SERIE - IAA NUTZFAHRZEUGE: NUTZFAHRZEUGE AUF GLOBALEM KURS (3)

Der US-Nutzfahrzeugmarkt taumelt

Plateau wird früher erreicht als prognostiziert - Daimler-Tochter Freightliner setzt sich ab - VW-Partner Navistar glückt Turnaround

Der US-Nutzfahrzeugmarkt taumelt

Der US-Nutzfahrzeugmarkt ist der lukrativste der Welt. Nach starken Jahren sind Bestellungen und Absatz zuletzt aber stark geschrumpft. Die Hersteller hoffen, dass es sich nur um eine Wachstumspause handelt.Von Sebastian Schmid, New YorkZwei Jahre sind in den langen Produktlebenszyklen des Nutzfahrzeuggeschäfts eine kurze Zeit. Bezogen auf die Marktentwicklung können sie indes einiges ausmachen. Bei der IAA-Nutzfahrzeugemesse im Jahr 2014 strotzten die US-Hersteller noch vor Zuversicht. Im ersten Halbjahr waren im Heimatmarkt so viele Heavy Trucks abgesetzt worden wie zuletzt 2006. Die Bestellungen der Klasse-8-Trucks mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 15 Tonnen aufwärts erreichten 2014 mit 302 000 Stück fast einen Rekordwert. Beim Absatz fehlte zu dem besten Jahr für den US-Nutzfahrzeugmarkt allerdings noch einiges, so dass das Potenzial nach oben immens schien. OrdereinbruchZwei Jahre später ist Ernüchterung eingekehrt. Der Auftragseingang ist eingebrochen. In den ersten acht Monaten 2016 gingen für Klasse-8-Trucks gerade noch 116 514 Orders ein – fast 80 000 weniger als in der gleichen Zeitspanne des vergangenen Jahres. 2015 war zudem das starke Niveau des Jahres 2014 bereits nicht mehr gehalten worden. Zuletzt sind nun auch noch die Auslieferungen abgestürzt. Wurden im Januar saisonbereinigt noch 38 600 schwere Lastkraftwagen in den Vereinigten Staaten abgesetzt, waren es im August laut US-Wirtschaftsministerium nur noch 27 600. Laut dem Marktforschungs- und Beratungsunternehmen FTR hat die Nachfrage für Schwerlaster in den Vereinigten Staaten in diesem Sommer ein Mehrjahrestief erreicht. Im Juli sind mit 10 400 Orders so wenige eingegangen wie zuletzt im Krisenjahr 2009. Die absackende Nachfrage hat zu einem rasanten Anstieg der Händlerbestände geführt, die nun langsam zurückgeführt werden müssen. Der wichtige Nutzfahrzeugmarkt, in dem Volkswagen mit der Navistar-Beteiligung Fuß fassen will, steckt in einer Krise. Navistar nützt die strategische Allianz indes. S&P hat deren Rating-Ausblick auf positiv gesetzt. Erlöse schrumpfenDie Ergebnisse der Truck-Produzenten haben sich zum Teil zuletzt zwar dennoch verbessert – allerdings nur dank Einsparungen. So hat der frisch auserkorene VW-Partner Navistar im zweiten Quartal unter dem Strich erstmals binnen drei Jahren mit 4 Mill. Dollar einen kleinen Periodengewinn verzeichnet. Zugleich brach indes der Umsatz des seit Jahren um einen Turnaround kämpfenden Konzerns um fast ein Fünftel auf 2,2 Mrd. Dollar ein. Den Zwischenbericht für das dritte Quartal will Navistar am heutigen Donnerstag vorlegen. Auch andere Truck-Verkäufer kämpfen mit rückläufigem Ab- und Umsatz. Paccar verzeichnete im zweiten Quartal einen prozentual zweistelligen Umsatzrückgang auf 4,2 Mrd. Dollar. Der Gewinn kletterte um 8 % auf 481 Mill. Dollar, wäre allerdings ohne einen Sondereffekt kräftig gesunken. Der US-Konzern hatte für eine erwartete Kartellstrafe von der EU-Kommission 942 Mill. Dollar zurückgelegt, musste letztlich aber nur 827 Mill. Dollar zahlen.Die Volvo-Tochter Mack Trucks sieht in der US-Marktabschwächung lediglich eine Korrektur. Die Flottenbetreiber passten eben ihre Bestellungen an ein langsameres Frachtwachstum an. Mack-Präsident Dennis Sagle hat versucht, die sinkende Nachfrage weitgehend mit Produktionspausen statt mit umfangreichen Entlassungen aufzufangen. Dennoch haben alle großen Anbieter in den vergangenen Monaten mit Stellenstreichungen auf die Flaute reagiert. Schwerlaster-Marktführer Daimler hatte allein im Januar und Februar mehr als 2 000 Mitarbeiter vor die Tür