Der Kreis zu groß und die Zeit zu kurz

Von Isabel Gomez, Stuttgart Börsen-Zeitung, 20.5.2017 Mehr als zwei Stunden haben sie am Freitag zusammengesessen, das Who's who der Automobilindustrie und das halbe Kabinett des Landes Baden-Württemberg. Der Grund: Die Autoindustrie, auf der die...

Der Kreis zu groß und die Zeit zu kurz

Von Isabel Gomez, StuttgartMehr als zwei Stunden haben sie am Freitag zusammengesessen, das Who’s who der Automobilindustrie und das halbe Kabinett des Landes Baden-Württemberg. Der Grund: Die Autoindustrie, auf der die starke Wirtschaft des Bundeslandes basiert, steht vor einem gravierenden Umbruch. Hersteller und Zulieferer müssen den Antriebsstrang elektrifizieren, digitale Geschäftsmodelle entwickeln, sich auf autonome Fahrsysteme und eine zunehmende Anzahl von Kunden, die Autos lieber teilen als besitzen, einstellen. Gleichzeitig will die Branche den Wettbewerb durch IT-Konzerne, die in die Schnittstelle zum Kunden drängen, abwehren. Die Auswirkungen auf die Beschäftigung, neue Qualifikationsanforderungen an die Belegschaften und vor allem das Bereitstellen von Infrastruktur – Stichwort Stromtankstellen – und des rechtlichen Rahmens – Stichwort autonomes Fahren – werden dagegen als politische Aufgabe erachtet.Um es vorab zu sagen: Aus dem Treffen ging kein konkretes Projekt hervor. Dabei hat der Autogipfel auch überregionale Bedeutung: Wo, wenn nicht in der Motorstadt Stuttgart, soll ein Plan entstehen, wie die Autoindustrie die Transformation in ein neues Zeitalter der Mobilität schaffen kann. Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Daimler-Chef Dieter Zetsche, Bosch-Chef Volkmar Denner, Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke und Audi-Produktionsvorstand Hubert Waltl vor die Presse traten, verkündeten sie dennoch wenig mehr, als dass künftig alle zusammenarbeiten werden, um eine neue Form der Mobilität zu ermöglichen und die Transformation erfolgreich zu meistern.Es ist nicht so, dass in den beiden Stunden über das Wetter geplaudert wurde. Der Geislinger Professor und Autoexperte Willi Diez referierte etwa über Plattformen für Mobilitätsdienste, die seiner Meinung nach schnell entstehen müssen, damit die hiesigen Hersteller nicht als Zulieferer für die Plattformen von Google oder Uber enden. EnBW-Vorstandschef Frank Mastiaux sprach über Ladeinfrastrukturen und darüber, wie der Konzern dabei Brandschutzverordnungen oder die Auswirkungen der Elektromobilität auf das Stromnetz angeht. ZF-Friedrichshafen-Chef Stefan Sommer entschied sich dafür, über die Auswirkung der Digitalisierung auf Management und Arbeitswelt zu sprechen. Neben den genannten schlichen auch Mahle-Chef Wolf-Henning Scheider und ElringKlinger-Vorstandschef Stefan Wolf aus dem Besprechungsraum.Eine Diskussion in der Sache, so Zetsche, gab es aber nicht: “Dafür war der Kreis zu groß und die Zeit zu kurz.” Dabei, und da herrschte Einigkeit, drängt die Zeit. “Wir müssen schnell und zielführend sein”, fand Kretschmann. Der Wandel vollziehe sich “in rasendem Tempo”. “Wir haben keine Zeit, endlos zu debattieren”, schloss auch Meschke. An konkreten Vorhaben wurden dennoch nur Projekte vorgestellt, die längst bekannt sind oder bereits laufen, etwa die Milliardeninvestitionen der Hersteller in Elektroautos, die Kooperation zwischen Bosch und Daimler beim autonomen Fahren oder der Ladestellenausbau des Landes.In den nächsten Wochen soll laut Kretschmann “eine arbeitsfähige, schlanke Struktur” entstehen, wenngleich offen blieb, was diese Struktur dann machen wird. Alle beteiligten Unternehmen oder Verbände schicken dafür Mitarbeiter mit möglichst kurzem Draht zum Vorstand. ZF entsendet laut Sommer etwa ihren Entwicklungschef, auch Porsche schickt Manager aus der zweiten Reihe. Eine größere Rolle, das wurde klar, könnte E-Mobil, der Landesagentur für Elektromobilität, zukommen. Er könne sich vorstellen, die Arbeitsgruppe an die Agentur anzudocken, so Kretschmann. “Bis zum Sommer wird das stehen”, schloss er. Erst anschließend zeigt sich, ob Industrie und Politik nicht nur über Schnelligkeit sprechen, sondern auch schnell handeln werden. ——–In Baden-Württemberg haben Autoindustrie und Politik Zeitdruck, aber keine konkreten Pläne.——-