IM BLICKFELD

Deutsche E-Autos kommen nur langsam in die Gänge

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 14.12.2017 Die Elektromobilität auf deutschen Straßen kann mit stolzen Zahlen aufwarten - prozentual. Im bisherigen Jahresverlauf haben sich die Neuzulassungen von E-Autos mit 116 % mehr als verdoppelt,...

Deutsche E-Autos kommen nur langsam in die Gänge

Von Ulli Gericke, BerlinDie Elektromobilität auf deutschen Straßen kann mit stolzen Zahlen aufwarten – prozentual. Im bisherigen Jahresverlauf haben sich die Neuzulassungen von E-Autos mit 116 % mehr als verdoppelt, listet das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auf. In den nächsten drei Jahren dürfte das Angebot von BMW, Daimler, VW & Co. um satte 200 % auf gut 100 E-Modelle hochschnellen, kündigen die Autobauer an – es verdreifacht sich also. Und Matthias Wissmann, Chef des Branchenverbands VDA, konstatiert nicht ohne gewissen Stolz, dass gut jedes zweite in Europa neu zugelassene E-Auto von deutschen Herstellern stammt, die zudem über etwa ein Drittel aller weltweiten Patente beim Elektro- und Hybridantrieb verfügten. Alles gut also?Relativ gesehen: ja. In absoluten Zahlen: nein! Denn trotz der enormen Zuwachsraten ließ das KBA im November gerade einmal 3 031 batteriebetriebene EVs (Battery Electric Vehicle, BEV) erstmals zu und 8 662 Pkw mit Hybridantrieb – verglichen mit 289 000 Autos mit Benzin- oder Dieselmotor. Vollkommen ungenügend ist zudem die Ladeinfrastruktur, die sich bis dato auf gut 10 000 öffentlich zugängliche “Stromtankstellen” beschränkt. Viel zu wenig, um das E-Auto zur problemlos zu nutzenden Alternative zu machen.Doch kann die Elektromobilität überhaupt zur wirklichen Alternative für Benziner und Selbstzünder werden? Diese sind immer und überall nutzbar und problemlos zu tanken, während – mit Ausnahme von Tesla – bisherige BEVs meist viel zu geringe Reichweiten haben. Hinzu kommen Vorwürfe von Kinderarbeit beim Abbau der für Batterien notwendigen Rohstoffe. Ein (lösbares) Problem ist die Entsorgung der rohstoffreichen Lithium-Ionen-Stromspeicher, genauso wie der Verweis darauf, dass E-Autos beim herkömmlichen Mix mit 40 % Kohlestrom nicht wesentlich umweltfreundlicher seien als herkömmliche Pkw.Und doch investiert allein die deutsche Automobilindustrie bis zum Jahr 2020 über 40 Mrd. Euro in alternative Antriebe, addiert der Branchenverband VDA. Offensichtlich gibt es für die Hersteller überzeugende Gründe für die teuren und unpraktischen E-Autos, die alle Bedenken beiseiteschieben und wichtiger sind als die einstige Bitte von Fiat-Chef Sergio Marchionne, der potenziellen Käufern abriet, den 500 e zu erstehen, weil Fiat mit jedem verkauften “Stromer” Verlust mache. China gibt die Richtung vorFür E-Autos sprechen dagegen die Brüsseler CO2-Vorgaben, die ohne ein gerüttelt Maß an emissionsfreien Pkw nicht zu erreichen sind. Und zweitens der weltgrößte Automarkt China mit prognostiziert 24,6 Millionen Pkw im kommenden Jahr. In den USA dürften nur 16,8 Millionen Pkw und Light Trucks abgesetzt werden, in Europa lediglich 15,6 Millionen. Für die deutsche Industrie, die etwa jedes dritte produzierte Auto im Reich der Mitte verkauft, sind dortige Vorgaben folglich wichtiger als noch so berechtigte Bedenken hierzulande. Chinas kommunistische Partei und Regierung diktieren Wolfsburg, Stuttgart und Ingolstadt, was wichtig ist und was nicht.Angesichts versmokter Städte hat Peking die Autobauer verpflichtet, ab 2019 mindestens 10 % ihrer Autos mit alternativen Antrieben zu verkaufen – ansonsten drohen Strafen. Dabei bekommen die Hersteller für BEVs mehr Punkte gutgeschrieben als für PHEVs, die Plug-in Hybrid Electric Vehicles. Je geringer die batteriegefahrene Reichweite ist – die von den Herstellern passgenau, aber realitätsfern auf Brüsseler Vorgaben getrimmt wird -, desto kleiner die Gutschrift. Kein Wunder, dass Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) Plug-in-Hybride als “stark regulativ getriebene Übergangsstrategie” bezeichnet, die eher einem “Feigenblatt” glichen als einer veritablen Zukunftsstrategie.Während die deutschen Autobauer bei PHEVs Technologieführer seien, sortiert sie Bratzel bei rein batteriebetriebenen Autos allenfalls ins Mittelfeld, weit hinter Tesla, Renault-Nissan und den chinesischen Herstellern BYD und Beijing Automotive Group (BAIC). Hier zeigt sich der zweite Effekt der chinesischen Elektrostrategie: Neben dem Umweltaspekt ist Peking interessiert, eine eigene schlagkräftige Automobilindustrie aufzubauen. Da die Chancen gering sind, den gut 100-jährigen Vorsprung westlicher Motorenbauer aufzuholen, pusht Peking den technisch simpleren E-Motor als Keimzelle einer eigenen Industrie. Die kommt inzwischen auf stolze Absatzzahlen: Nach der neuen Monatsstatistik des chinesischen Herstellerverbands CAAM schnellten die Verkäufe von Pkw mit elektrischem oder hybridem Antrieb im November um 70 % auf 122 000 Autos hoch. Im bisherigen Jahresverlauf kletterte der Absatz von Autos mit alternativen Antrieben um gut die Hälfte auf 609 000 – zum allergrößten Teil aus heimischer Produktion.Die deutschen Hersteller hätten sich zu lange mit dem Dieselmotor aufgehalten, urteilt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR Center Automotive Research. Nachdem die Plug-in-Hybride mit dem chinesischen Punktesystem zum “Auslaufmodell” wurden, sei es an der Zeit, dem Tesla als rein batteriegetriebenes Auto zu folgen mit künftigen Reichweiten von 500 Kilometern und mehr. Ein Weg, den die hiesigen Autobauer inzwischen auch beschreiten – spät, aber besser spät als nie.