gesetzt. Im Juni folgten mehr als 1 200 weitere in Produktionsanlagen in Mexiko und den USA. VW-Partner Navistar entließ Anfang des Jahres 1 400 Mitarbeiter oder rund ein Zehntel der Belegschaft. Paccar mit den US-Marken Peterbilt und Kenworth hat bereits im vergangenen Herbst Hunderte Mitarbeiter vor die Tür gesetzt. Zuletzt ist der Umsatz im zweiten Quartal aber erneut um 13 % gefallen, so dass auch hier noch weitere personelle Kahlschläge folgen könnten. Nur Pick-up Trucks gefragterDaimlers Tochter Freightliner hat mit einem Absatzrückgang um 5,5 % im ersten Halbjahr zwar schwächer abgeschnitten als der Gesamtmarkt für Light Trucks, Medium Trucks und Heavy Trucks, der laut IHS Automotive nur um 0,8 % nachgab (siehe Grafik). Allerdings täuscht der vermeintlich geringe Rückgang. Der Beinahekollaps des amerikanischen Marktes für Schwerlaster wird durch kräftige Absatzanstiege der Pick-up-Truck-Fraktion kaschiert. Die General-Motors-Tochter Chevrolet steigerte ihren Absatz um 9 %. Die höherklassige Schwestermarke GMC legte gar um 23 % zu. Pick-up-Marktführer Ford baute den Absatz um ein Zehntel aus.Unter den Schwerlasteranbietern steht Daimler derweil hervorragend da. Freightliner hat prozentual den geringsten Einbruch bei den Registrierungen aller Anbieter verzeichnet. Navistar International verzeichnete ein Minus von 14,5 %. Bei den Paccar-Marken Kenworth und Peterbilt betrugen die Rückgänge 14,4 % bzw. 6,9 %. Mack Trucks hat ein Zehntel weniger abgesetzt, während die Konzernmutter Volvo sogar mehr als ein Viertel einbüßte. Derweil hat Daimlers kleinere Schwerlastertochter Western Star sogar ein Plus von knapp 6 % erzielt. Trotz des konzernweiten Registrierungsrückgangs dominiert Daimler den Markt für schwere Lastkraftwagen in den USA daher eindeutig (siehe Grafik).Ein wesentliches Problem der Branche ist die Schwäche der Öl- und Gasgesellschaften, die weniger Schwertransporte benötigen als noch vor einigen Quartalen gedacht. Lichtblicke bieten derweil die amerikanischen Logistikkonzerne. Bei der Hub Group hat der Gewinn im zweiten Quartal etwa um 12 % angezogen. Dass der Umsatz im Lastwagentransport zugleich um 6 % zurückging, bedeutet nicht, dass das Geschäft schrumpfte. Im Wesentlichen ging der Erlösrückgang dem Unternehmen zufolge auf geringere Spritaufschläge zurück. Auch beim Logistikrivalen C. H. Robinson stieg der Gewinn, während der Umsatz prozentual einstellig zurückging. Die transportierte Lademenge ist bei Robinson aber schon wieder gestiegen. Das spricht gegen eine sich verstärkende Nachfrageflaute. Auch die Erwartung, dass die US-Wirtschaft im zweiten Halbjahr wieder kräftiger wächst, dürfte den Nutzfahrzeugherstellern Mut machen. Händler in PanikstimmungAndere Branchenvertreter lassen indes nicht erkennen, dass der Boden schon erreicht sein könnte. Der Schwerlasterhändler Rush Enterprises verzeichnete im jüngsten Quartal einen Umsatzeinbruch um fast ein Viertel auf 1 Mrd. Dollar. Der Gewinn des texanischen Unternehmens halbierte sich dabei nahezu. Firmengründer und CEO “Rusty” Rush nimmt kein Blatt vor den Mund: Der Energiesektor sei schwach, der Frachtmarkt volatil. Zudem wiesen die Flotten zu hohe Anteile an Trucks der Klasse 8 auf und drückten somit den Verkaufswert gebrauchter wie neuer Schwerlaster. In der Situation gebe es nur eine Option – breit angelegte Kostensenkungen. Sein Absatz von Trucks der Klasse 8 habe sich nahezu halbiert, und Rush erwartet nicht, dass sich die Lage 2016 bessert. Während der Händler ein wenig Panik durchschimmern lässt, wollen die Hersteller überwiegend nicht schwarzmalen. Volvo und Daimler verweisen noch auf das starke Vergleichsniveau des Vorjahres. Dieses hatte allerdings die Bestellflut von 2014 als Grundlage. Das Orderbuch für 2017 ist dagegen so leer wie lange nicht mehr.—-Bisher erschienen:- Daimler, 7. September- MAN und Scania, 6. September