„Der Vorgang ist komplett absurd und rechtswidrig“
Im Interview: Markus Haas
„Der Vorgang ist komplett absurd und rechtswidrig“
Der CEO von Telefónica Deutschland zum 5G-Roaming-Antrag von 1&1 und Understatement in der Prognose
Telefónica-Deutschland-CEO Markus Haas geht davon aus, dass der 5G-Roaming-Antrag von 1&1 abgelehnt wird. Er sehe “keine Möglichkeit, die Lizenzbedingungen rückwirkend zu ändern”, erklärt der Manager. Vor der am Mittwoch in Präsenz stattfindenden Hauptversammlung unterstreicht Haas, dass auch für 2023 die Dividendenuntergrenze von 0,18 Euro je Aktie gilt. Im laufenden Jahr werde der Free Cashflow nach Leasingkosten höher ausfallen als die Dividendensumme von 535 Mill. Euro.
Herr Haas, Ralph Dommermuth hat für seine Telekommunikationssparte 1&1 nun offiziell einen 5G-Roaming-Antrag gestellt. Wie schätzen Sie seine Chancen ein?
Dazu aus unserer Sicht zwei Dinge: Erstens hat die EU-Kommission unter Beteiligung der Bundesnetzagentur im Jahr 2019 unseren bestehenden 4G-Roaming-Vertrag genehmigt, um 1&1 den Wechsel vom “Mobile Virtual Network Operator” (MVNO) ohne eigenes Netz zum “Mobile Network Operator” (MNO) wettbewerbskonform zu ermöglichen. Erstaunlich, wenn jemand solch eine Vereinbarung mitträgt und sie dann im Nachhinein als diskriminierend bezeichnet. Wohl wissend, dass man eigentlich das Klassenziel des eigenen Netzausbaus ganz weit verfehlt hat. 2019 sind alle Lizenznehmer zusammen an den Start gegangen. Nun hat einer eine 6 bekommen und will jetzt vom Nachbarn abschreiben. Diese Dreistigkeit muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
Aber wird die Bundesnetzagentur Dommermuths Wunsch entsprechen?
Ich gehe davon aus, dass die Bundesnetzagentur das nicht genehmigen wird. Wir bei Telefónica Deutschland haben in vier Jahren 82% Bevölkerungsabdeckung mit 5G erreicht. Das hätten auch andere schaffen können, zumal das Unternehmen 1&1 immer darauf hingewiesen hat, dass es nicht auf einem bestehenden Netz aufsetzen muss und daher viel schneller bauen kann. Als wir 1998 gestartet sind, mussten wir 75% Netzabdeckung in vier Jahren realisieren, 1&1 hat für 25% Netzabdeckung sechs Jahre Zeit. Wenn man investieren will, ist das möglich in Deutschland.
Aus Ihrer Sicht gibt es also keine Rechtsgrundlage für 5G-Roaming?
Für den jetzigen Roaming-Antrag von 1&1: Nein. Denn es gibt es keine Möglichkeit, die Lizenzbedingungen rückwirkend zu ändern. Die Spielregeln für die 2019 versteigerten Frequenzen wurden mit den Bedingungen 2019 festgelegt. Dann müsste man ja die Auktion rückabwickeln. Telefónica Deutschland hat 1,4 Mrd. Euro für Frequenzen bezahlt und zwar mit den Auflagen, die bekannt sind. Für die Zukunft kann die Bundesnetzagentur neue Regeln festlegen, aber sie kann nicht rückwirkend die Spielregeln ändern. Deshalb ist dieser Vorschlag komplett absurd und rechtswidrig.
Sie haben den Preis für die Lizenzen angesprochen. Ist der schon geflossen oder noch zum Teil gestundet?
Grundsätzlich haben wir mit der Bundesregierung einen Zeitplan vereinbart, und den hat jedes Unternehmen individuell abgeschlossen. Es handelt sich um eine Pro-Rata-Verteilung über zehn Jahre. Bei uns sind bisher rund 30% bezahlt.
