„Der Preis darf nicht das einzig Relevante sein“
Frau Dembeck, Sie sind jetzt seit gut einem Jahr Finanzchefin bei Zalando. Der Konzern hat in der Zeit eine Vollbremsung hingelegt und ist im Zuge der globalen Konsumflaute von einem 30-prozentigen Wachstum in die Stagnation gerutscht. Wie erleben Sie die Krisenbewältigung bei Europas größtem Modehändler?
Im Vergleich zu den Pandemiejahren war 2022 tatsächlich eine ganz neue Situation für Zalando. Statt auf reines Wachstum, mussten wir uns auf die Profitabilität konzentrieren. Das ist natürlich eine ganz andere Herausforderung und wir haben sie gemeistert. Wir haben dafür über das gesamte Unternehmen hinweg nach Möglichkeiten gesucht, Effizienzen zu heben. Wir haben geschaut, wo wir in der Logistik Überkapazitäten haben, und den Ausbau des Netzwerks verlangsamt. Wir haben relativ schnell einen Mindestbestellwert eingeführt, die Produktivität in unseren Logistikzentren erhöht und die Marketingausgaben reduziert. Es war faszinierend zu sehen, wie schnell sich ein Unternehmen wie Zalando, das bis dato nur Wachstum kannte, diesbezüglich anpassen kann.
Inwiefern haben die Veränderungen auf die Stimmung im Unternehmen geschlagen?
Wenn so abrupt von Wachstum auf Profitabilität umgeschwenkt wird, dann bedeutet das zuerst erstmal eine Veränderung. Wir mussten schauen, wie wir das Thema angehen. Was mir aber aufgefallen ist, dass keiner in die Vergangenheit geblickt und einfach darauf vertraut hat, dass das frühere Wachstum eines Tages schon wieder zurückkommen wird. Stattdessen haben unsere Teams auch dank ihrer Erfahrung schnell erkannt, dass wir die Dinge jetzt anders angehen müssen, beispielsweise in der Logistik oder im Marketing, wo es bei einer so geringen Nachfrage erst mal keinen Sinn macht, weiter massiv in die Neukundengewinnung zu investieren.
Die Deutschen haben 2022 anteilsmäßig weniger online und wieder mehr im stationären Einzelhandel geshoppt. Hat die E-Commerce-Branche hierzulande ihr Limit erreicht?
Zunächst muss man sagen, dass es in der Pandemie ja einen massiven Anstieg beim Online-Shopping gab. Diese Entwicklung hat sich 2022 deutlich normalisiert. Ich würde sagen, selbst in diesem Jahr dürfte sich die Normalisierung noch fortsetzen. Trotzdem bleibt Zalando ein Wachstumsunternehmen. In Zukunft sehen wir in unseren Märkten weiter Luft nach oben, was die Online-Durchdringung im Mode-Einzelhandel angeht. Das liegt unter anderem daran, dass etwa in den USA oder in China bereits zu über 40% online geshoppt wird. In Europa liegt der Anteil noch bei knapp 30%. Hinzu kommt, dass sich die Technologien immer weiter verbessern und der Anteil jener Kunden, die mit dem Smartphone aufgewachsen sind, immer größer wird.
Im ersten Quartal ist Zalando im Gegensatz zum restlichen deutschen Onlinemodemarkt leicht gewachsen – das lag jedoch vor allem am Offprice-Segment mit rabattierter Ware. Sind die Lager nach der Corona-Pandemie noch immer überfüllt?
Die Warenbestände sind zumindest im gesamten Modemarkt immer noch erhöht. Viele Akteure haben im vergangenen Jahr einfach zu viel eingekauft und die Nachfrage fällt aktuell deutlich geringer aus als erwartet. Für uns ist das weniger ein Problem, weil wir ein sehr flexibles Geschäftsmodell haben und in der Hinsicht gut aufgestellt sind. Wir haben uns im Einkauf in diesem Jahr auf die niedrige Nachfrage eingestellt.
Ist das der Grund, weswegen Sie am Ziel einer Margensteigerung auf bis zu 6% bis 2025 festhalten?
