michaelis von White & Case die Lage zusammen.Die Umweltverbände wechseln offenbar ihre Strategie. Umweltpolitik findet nun vor Gericht statt. Auf Basis von Gesetzen sollen Verursacher von CO2-Emissionen für die Schäden aus dem Klimawandel in die Verantwortung genommen werden.In Deutschland lässt sich bereits ein erster zivilrechtlicher Fall finden. Der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya klagt – unterstützt von Germanwatch – gegen RWE, weil ein Gletschersee oberhalb seines Dorfes überzulaufen droht. RWE soll für den behaupteten Verursachungsbeitrag des Konzerns zum globalen Temperaturanstieg haften.Lliuya klagt unter anderem auf Ersatz seiner Aufwendungen für den Schutz seines von der Gletscherschmelze gefährdeten Grundstücks in den Anden. Die Höhe des behaupteten Verursachungsbeitrages beruht auf den von der Nonprofit-Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) in der sogenannten Carbon Majors Database im Jahr 2017 veröffentlichten Anteilen der 100 größten Erzeuger fossiler Brennstoffe. Das Landgericht Essen hatte die Klage abgewiesen. Doch auf die Berufung entschied das Oberlandesgericht Hamm am 30. November 2017, in die Beweisaufnahme zu gehen. Es wurden zwei Sachverständige bestellt. Das OLG stellte ein Ersuchen an den Staat Peru, die Örtlichkeiten in Huaraz in Augenschein nehmen zu dürfen. Greenpeace gegen ShellÄhnlich ergeht es dem Ölkonzern Shell: Klimaaktivisten mehrerer Umweltschutzorganisationen bereiten eine Klage gegen Royal Dutch Shell vor. Die Vertreter von Friends of the Earth, Greenpeace, Action Aid und anderen Gruppen wollen den Konzern zwingen, aus dem “schmutzigen Ölgeschäft” auszusteigen.Auch die Bundesregierung sieht sich einem ersten juristischen Angriff ausgesetzt. Ende Oktober 2018 hat Greenpeace zusammen mit drei deutschen Familien von der Insel Pellworm Klage beim Verwaltungsgericht Berlin gegen die Bundesregierung auf Einhaltung ihrer Klimaschutzziele für 2020 sowie europäischen Rechts erhoben. Es geht in dem Prozess erstmals auch um die rechtliche Verbindlichkeit der Zusagen Deutschlands im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens.Den größten Erfolg der Klimaaktivisten erzielte bisher die niederländische Stiftung Urgenda, die 890 Bürger vor Gericht gegen das Königreich der Niederlande vertrat. Im Oktober 2018 bestätigte das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung, in welcher der niederländische Staat zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25% gegenüber 1990 verpflichtet wurde. Die Kläger berufen sich in Verfahren dieser Art auf ihre verfassungsmäßigen Grundrechte.Die Rechtsstreitigkeiten werfen laut White-&-Case-Anwältin Michaelis Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf: “Besteht die Gefahr eines Verstoßes gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn die Gerichte der Legislative Vorgaben zur Anpassung von Klimaschutzzielen oder dem Erlass von Klimaschutzmaßnahmen machen können? Schaffen wir uns Gerichte, die die Parlamente binden?” Es sei zweifelhaft, inwieweit der gewählte Volksvertreter, der ausschließlich seinem Gewissen verpflichtet sein soll, gerichtlich zu politischen Entscheidungen gezwungen werden könne.”Hinzu kommen, wie sich im Fall des Peruaners Lliuya zeigt, Beweisfragen tatsächlicher Art, die allein mit Blick auf die zahlreichen wissenschaftlichen und zum Teil kontroversen Gutachten zu den Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels die Gerichte vor erhebliche Herausforderungen stellen”, warnt Michaelis. Gerichte könnten solche “politischen Fragen” nicht wirklich klären und seien deshalb auch nicht der richtige Ort für diese Auseinandersetzung. Milliardenzahlungen verlangtDennoch hoffen Aktivisten in den USA, dass die großen Ölkonzerne vor Gericht zu Vergleichen gezwungen werden, die mit einem Umfang von Hunderten Milliarden Dollar denen in der Tabakindustrie gleichen könnten. In den vergangenen zwei Jahren haben Städte, Counties und der Bundesstaat Rhode Island Energieunternehmen auf Schadenersatz für diverse mit dem Klimawandel zusammenhängende Schäden verklagt.Die Stadt Baltimore verlangt beispielsweise Ausgleichszahlungen für die Nachrüstung von Regenabläufen, um sich gegen künftig voraussichtlich schlimmer werdende Stürme zu wappnen. San Francisco macht geltend, es werde 5 Mrd. Dollar kosten, den Damm der Stadt gegen höhere Wasserpegel zu rüsten. Rhode Island sieht küstennahe Immobilien und Grundstücke im Wert von 3,6 Mrd. Dollar in Gefahr.