Es gibt ja auch bei Telefónica Deutschland eine leichte Zielverfehlung bei Ausbauauflagen. Rechnen Sie damit, dass die Bundesnetzagentur, die ein Bußgeldverfahren gegen 1&1 eingeleitet hat, auch Ihnen eine Geldbuße auferlegt?
Um das gesamte Auflagenpaket 2019 zu erfüllen, haben wir fast 20.000 Maßnahmen im Netz vorgenommen. Unsere Techniker haben hart gearbeitet: Dazu gehörte es, neue Standorte sowie bestehende Standorte auf- und umzurüsten. Und mit diesen 20.000 Maßnahmen haben wir alle Auflagen nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt – bis auf eine zweistellige Anzahl von Standorten, die wir nicht bauen konnten, weil wir keine Baugenehmigung hatten. Wenn Sie das ins Verhältnis setzen, haben wir 19.960 Maßnahmen umgesetzt. Darüber hinaus haben wir unsere Standorte ertüchtigt, um insbesondere die 100 Mbit-Übertragungsrate zu erreichen. Wir gehen daher davon aus, dass wir keine Strafe bekommen. Wir haben wirklich alles getan , um diese Auflagen zu erfüllen.
Ein Thema, das auch mit 5G zusammenhängt, ist die Frage nach einer Diensteanbieterverpflichtung. Telekom-Chef Tim Höttges hat sich über ein entsprechendes Ansinnen von Freenet zu 5G empört. Wie sehen Sie das?
Es gibt nach meinem Kenntnisstand in keinem europäischen Land durchregulierte Diensteanbieterverpflichtungen. Da muss man sich natürlich fragen, was die Grundlage dafür sein soll, wenn ich als nicht-marktbeherrschendes Unternehmen Auflagen auferlegt bekomme. In keinem anderen Land gibt es die Möglichkeit, das eigene Geschäftsmodell qua Regulierung für immer abgesichert zu bekommen. Das ist aus unserer Sicht nicht sachgerecht. Wir sind mit Freenet kontinuierlich in konstruktiven Verhandlungen. Aber in allen anderen Ländern finden diese Verhandlungen auf kommerziellem Weg statt. In Deutschland sollen nun Regelungen aus den 1990er Jahren hervorgeholt werden, die nicht mehr die Anforderungen des digitalen Zeitalters berücksichtigen. Diese stehen dem Risikoprofil von Investition und Innovation aus unserer Sicht diametral entgegen.
Zum Geschäft: Der Umsatz ist im ersten Quartal stark gewachsen, um 8%. Dennoch rechnen Sie im Gesamtjahr nur mit einem Plus im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Was bremst die Dynamik?
Wir haben für das Geschäftsjahr 2023 den Ausblick gegeben, dass wir beim Umsatz im niedrigen einstelligen Bereich wachsen wollen. Wir sind gut ins Jahr gestartet. Wir schauen uns jetzt an, wie sich das zweite Quartal entwickelt. Was wir uns vorgenommen haben, werden wir auf jeden Fall schaffen.
Also da ist ein bisschen Understatement dabei, das verstehe ich. Sie würden das gegebenenfalls noch mal anpassen, falls jetzt auch das zweite Quartal so läuft wie zu Jahresbeginn?
Sie haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass wir eher dafür bekannt sind, unsere Prognose überzuerfüllen, als sie zu verfehlen. Wir haben ein sehr starkes Quartal beim Mobilfunk-Serviceumsatz geliefert und sind im Hardwareverkauf sehr gut gestartet. Wir wachsen auch im Festnetz sehr stark, mit Steigerungen von aktuell 5,5%. Das heißt, alle unsere Segmente wachsen. Das ist erst einmal positiv. Wenn jetzt auch die makroökonomische Entwicklung weiter positiv ist – das heißt, wenn die Arbeitslosenquote nicht weiter steigen sollte und die Inflation sich schrittweise reduziert -, dann bin ich sehr optimistisch für den Rest des Jahres.