Nicht nur. Die Zuversicht schöpfen wir auch aus unseren Erfahrungen vom vergangenen Jahr, in dem wir gezeigt haben, dass wir Effizienzen nachhaltig steigern können. Aber ja, die Verbesserung dürfte in diesem Jahr auch daher kommen, dass wir keine Überbestände haben und damit nicht an erzwungenen Rabattschlachten teilnehmen müssen. Wir wollen den Einkauf auch in Zukunft noch weiter verbessern und die Kunden gleichzeitig wieder mehr für Produkte zum vollen Preis interessieren. Der Preis darf nicht das einzig Relevante sein.
Wie soll das gelingen?
Der Kunde muss die Ware wirklich wollen. Für uns heißt das, dass wir attraktive Marken brauchen. Und die haben wir. Wir haben jüngst beispielsweise eine Paco-Rabanne-Kollektion auf den Markt gebracht, die exklusiv bei Zalando erhältlich ist. Wir machen daneben auch viel kuratierte Produktvorstellungen, wo wir ausgewählte Produkte sehr intensiv beschreiben und sogenannte Hot Drops. Das sind angesagte Produkte, die nur limitiert und für einen bestimmten Zeitraum erhältlich sind. Vergangenes Jahr hatten wir insgesamt 80 solcher Hot Drops, darunter war ein roter Turnschuh, den Rihanna beim Super Bowl getragen hatte. Der war in kürzester Zeit ausverkauft.
Sie haben sich bei Zalando auch vorgenommen, den Anteil des Partnergeschäfts bis 2025 am Bruttowarenvolumen auf 50% zu erhöhen. Warum?
Das hat mehrere Gründe. Das Partnermodell ist ja unser zweites strategisches Standbein. Hier liegt die Marge im zweistelligen Prozentbereich, wohingegen sie in unserem eigenen Handelsgeschäft im mittleren bis höheren einstelligen Prozentbereich liegt. Zudem haben wir im Partnergeschäft auch nicht das Risiko von Überbeständen. Nicht zuletzt können wir den Kunden durch das Partnergeschäft eben auch ein breiteres und relevanteres Sortiment bieten. Dazu haben wir jüngst das Gebührenmodell angepasst, um die Produkte zu fördern, die für die Kunden am wichtigsten sind. Wir haben dabei auf einen einheitlichen Ansatz für Einzelhändler und Marken gesetzt.
Zumindest kurzfristig will Zalando die Profitabilität aber auch mit dem Rotstift ankurbeln. Im Februar hieß es, dass „mehrere hundert“ Jobs wegfallen sollen. Wann dürfen Mitarbeitende und Investoren mit konkreten Details zu Art und Umfang des Stellenabbaus rechnen?
Wir befinden uns momentan noch in laufenden Verhandlungen mit unseren Arbeitnehmervertretern. Es handelt sich hierbei aber nicht um ein Restruktu-
rierungsprogramm. Aufgrund des enormen Wachstums in der Vergangenheit sind in manchen Bereichen einfach Komplexitäten entstanden, die uns verlang-samen, und das können wir uns nicht leisten. Jetzt geht es darum, dass wir diese Komplexität wieder rausnehmen und in anderen Bereichen dafür wieder investieren.
Ließe sich die Profitabilität nicht auch verbessern, indem auf Retouren eine Gebühr erhoben wird? Zuletzt wurde noch immer jeder zweite Artikel zurückgeschickt.
Zunächst: In Deutschland belief sich die Retourenquote im Bereich Fashion zuletzt auf rund 50%, wir liegen leicht darunter. Unser Bestreben ist es, die Retourenquote weiter zu reduzieren, auch weil das natürlich für uns profitabler ist. Eine Gebühr ist für uns aber nicht die richtige Lösung.
Warum nicht?
Es passt einfach nicht zu unserer DNA. Wir wollen den Kunden nicht dafür bestrafen, dass ein Kleidungsstück nicht passt oder nicht den Erwartungen entspricht. Wir wollen für den Kunden ein risikofreies Einkaufserlebnis schaffen und dazu gehört einfach, dass wir für eine Retoure keine Gebühr verlangen.
Eine Umfrage von Onepoll und Trusted Returns hat im vergangenen Jahr gezeigt, dass fast jeder zweite deutsche Online-Konsument durchaus bereit wäre, zumindest einen Teil der Kosten für Retouren mitzutragen.
Es kann schon sein, dass manche Kunden sagen, es macht ihnen nichts aus, für Retouren zu bezahlen. Aber ich glaube einfach nicht, dass das zu dem Einkaufserlebnis passt, das wir bieten wollen. Natürlich wollen wir aber, wie schon gesagt, Retouren verringern, weil es auch für den Kunden nicht erfreulich ist, wenn er Ware zurückschicken muss.
