CLOUD COMPUTING - SERIE: CLOUD COMPUTING (7)

Der lange Marsch in die Cloud

Zentralregierung in Peking will umgerechnet 125 Mrd. Euro in die Rechnerwolke investieren - Schon 400 Millionen Chinesen nutzen mobile Internetdienste

Der lange Marsch in die Cloud

Cloud Computing gilt weltweit als Wachstumsmotor für die IT-Industrie. Doch während Nordamerika und Westeuropa die Rechnerwolke auf Jahre hinaus dominieren werden, kommen die Schwellenländer in Lateinamerika und Asien immer schneller voran. In China forciert die Zentralregierung mit Milliardeninvestitionen neue Rechenzentren für die Cloud. Fast 400 Millionen Chinesen beziehen bereits mobile Internetdienste.Von Norbert Hellmann, SchanghaiNordamerika und Westeuropa, die größten Märkte für Informationstechnologie, haben auch beim Thema Cloud Computing auf Jahre hinaus die Nase vorn. Der Marktforscher Gartner, der dem Geschäft mit IT aus der Rechnerwolke im Vergleich mit 2010 bis 2016 einen Zuwachs von 130 Mrd. Dollar auf dann 207 Mrd. Dollar zutraut, verortet in den beiden Leitmärkten fast vier Fünftel dieser Zuwächse.Die Schwellenländer Lateinamerikas und des asiatisch-pazifischen Raums nehmen in der Rechnerwolke aber Fahrt auf. Vor allem China drängt mit Macht in das Wachstumsfeld. Allein in den kommenden fünf Jahren will Peking 1 Bill. Yuan (125 Mrd. Euro) für den Auf- und Ausbau der technologischen Infrastruktur hinter Cloud-Computing-Leistungen aufwenden.Die Rechnerwolke soll nach den Vorgaben des aktuellen Fünfjahresplanes der Zentralregierung einen möglichst breiten Kreis von Menschen im bevölkerungsreichsten Land der Erde technologisch einfangen und eine breite unternehmerische und private Nutzung von mobilen Internetdiensten ermöglichen. Die Rechnerwolke ist die Grundlage für das Angebot von Rechenkapazität, Speicherplatz und Applikationen, die von jedem Gerät und jedem Ort mit Internetanschluss abgerufen werden können.Bei chinesischen Branchengrößen im Server- und Softwaregeschäft wie Shanghai East-China Computer, Neusoft oder Inspur verspricht man sich bereits fette Aufträge im Zuge des Aufbaus von “State of the Art”- Cloud-Zentren in den für entsprechende Pilotprojekte von der Regierung ausgewählten Metropolen Peking, Schanghai, Shenzen, Hangzhou und Wuxi. Auch einige ausländische Adressen wie Microsoft und Hewlett-Packard verweisen auf neue Marktchancen in China im Zusammenhang mit der Cloud. Demgegenüber wird die Möglichkeit zum Angebot von Cloud-Software bei der deutschen SAP nüchterner eingeschätzt: Dafür erforderliche Software-Lizenzen seien für ausländische Adressen derzeit nicht zugänglich, während die Ausweichmöglichkeit über eine Lizenzvergabe an in Hongkong etablierte Einheiten als nicht sonderlich vielversprechend eingeschätzt wird. Der Softwareriese, der bis 2015 wenigstens 2 Mrd. Euro in der Cloud erlösen will, investiert im Reich der Mitte laut unternehmenseigenem Fünfjahresplan bis dahin gut 2 Mrd. Dollar.Microsoft, deren jährliche Erlöse aus dem China-Geschäft derzeit nur für etwa 3 % der gesamten Konzernumsätze aufkommen, hofft das von Softwarepiraterie stark gehemmte Geschäft mit den tradierten Betriebssystemen und Softwareprodukten durch Anteile im schnell wachsenden Cloud Computing zu ergänzen. Jean-Philippe Courtois, Präsident von Microsoft International sieht den US-Riesen gut positioniert, um von der sogenannten “Consumerization” von IT- und Cloud-Diensten, also der verstärkten Nutzung durch Konsumenten und Endverbraucher, zu profitieren. “Consumerization” in ChinaTatsächlich ist – neben dem resoluten Zugriff des chinesischen Staatskapitalismus – der Siegeszug von mobilen Internetdiensten, die nach den Angaben des staatlichen China Internet Information Network Center(CIINC) bereits von knapp 400 Millionen Chinesen und damit von fast einem Drittel der Bevölkerung genutzt werden (siehe Grafik), das größte Versprechen an das Potenzial der China Cloud. So ist die Affinität für mobile Zugangswege zu allen erdenklichen Online-Dienstleistungen im Zuge der rasend schnellen Verbreitung von leistungsfähigen Smartphones im Reich der Mitte laut