Mit Blick auf die margenstarken Mobilfunk-Serviceerlöse hält die Ergebnisentwicklung nicht Schritt. Rechnen Sie damit, dass der Kostenschub im Jahresverlauf wieder abnimmt?
Wir wollen natürlich die Marge weiter steigern, das ist klar. Allerdings ist der Hardwareumsatz ein weitgehend margenneutraler Posten. Die Mobilfunkmarge ist leicht steigend. Wir haben aber einen saisonalen Vergleichseffekt. Im Vorjahr kamen die erhöhten Kosten nicht mit Beginn des ersten Quartals, sondern erst mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine Ende Februar. Zuvor hatten wir noch den Vorteil sehr niedriger Energiekosten. Im Jahresverlauf sieht das auch in den Vorjahresmonaten dann anders aus.
Wenn ich auf den Cashflow schaue, so ist der auch ohne Berücksichtigung von Leasingkosten gesunken. Was steckt dahinter und wie geht es im Jahresverlauf weiter?
Wir haben für 2023 das Ziel, einen Free Cashflow nach Leasingzahlungen zu erzielen, der höher ist als unsere Dividende, die sich in Summe auf 535 Mill. Euro beläuft. Das werden wir auch schaffen. Der Grund für den erhöhten Mittelabfluss im ersten Quartal liegt in den Zahlungszielen für Investitionen, die wir 2022 gebucht haben. Wir haben eigentlich immer im ersten und zweiten Quartal des Jahres höhere Zahlungen zu leisten, auch wegen der Mieten für die Mobilfunkstandorte. Im dritten und vierten Quartal sehen wir dann in der Regel wieder einen steigenden Cashflow.
Die Mobilfunkerlöse sind zuletzt mit 4,2% sehr deutlich gewachsen, auch gemessen am Wettbewerb. Wie lange wird das so weitergehen?
Zunächst ist wichtig: der Gesamtmarkt wächst, weil neue Dienste dazukommen, neue Endgeräte, aber insbesondere auch das mobile Datenwachstum ungebrochen ist. Das mobile Datenwachstum liegt immer noch nahe 50 %. Das gibt allen Marktteilnehmern die Möglichkeit, höhere Datenpakete zu verkaufen, neue Tarifmodelle anzubieten und letztendlich das Datenwachstum damit zu monetarisieren.
Sind ihre Netze dafür jetzt gerüstet oder steigt der Investitionsdruck wieder an?
Wir haben uns eine Investitionsquote von ungefähr 14% auf den Gesamtumsatz vorgenommen. Das ist sehr, sehr ordentlich. Wenn Sie das ausrechnen, kommen sie auf fast 1,2 Mrd. Euro, abhängig davon wie sich der Umsatz entwickelt. Insofern sind wir da gut aufgestellt.
Die Dividende ist während Ihres investiven Kraftakts stabil geblieben? Wann dürften die Investoren die Früchte ernten?
Wir haben uns als Unternehmen einer attraktiven Aktionärsvergütung verpflichtet. Mit der im Zuge der Telxius-Transaktion erhöhten Dividendenuntergrenze von 0,18 Euro je Aktie beteiligen wir unsere Aktionäre an unserem nachhaltigen Geschäftserfolg. Telefónica Deutschland verfügt über eine starke Bilanz mit einem gleichmäßigen Fälligkeitsprofil der Verbindlichkeiten in den nächsten Jahren. Das versetzt uns in die Lage, in Geschäftsmöglichkeiten zu investieren und gleichzeitig eine hohe Vergütung an unsere Aktionäre auszuschütten. Im Geschäftsjahr 2023 kehren wir wie geplant zu einer normalisierten Investitionsquote zurück. Die Untergrenze von 0,18 Euro gilt übrigens auch noch für das laufende Geschäftsjahr 2023 und wird entsprechend den Rahmen für die Ausschüttung des Jahres 2024 bilden. Unsere Dividendenpolitik sieht unverändert eine hohe Ausschüttungsquote im Vergleich zum Free Cashflow after Leases vor.
