Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer
Alle Piloten weltweit verbindet die Angst vor einem Kontrollverlust über ihre Maschine, sei es aus technischen Gründen, witterungsbedingt oder durch menschliche Eingriffe wie bei einer Flugzeugentführung. Es spricht Bände, dass die berühmteste Lufthansa-Maschine aller Zeiten die “Landshut” ist, die 1977 von palästinensischen Terroristen gekapert und dann durch die GSG 9 in Mogadischu gestürmt und befreit wurde. Glücklicherweise sind solche Ereignisse extrem selten.Eine andere Form des Kontrollverlustes ist die Coronakrise, die die Lufthansa – und alle anderen Luftfahrtunternehmen und Touristikkonzerne weltweit – in eine nie zuvor dagewesene Krise stürzte. Quasi über Nacht ist der weltweite Flugverkehr zum Erliegen gekommen. Kann man dem Unternehmen Lufthansa einen Vorwurf machen, für eine solche Entwicklung nicht vorbereitet zu sein? Mit Sicherheit nicht, denn keine einzige seriöse Quelle weltweit konnte und hat ein solches Ereignis vorhergesehen. Wie eine Naturkatastrophe, ein Tsunami oder ein Erdbeben kam diese Krise und traf ins Herz einer globalisierten Welt. Und damit auch ins Herz der Lufthansa.Spätestens jetzt kommt der Ordnungspolitiker ins Spiel mit der alles entscheidenden Frage: Kann, darf und soll der Staat jetzt einspringen, um ein an sich kerngesundes Unternehmen zu retten? Die Gralshüter der reinen Wettbewerbslehre würden vielleicht sogar die Frage aufwerfen, was ein Walter Eucken oder ein Ludwig Erhard in dieser Situation machen würden. Die Antwort: Wohl selten war ein staatlicher Eingriff zugunsten eines Unternehmens so sehr gerechtfertigt wie in dieser Situation. Ähnlich wie das Kurzarbeitergeld derzeit die deutsche Wirtschaft am Leben erhält und vorbereitet auf den “Tag 1 nach Corona”, so muss auch die deutsche Luftfahrt erhalten werden für den Tag, an dem die Wirtschaft, der Tourismus und die Luftfahrt wieder in Richtung Normalzustand aufbrechen. Stille Beteiligung angeratenAllerdings mischen sich in die Debatte um die Lufthansa-Rettung Töne, die jedem Ordnungspolitiker die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Die Debatte, in welchem Verhältnis Eigenkapital und Fremdkapital erhöht werden sollen, ist eher eine technische Frage. Kredite der KfW sind ein effizientes Mittel, um genügend Liquidität zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls zweckmäßig wäre die Erhöhung des Eigenkapitals, um dem Unternehmen wieder mehr Bodenhaftung zu geben und die Aktionäre zu beruhigen und etwas optimistischer zu stimmen. Eine stille Beteiligung des Bundes mit klaren Ausstiegsregeln für die Zeit nach Corona wäre hier ordnungspolitisch angeraten. Mit Eucken ist daran zu erinnern, dass der Staat nie eigener Spieler im Spiel sein soll, sondern eher der neutrale Schiedsrichter – oder im Coronafall eben der Lebensretter. Eine Einflussnahme des Staates auf die Geschäftspolitik wäre jedoch dringend abzulehnen, weil überhaupt nicht klar wäre, in welcher Weise welche politischen Ziele verfolgt werden sollten.Die Luftfahrt dient in erster Linie dem Bedürfnis nach Mobilität. In einem Land, das wie kein zweites pro Kopf in Reisen und Tourismus investiert, ist Mobilität ein Ausdruck individueller Freiheit. Es gibt andere Ziele der Wirtschaftspolitik, etwa der Erhalt eines hohen Beschäftigungsstandes, Ökologie oder auch soziale Gerechtigkeit. Alle diese Ziele sind interdependent und haben ihre Berechtigung. Allerdings wäre es vermessen, Mobilitätsbedürfnisse gegen andere Ziele auszuspielen. Wenn von einzelnen Politikern gefordert wird, die Lufthansa sollte als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung alte Flugzeuge ausmustern und Ökobenzin tanken, dann wird direkt in Geschäftsprozesse eingegriffen: Der Staat maßt sich Wissen an, das er nicht haben kann.Außerordentlich bedenklich sind vermeintlich ökologisch motivierte Vorschläge, innerdeutsche Flüge zu streichen, um der “ökologisch überlegenen” Deutschen Bahn einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Solange die Deutsche Bahn ihre Service- und Pünktlichkeitsprobleme nicht ernsthaft in den Griff bekommt, werden Geschäftskunden auf dem Weg von Berlin nach Düsseldorf eher auf den Pkw zurückgreifen als auf die Bahn, wenn der Inlandsflug politisch verboten wird. Anpassung an den MarktBesonders schwierig ist die Forderung, mit der staatlichen Unterstützung ginge automatisch der vollständige Erhalt der 140 000 Arbeitsplätze einher. Ohne Zweifel ist der Erhalt einer hohen Beschäftigung in der Coronakrise mit allen Mitteln zu unterstützen. Die Lufthansa ist ein guter und seriöser Arbeitgeber. Aber sicherlich wird in der Nachfrage nach Mobilität und konkret nach Flugreisen für einige Monate, wenn nicht Jahre, ein starker Rückgang festzustellen sein. Hier werden Anpassungen beim Kapital – etwa der Flottengestaltung – und bei der Arbeit notwendig. Diese Zahlen sind Ergebnis eines unternehmerischen Suchprozesses und können nicht durch staatliche Vorgaben im Sinne einer Planerfüllung gewährleistet werden. Politik als blinder PassagierEine der größten Herausforderungen der deutschen Vereinigung vor 30 Jahren war die Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe der DDR. Aus gutem Grund gibt es im vereinten Deutschland kaum noch Staatsbetriebe – mit Ausnahme der wenig erfreulichen Deutschen Bahn. Wer einen solchen Weg für die Lufthansa vorschlägt, der ignoriert die Anreiz- und Kontrollprobleme, die offensichtlich mit staatlichem Eigentum verbunden sind. Am Tag 1 nach Corona steht die Lufthansa wieder im harten Wettbewerb in einem europäischen Luftverkehrsmarkt. Wenn sie blinde Passagiere im Gepäck hat, die die Luftfahrt zu politischen Zwecken instrumentalisieren wollen, wird sie nicht mehr abheben können. Prof. Dr. Dirk Wentzel ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Europäische Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Pforzheim. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Dirk WentzelBei der notwendigen Staatshilfe für die Lufthansa sollten die damit verbundenen Kontroll- und Anreizprobleme berücksichtigt werden.