RECHT UND KAPITALMARKT

Der schädigende Beteiligungserwerb

Bieter ist der Zielgesellschaft zum Ausgleich von Vermögensnachteilen verpflichtet - Unbestreitbares Schutzbedürfnis

Der schädigende Beteiligungserwerb

Von Roger Kiem *)Nach der M & A-Flaute infolge der Finanzmarktkrise kommt der Markt für Unternehmenskäufe wieder auf Touren. Mit der anziehenden Übernahmetätigkeit lässt sich wieder vermehrt ein Phänomen beobachten, das die M & A-Praxis seit längerer Zeit umtreibt, das aber meist nur achselzuckend oder verschämt zur Kenntnis genommen wird: Der Aufbau einer bedeutenden Beteiligung oder gar eine geglückte Übernahme führen bei der Zielgesellschaft häufig zunächst einmal zu einem beträchtlichen Vermögensschaden.Dabei geht es nicht um die erst nach erlangter Kontrolle durch den Übernehmer verursachten Schäden aufgrund nachteiliger Weisungen oder sonstiger Konzernierungsmaßnahmen. Zu denken ist also beispielsweise an die “Bitte” der neuen Muttergesellschaft, ihr ein lukratives Geschäft zu überlassen, oder auch an die Schließung einer Sparte zur besseren Auslastung der Produktionskapazitäten der Schwestergesellschaft.Zum Ausgleich solcher konzernierungsbedingter Nachteile steht das geltende Konzernrecht mit seinen gesetzlichen Ausgleichsmechanismen zur Verfügung. Im hier interessierenden Kontext geht es indessen um Vermögensschäden, die durch den Beteiligungserwerb selbst ausgelöst werden. Typischerweise sind dies sogar Schäden, die der Bieter gar nicht intendiert, sondern lediglich in Kauf nimmt, wenn er die Beteiligung erwirbt bzw. das Übernahmeangebot durchführt.Woher rühren solche Schäden? Zunächst kann das Überschreiten einer bestimmten Beteiligungshöhe bei der Zielgesellschaft zu beträchtlichen steuerlichen Nachteilen führen. Im Steuerrecht gelten sie als Folge eines sogenannten “schädlichen Beteiligungserwerbs”. Gemeint ist der teilweise oder vollständige Wegfall von steuerlichen Verlustvorträgen. Dazu kommt es, wenn ein Einzelner oder eine gemeinsam handelnde Gruppe von Personen mehr als 25 % an einer Kapitalgesellschaft erwirbt.Hält man sich vor Augen, dass ein Übernahmeangebot überhaupt erst als zustande gekommen gilt, wenn der Bieter danach mindestens 30 % der Anteile an der Zielgesellschaft hält, ist klar, dass die steuerrechtliche Schwelle des “schädlichen Beteiligungserwerbs” bei einer geglückten Übernahme immer erreicht wird. Da Übernahmeangebote aber regelmäßig mit deutlich höheren Annahmeschwellen verbunden werden – also mindestens 50 %, häufig auch 75 % -, fallen hier bei einer geglückten Übernahme die bestehenden Verlustvorträge nicht nur anteilig, sondern sogar vollständig weg.Das Bestehen von teils ganz erheblichen Verlustvorträgen kann hierbei als Regelfall unterstellt werden. Wie eine Auswertung der veröffentlichten Stellungnahmen des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaften bei in den Jahren 2010 bis 2013 durchgeführten öffentlichen Übernahmen ergeben hat, wird der Wegfall von Verlustvorträgen ganz typischerweise als drohendes Schadensereignis genannt. Hier sind steuerliche Nachteile in zwei- oder gar dreistelliger Millionenhöhe keine Seltenheit.Ein anderer ganz wesentlicher Bereich, in dem beteiligungserwerbsbedingte Schäden eintreten können, sind Vertragsverhältnisse der Zielgesellschaft mit sogenannten Kontrollwechselklauseln (Change-of-Control-Klauseln). Heutzutage wird kaum mehr ein Finanzierungsvertrag ohne eine solche vertragliche Absicherung gegen einen Eigentümerwechsel beim Kreditnehmer abgeschlossen. Dasselbe gilt für kapitalmarktgetragene Fremdfinanzierungen wie Unternehmensanleihen.Im Falle einer Übernahme droht hier die erforderliche Refinanzierung zu ungünstigeren Konditionen. Denn die finanzierenden Banken werden den eingetretenen Kontrollwechsel zum Anlass nehmen, über die Konditionengestaltung sprechen zu wollen. Das gilt insbesondere, wenn die bislang vereinbarten Konditionen unter dem gegenwärtigen Marktniveau liegen oder die Bonität des Übernehmers unterhalb der übernommenen Zielgesellschaft liegt.