Ein Thema, das derzeit alle beschäftigt, ist Künstliche Intelligenz (KI). Wie beurteilen Sie grundsätzlich den Regulierungsrahmen, den die EU geschaffen hat, sowie die neuen Datenschutzregeln, die für KI-Anwendungen ja auch relevant sind?
Wir als Telefónica haben uns sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene bereits vor fünf Jahren einen Rahmen gegeben, wie wir KI bei uns einsetzen. Ein entscheidendes Kriterium ist dabei, dass die letzte Entscheidungsinstanz im Umgang mit Daten immer beim Menschen liegt. Wir sehen das, was wir im Prinzip schon vor fünf Jahren uns selber auferlegt haben, jetzt letztendlich auch abgebildet in der aktuellen europäischen Diskussion. Ich glaube, auf der Basis europäischer Werte sollten alle die Möglichkeit haben, KI zu nutzen und KI als Chance zu sehen.
Telefónica Deutschland hat ja bereits eigene Datengeschäftsmodelle aufgesetzt. Wie läuft es da?
Wir haben das industrialisiert. Mit unserem Partner Terralytics bieten wir komplett anonymisierte Bewegungsdaten für zahlreiche Geschäftsmodelle an. Prominentestes Beispiel dafür war ein Projekt mit dem Robert-Koch-Institut in der Corona-Zeit: Man konnte sehen, wie sich die Mobilität in Deutschland entwickelt, also ob die Maßnahmen greifen oder nicht. Aber insbesondere auch für Verkehrsplanung, zum Beispiel für neue Strecken, ist das relevant.
Im Datengeschäft geht es stark um Skalierung: Sind auch gemeinsame Projekte der Netzbetreiber denkbar?
Wir sind froh, dass wir eine Anonymisierungslösung gefunden haben, die vom TÜV zertifiziert ist und die letztendlich auch auf einer großen Fallzahl beruht. Wir sind der größte Mobilfunkanbieter in Deutschland und verbinden rund 44 Millionen Menschen. Das reicht für aussagefähige Daten mehr als aus. Kooperationen von Netzbetreibern sind schwierig, da wir immer wieder unterschiedliche Standards nutzen und keinen gemeinsamen Datenpool haben. Was aber fehlt – und das ist ein guter Punkt – ist, dass wir Daten zwischen Industrien austauschen, mit Logistikunternehmen, mit anderen Verkehrsunternehmen, auch mit dem produzierenden Gewerbe.
Wie groß ist das Geschäft inzwischen?
Noch klein, aber leicht skalierbar.
Gibt es Fortschritte beim Thema Fair Share, also der Beteiligung von Big Tech an den Kosten der von ihnen genutzten Infrastruktur?
Da läuft derzeit noch die Anhörungsphase. Für mich ist aber klar, dass dringend Handlungsbedarf besteht. Ein Beispiel: You-Tube-Musikvideos. Die laufen nur für den Musikkonsum, das Smartphone bleibt meist in der Tasche, das Video wird sozusagen verschwendet und belastet die Netze mit ‘Video-Waste’. Die Nutzer schauen das Video nicht, aber der Datenverbrauch ist Realität. Google war dazu bisher nicht gesprächsbereit. Vielleicht ein extremes Beispiel, aber ein klarer Fall von Marktversagen.
Wann denken Sie, dass die EU-Kommission aus der Befragung nächste Schritte ableitet?
Ich kenne keinen offiziellen Zeitplan. Aber ich gehe davon aus, dass die EU das Thema zeitnah angehen will. Der Missstand ist von der EU bereits erkannt worden mit dem Start der Konsultationen zu diesem Thema.
Das Interview führte Heidi Rohde.