der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG stärker ausgeprägt als in westlichen Ländern. Eine ganze Reihe von chinesischen Technologiekonzernen betonen denn auch, sich mit Vehemenz in das Geschäft stürzen zu wollen, allen voran Adressen wie die Telekomausrüster Huawei und ZTE, der Computer- und Smartphonebauer Lenovo und der Internetdienstleister Baidu. Dass Huawei und ZTE als Hersteller von mobilen Kommunikationsgeräten und als führende Adressen im Geschäft mit Netzwerkausrüstung für Mobilfunkunternehmen, die ihre mobilen Internetangebote stark auf Cloud-Nutzung ausrichten, am neuen Markt stark partizipieren werden, versteht sich von selbst. Beide Konzerne versprechen sich von der Anpassung der IT-Netze von Großunternehmen an das Cloud-Zeitalter allerdings auch einen verbesserten Zugang zum Unternehmensmarkt. Huawei will dieses Geschäft bis 2015 auf 15 bis 20 Mrd. Dollar Umsatz locker verzehnfachen. ZTE wiederum veranschlagt, dass binnen drei Jahren bis zu 30 % des Konzernumsatzes auf Cloud Computing zurückgehen werden und verzeichnete zuletzt Wachstumsraten von 70 % in diesem Bereich.Beim führenden asiatischen Computer-Hersteller Lenovo, der Hewlett-Packard derzeit die weltweite Branchenführerschaft streitig macht, steht die Cloud im Zentrum einer strategischen Neuausrichtung. Der Konzern, der sich bei Übernahmen wie dem Erwerb der Hardwaresparte von IBM, des deutschen Computerherstellers Medion, der PC-Sparte der japanischen NEC und zuletzt des brasilianischen Konsumelektronikhauses Digibras bislang auf Hardware konzentrierte, macht Jagd auf Softwareanbieter, die sich auf konsumentenorientierte Cloud-Dienste spezialisiert haben. Erst im September hat der Konzern verkündet, den US-Softwareproduzenten Stoneware zu übernehmen, dessen Produkte vor allem von Schulen und Regierungsstellen benutzt werden, um Daten über verschiedene mobile Zugangskanäle zu synchronisieren. Laut Vize-Präsident Mark Cohen soll Stoneware bei Lenovo die Grundlagen einer “öffentlichen Cloud” für Konsumenten schaffen, womit der Konzern auch in den Wettbewerb mit der iCloud von Apple tritt .Gleichzeitig hat Lenovo im August ein Kooperationsabkommen für die Entwicklung und den Verkauf von Serversystemen und Datenspeichertechnologie im chinesischen Markt mit der in diesem Markt führenden EMC abgeschlossen. Analysten des IT-Marktforschers IDC werten dies als Stärkung der als “PC-Plus” bezeichneten Strategie, mit der der Verkauf von Hardware bei Lenovo um Komplettangebote für Unternehmen und cloudgestützte Technologie für Verbraucher erweitert werden soll. Baidu sucht in der WolkeBaidu, Chinas führender Anbieter von Suchdiensten im Internet, der im Reich der Mitte auch Google weit hinter sich lässt, will das Geschäft rund um mobile Internetdienste mit einer hauseigenen Cloud-Computing-Plattform erweitern. Dies soll vor allem kleineren Entwicklern von Softwareapplikationen die Möglichkeit der Nutzung von Datenprocessing und -speicherung geben. Damit will Baidu das Angebot konsumorientierter mobiler Applikationen an das eigene Haus binden. Mitte September kündigte CEO Jennifer Li an, dass Investitionen über 10 Mrd. Yuan (1,25 Mrd. Euro) für entsprechende Cloud-Computing-Zentren vorgesehen sind.Die gemeinsame Klammer um das Engagement von chinesischen Technologiekonzernen in der Cloud ähnelt den Motiven der westlichen Konkurrenzunternehmen: Allesamt haben sie in ihrem tradierten Geschäft mit dem schleppenden konjunkturellen Umfeld zu kämpfen. Der Auftrieb in der Rechnerwolke verspricht da neue Wachstumsdynamik. Beim China Ministry of Science and Technology wird das Wachstum der Erlöse chinesischer Firmen im Cloud-Geschäft für 2012 mit 65 % veranschlagt. Auch in den kommenden drei Jahren werde das Wachstum hier überdurchschnittlich ausfallen. Gartner, der die China Cloud 2010 auf 2,6 Mrd. Dollar bezifferte, traut dem Geschäft ein jährliches Wachstum von 40 % zu. Damit bliebe der Anteil an der globalen Rechnerwolke aber auch 2012 noch deutlich unter den rund 8 %, die China laut IDC mit 163 Mrd. Dollar Umsatz am gesamten IT-Markt hält.—-Zuletzt erschienen:- Eine Wolke aus Blech und Kabeln (26.09.)