RECHT UND KAPITALMARKT

Der Schuldschein ist international gefragt

Schlanke Dokumentation und geringe Transaktionskosten - Etablierung eines paneuropäischen Private-Placement-Marktes?

Der Schuldschein ist international gefragt

Von Neil George Weiand *)Der Schuldscheinmarkt macht seit geraumer Zeit durch hohe Transaktionsvolumina und eine zunehmende Internationalisierung auf sich aufmerksam. Diese Entwicklung setzte nach dem Zusammenbruch des Bankhauses Lehman im Jahre 2008 ein. Während es in der Folge an den Kredit- und Anleihemärkten zu Verwerfungen kam, erwies sich der Schuldscheinmarkt als überaus robust, und es wurden erstmals Volumina im Milliardenbereich aus dem Schuldscheinmarkt gehoben. Seither bewegen sich Zahl und Volumina der Transaktionen auf einem hohen Niveau. Zugleich setzte eine Internationalisierung ein. Derzeit sind etwa ein Drittel der Darlehensgeber und Darlehensnehmer nichtdeutsche Adressen. Hohe AttraktivitätAus Sicht der Darlehensgeber lässt sich die Attraktivität des Schuldscheinmarktes knapp wie folgt begründen: Darlehensnehmer mit durchweg guter Bonität. Erwünschte langfristige Ausleihungen. Für Cross-Selling und anderes Folgegeschäft wichtiger (teils erstmaliger) Zugang zu Darlehensnehmern bei überschaubarem finanziellen Engagement. Keine Mark-to-market-Bilanzierung.Aus Sicht der Darlehensnehmer spricht Folgendes für ein Schuldscheindarlehen: Unterschiedliche Währungen und Laufzeiten von bis zu zehn Jahren. Derzeit niedrige Zinsen und Spreads. Kein Rating erforderlich. Der Schuldschein ist kein Wertpapier. Keine Verpflichtung zur Erstellung eines Prospekts. Eine Transaktion kann somit zügig und strikt vertraulich durchgeführt werden.Das Schuldscheindarlehen wird (obgleich rechtlich ein Darlehen) aus Marktsicht als erster Schritt zur Finanzierung über die Kapitalmärkte bewertet. Schlanke Dokumentation. Geringe Transaktionskosten. Variabler Verwendungszweck, jüngst auch Refinanzierung von Akquisitionsfinanzierungen (Fristentransformation). Ansprache neuer, in der Regel statischer Darlehensgeber (buy and hold).Während Emittenten einer Anleihe der Marktmissbrauchsverordnung und damit erstmals einem Verbot des Insiderhandels, der Marktmanipulation sowie bestimmten Publizitäts- und organisatorischen Anforderungen unterliegen können, ist dies bei Aufnahme eines Schuldscheindarlehens nach zutreffender Ansicht nicht der Fall. Ein Schuldscheindarlehen ist kein von dieser Verordnung erfasstes “Financial Instrument”, da weder es selbst noch ein etwa zu Beweiszwecken ausgestellter zugehöriger Schuldschein börslich notiert oder gehandelt werden können und es, obgleich übertragbar ausgestaltet, empirisch auch kaum außerbörslich gehandelt wird. Es mangelt daher an der eine solche Qualifikation bedingenden hinreichenden Zirkulationsfähigkeit in einem zu schützenden Markt. Der klassisch ausgestaltete, im Wege einer Privatplatzierung an institutionelle Investoren vermarktete Schuldschein dürfte (vorbehaltlich einer stets erforderlichen Einzelfallprüfung) in der Regel nicht den U.S. Securities Laws unterliegen. IndividualisierungEine einheitliche Musterdokumentation für Schuldscheindarlehen gibt es nicht. Schuldscheindarlehensgeber verwenden in der Regel selbst oder auf Verbandsebene entwickelte Muster. So nutzen Versicherungsunternehmen eigene Vertragsmuster, die den für sie maßgeblichen regulatorischen Anforderungen Rechnung tragen. Die Loan Market Association (LMA) hat einen Schuldscheinleitfaden erarbeitet und veröffentlicht. Dieser sieht jedoch kein Vertragsmuster vor, sondern beschränkt sich auf eine Darstellung ökonomischer und rechtlicher Rahmenbedingungen und des Inhalts regelmäßig verwendeter Vertragsklauseln. Mit einer weiter gehenden Standardisierung der Dokumentation ist in näherer Zukunft nicht zu rechnen, zumal dies von wesentlichen Akteuren nicht gewünscht wird. Kreditmateriell ist in Abhängigkeit von der Bonität der Darlehensgeber und anderen Faktoren (etwa zum Vergleich herangezogene Konditionen anderer von diesem eingegangener Finanzierungsverträge) ohnehin eine zunehmende Individualisierung festzustellen.In den Vereinigten