Inwiefern ist Ihnen das bei Zalando bislang gelungen?
Wir haben unter anderem Algorithmen entwickelt, mit denen wir auf Basis vom bisherigen Einkaufs- und Retourenverhalten Größenempfehlungen für den Kunden aussprechen können. Bei den Produkten, wo wir diese Größenempfehlungen eingeführt haben, konnten wir die Retourenquote um ca. 10% verringern.
Wie viele Retourenzentren betreibt Zalando in Europa und wie viele Mitarbeitende sind in dem Bereich beschäftigt?
In Summe haben wir zwölf Logistikzentren und rund 20 Verteil- und Retourenzentren in ganz Europa. In den drei von Zalando selbst betriebenen Logistikzentren in Deutschland arbeiten derzeit rund 7.000 Menschen.
Laut der Uni Bamberg beliefen sich die mittleren Transport- und Bearbeitungskosten pro Retourensendung im deutschen E-Commerce zuletzt auf 6,95 Euro. Welche Kosten entstehen Zalando durchschnittlich pro retournierten Artikel?
Dazu können wir keine genaue Auskunft geben. Aber ja, mit den Retouren geht ein erheblicher Aufwand einher, der auch mit Kosten verbunden ist. Deswegen ist es in unserem Interesse, dass wir wirklich daran arbeiten, unnötige Retouren deutlich zu verringern. Dazu beschäftigen wir ein ganzes Technologie-Team, das sich nur mit den Themen Größe und Passform beschäftigt und hier technologische Entwicklungen vorantreibt. Wir testen beispielsweise seit kurzem eine virtuelle Umkleidekabine, in der unsere Kunden ihre Größe und Gewicht angeben und mit einem 3D-Avatar Kleidung anprobieren können. Jetzt arbeiten wir daran, dass Kunden für den Avatar bald auch ihre konkreten Körpermaße eingeben können.
Inwiefern kommt bei dem Versuch, die Retourenquote zu senken, auch künstliche Intelligenz ins Spiel?
Wir nutzen künstliche Intelligenz in vielen Bereichen, zum Beispiel in unserer Suchmaschine, bei den Größen-, Farb-, Stil- oder Outfitempfehlungen. Wir setzen die Technologie aber auch für die Preisfestsetzung und in der Logistik ein. Wenn ein Produkt beispielsweise retourniert wird, dann bestimmt unser Algorithmus den Markt und somit das Logistikzentrum mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für einen Abverkauf – dort landet der retournierte Artikel dann.
In einem neuen Fashion-Assistant-Tool zur Mode- und Kaufberatung will sich Zalando nun auch die Fähigkeit von ChatGPT, also generativer künstlicher Intelligenz zunutze machen. Was sind hier die Erwartungen?
Mit dem neuen Modeassistenten wollen wir vor allem erst einmal schauen, wie unsere Kunden die Technologie annehmen und mit ihr interagieren und welche Anwendungsfälle sich daraus für uns ableiten lassen. Wir werden sie ausprobieren und lernen, wie wir das Potenzial anwenden können, indem wir uns fragen: Wie könnte es dem Kunden helfen? Es ist also noch sehr früh, aber wir sind überzeugt, dass sich Mensch und Technik sehr gut ergänzen.
Das Interview führte Karolin Rothbart.
IM INTERVIEW: Sandra Dembeck
„Der Preis darf nicht das einzig Relevante sein“
Finanzchefin von Zalando will Kaufbereitschaft der Kunden durch exklusive Kollektionen und begrenzte Verfügbarkeiten steigern – Retouren bleiben kostenlos
Für den Online-Modehändler Zalando sind neue Zeiten angebrochen. Mit der inflationsbedingt schleppenden Nachfrage und der Rückkehr der Menschen in physische Geschäfte steht für den Dax-Konzern nun die Profitabilität statt – wie früher – reines Wachstum im Vordergrund. Um hier besser zu werden und Effizienzen zu heben, setzt Finanzchefin Sandra Dembeck auf ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Eine Gebühr auf Retouren gehört aber nicht dazu.
„Mit den Retouren geht ein erheblicher Aufwand einher, der auch mit Kosten verbunden ist. “