Ähnlich empfindlich kann es die Zielgesellschaft treffen, wenn Kontrollwechselklauseln in Verträgen von strategischer Bedeutung enthalten sind. So sind Verträge über Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures), Privatisierungsverträge oder auch schlichte Beteiligungsverträge typischerweise mit Kontrollwechselklauseln verbunden. Mit erfolgter Übernahme droht hier, dass die Zielgesellschaft unternehmerisch bedeutsame Beteiligungen aufgeben muss, weil der jeweilige Vertragspartner sich auf die Change-of-Control-Regelung beruft. Dasselbe kann bei wichtigen Lieferverträgen passieren.Ebenfalls weit verbreitet sind Change-of-Control-Klauseln in Vorstandsanstellungsverträgen. Vom darin eingeräumten Recht zur vorzeitigen Beendigung des Dienstvertrags gegen Zahlung einer Abfindung wird im Fall einer erfolgten Übernahme von den Vorstandsmitgliedern der übernommenen Gesellschaft nicht selten Gebrauch gemacht. Die dann von der Zielgesellschaft zu tragenden Abfindungen können sich zu beträchtlichen Summen addieren.Mit diesem Befund vor Augen fragt es sich, ob die Zielgesellschaft solche Vermögensschäden schlicht hinzunehmen hat oder ob sie vom Bieter eine entsprechende Kompensation verlangen kann. Ein ausdrücklicher gesetzlicher Anspruch der Zielgesellschaft gegenüber dem Bieter besteht nicht. Insbesondere helfen hier die gesetzlichen Ausgleichsregelungen des Konzernrechts nicht weiter. Diese Vorschriften greifen erst ein, wenn der Bieter die Zielgesellschaft konzerniert, also bei nachteiligen Einflussnahmen nach einer erfolgten Übernahme. Die durch den Beteiligungsaufbau bzw. Mehrheitserwerb verursachten Schäden werden hiervon nicht erfasst.Lange Zeit ließ es die Praxis dabei bewenden. Das ist indessen zu kurz gesprungen, denn ein Ausgleich solcher beteiligungserwerbsbedingter Vermögensnachteile der Zielgesellschaft lässt sich auf die auch den Bieter treffende Treuepflicht stützen. Die Treuepflicht ist seit langer Zeit als ein die Aktionäre wie auch die Gesellschaft selbst treffendes Rücksichtnahmegebot einhellig anerkannt.Für die Anwendung des treuepflichtgestützten Rücksichtnahmegebots auf den Fall beteiligungserwerbsbedingter Vermögensnachteile spricht zunächst ein unbestreitbares Schutzbedürfnis. Während die das Übernahmeangebot annehmenden Aktionäre diesen Vermögensnachteilen durch das Ausscheiden aus der Zielgesellschaft gegen Zahlung des Angebotspreises entgehen, bleiben die anderen Aktionäre auf dem Vermögensschaden sitzen. Zwar trifft auch den Bieter als künftigen Kontrollaktionär anteilig dieser Vermögensnachteil. Allerdings ist er in der Lage, Synergien aus dem Zusammenschluss mit der Zielgesellschaft zu realisieren und so diesen Vermögensnachteil auszugleichen. Diese Möglichkeit besteht für die in der Zielgesellschaft verbliebenen außenstehenden Aktionäre nicht. So weit besteht eine Schutzlücke, die es mit Hilfe der Treuepflicht zu schließen gilt.Damit werden auch keine gesetzlichen Wertungen überspielt. Das Konzernrecht regelt diesen Sachverhalt nicht, da es eine Abhängigkeitslage und damit die Beteiligungsbegründung gedanklich voraussetzt. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) selbst will nur das Verfahren für eine öffentliche Übernahme regeln. Mit ihm wird eine Schädigung der das Angebot nicht annehmenden Aktionäre der Zielgesellschaft gerade nicht legitimiert. Kein AbwehrinstrumentMit der Anerkennung einer auf die Treuepflicht gestützten Kompensationspflicht des Bieters für durch ihn ausgelöste Schäden bei der Zielgesellschaft wird dieser auch kein Instrument zur Abwehr unerwünschter Übernahmen an die Hand gegeben. Zum Ausgleich verpflichtet ist der Bieter nämlich nur dann, wenn der eingetretene Schaden auf den von ihm bewirkten Beteiligungserwerb zurückgeht. Hat das Management der Zielgesellschaft beispielsweise außerhalb des Geschäftsüblichen Kontrollwechselklauseln vereinbart, um dadurch eine Übernahme zu erschweren, kann das dem Bieter nicht entgegengehalten werden: Für solche Schäden hat er nicht aufzukommen.Damit lässt sich für Übernahmesachverhalte künftig festhalten: Kommt es infolge des Aufbaus einer bedeutenden Beteiligung oder einer erfolgten Übernahme zu Vermögensschäden bei der Zielgesellschaft, ist der Beteiligungserwerber bzw. Bieter dieser zum Ausgleich der Schäden verpflichtet.—-*) Prof. Dr. Roger Kiem ist Partner im Bereich Mergers & Acquisitions und Gesellschaftsrecht der Kanzlei White & Case.