Staaten existiert seit langem ein US-Private-Placement-Markt, der sich durch eine große Tiefe, erfahrene Investoren und standardisierte Dokumentation auszeichnet. Dieser wird in signifikantem Umfang von europäischen Unternehmen angesprochen. Konsequenz sind stets die Verwendung von US-Recht unterliegender Dokumentation und nicht selten Kosten für Währungssicherungsgeschäfte. Vor allem aber Überlegungen, dass das geänderte regulatorische Umfeld kleineren und mittelgroßen Unternehmen perspektivisch die Finanzierung über Banken verwehren kann, Investoren bei gleichzeitiger Risikodiversifizierung und Ertragssteigerung an langfristigen Aktiva interessiert sind und eine Diversifikation der Finanzierungsmöglichkeiten (mit einhergehender ordnungspolitisch angestrebter teilweiser Substitution von Banken durch Alternative Lenders) aus Sicht aller Beteiligten wünschenswert ist, haben dazu geführt, dass Investoren und andere wesentliche Marktteilnehmer, teils unter passiver Begleitung von Regulatoren, versuchen, einen Paneuropäischen Private-Placement-Markt zu etablieren, der sich als komplementär zum US-Private-Placement-Markt versteht.In Frankreich (Euro PP Notes) und insbesondere in Deutschland (Schuldscheinmarkt) bestehen leistungsfähige lokale Private-Placement-Märkte. In anderen Ländern, wie etwa dem Vereinigten Königreich, sind diese erst im Werden begriffen. Einen einheitlichen Paneuropäischen Private-Placement-Markt gibt es derzeit nicht. Um Anreize für die Etablierung dieses Marktes zu setzen, haben einige Länder (Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich) die quellensteuerliche Behandlung von Private Placements privilegiert. Die LMA hat im Jahr 2015 mit der Veröffentlichung von Standarddokumenten für Paneuropäische Private-Placement-Transaktionen (Loan bzw. Note Format) zur für die Entstehung eines einheitlichen Marktes unentbehrlichen Standardisierung von Dokumentation beigetragen. Die von der International Capital Markets Association (ICMA) geführte Pan-European Private Placement Working Group (der ebenfalls eine Vielzahl von Marktteilnehmern angehören) hat parallel hierzu den Pan-European Corporate Private Placement Market Guide veröffentlicht.Diese Entwicklungen könnte auch durch regulatorische Erleichterungen gefördert werden. So hat die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vergangenes Jahr in Abkehr von ihrer langjährigen Verwaltungsauffassung bestimmten alternativen Investmentfonds unter freilich weiterhin engen Prämissen die Vergabe von Darlehen sowie deren Restrukturierung/Prolongation grundsätzlich gestattet. Diese Verwaltungspraxis wurde nunmehr durch den Gesetzgeber in das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) übernommen. Banken in MediatorenrolleDeutsche Unternehmen finanzieren sich derzeit ganz überwiegend kostengünstig über klassische Bankkredite und Schuldscheindarlehen (So dominieren Privatbanken den Schuldscheinmarkt nach Volumen, Sparkassen nach Anzahl. Pensionsfonds und Versicherer folgen mit deutlichem Abstand.). Hierzulande findet eine Substitution von Banken als Kreditgebern nur graduell, vor allem bei bestimmten margenträchtigeren strukturierten Finanzierungen statt. Die LMA-Pan-European-Private-Placement-Dokumentation scheint daher in Deutschland – abweichend von anderen europäischen Ländern – bislang eher verhalten verwandt worden zu sein.Dies mag sich freilich künftig ändern, insbesondere wenn die Kreditmärkte weniger liquide sind, Banken regulatorische Kosten in stärkerem Umgang weitergeben oder Darlehensnehmer schon heute bewusst einen anderen Investorenkreis erschließen möchten. Schließlich sollte die normative Kraft der Entwicklungen in anderen Ländern nicht unterschätzt werden. Selbst wenn Unternehmen sich künftig über den im Werden begriffenen Paneuropäischen Private-Placement-Markt finanzieren sollten, wird den Banken wegen ihrer Platzierungskraft und/oder weil Darlehensnehmer nicht unmittelbar mit Endinvestoren kontrahieren möchten, eine wichtige Mediatorenrolle zukommen.—-*) Dr. Neil George Weiand ist Partner der Kanzlei Allen & Overy und auf Finanzierungen spezialisiert.