FOKUSSIERUNG IM TREND - IM GESPRÄCH: CHRISTIAN KAMES, J.P. MORGAN

Deutsche Konzerne pflügen Portfolio um

Jede Menge Abspaltungen in Europa - Aktivisten lauern im Hintergrund - Kontrastprogramm zu amerikanischen Tech-Konglomeraten

Deutsche Konzerne pflügen Portfolio um

Diversifikation ist out, Fokussierung in. Deutsche Konzerne gehen verstärkt Abspaltungen von Geschäftszweigen an. In Europa schlägt die von Aktionärsaktivisten getriebene Welle Rekorde.Von Walther Becker, Frankfurt”2017 ist ein großes Jahr für Spin-offs und Carve-outs in Europa, stärker noch als in den USA.” Christian Kames weist im Gespräch mit der Börsen-Zeitung auf den Portfolioumbau gerade auch der deutschen Konzerne hin. Er führt das deutsche Investment Banking von J.P. Morgan und gilt als einer der einflussreichsten M&A-Berater. “Diese Abspaltungen können unmittelbaren Wert für Aktionäre schaffen.” Kames geht davon aus, dass auch im nächsten Jahr Abspaltungen und Separierungen, also “aktives Portfoliomanagement”, ein großes Thema sein werden. Dafür sorgt nicht zuletzt der Druck von Seiten der Aktionärsaktivisten. Zwei WegeZwei Wege stehen offen: Spin-offs, bei denen den Anteilseignern Aktien eines abgespaltenen Teils ins Depot gelegt werden wie dies zuletzt bei Eon/Uniper oder Metro der Fall war; oder ein öffentliches Angebot als Carve-out für ein separat gelistetes Unternehmen, wie RWE/Innogy, Siemens/Osram oder Bayer/Covestro.Vollziehen die Europäer nicht etwas nach, was in den USA mit Blick auf Amazon, Alphabet (Google) oder Apple schon wieder der Vergangenheit angehört, als Tech-Konzerne den Aktionsradius und ihr Imperium ausbauten? “Bei diversifizierten Industrieunternehmen ist der Druck der Aktionäre, durch Fokussierung Wert zu schaffen, mittlerweile sehr hoch. Bei Technologieunternehmen, die starkes Wachstum aufweisen und ihr Geschäftsfeld permanent erweitern, stehen andere Dinge im Vordergrund.” Doch auch US-Konzerne, die ihre Investoren enttäuschen, müssen sich neu erfinden, wie es General Electric mit harten Schnitten zur Konzentration auf Luftfahrt, Gesundheit und Energie demonstriert. Auch Honeywell und United Technologies sowie DowDupont.In Zugzwang geraten Unternehmen, bei denen aktivistische Investoren Themen finden. Meist sind dies eine “unterdurchschnittliche Aktienkursentwicklung, ein zu niedriges Wachstum, zu geringe Margen oder eine ineffiziente Kapitalstruktur”. In Europa sei lange Zeit über aktivistische Investoren diskutiert worden, jetzt scheinen sie tatsächlich vermehrt aktiv zu werden. Auch bekannte US-Aktivisten haben mittlerweile Europa entdeckt. Und die Reaktion? “Deutsche Unternehmen nehmen das Risiko, Gegenstand einer aktivistischen Kampagne zu werden, mittlerweile deutlich ernster als früher.” Doch während Manager in Amerika konsequenter und radikaler Spin-offs umsetzen, wird hier zunächst eher nur ein Fuß ins Wasser gesetzt. Corporate Governance bilde anders als in Amerika hier in geringerem Umfang Angriffspunkte.”Fokussierung ist derzeit in Europa aus Sicht der Investoren weit wichtiger als Diversifizierung.” Die in anderen Phasen gepriesenen Synergien zwischen einzelnen Geschäftsbereichen machen längst der Konzentration aufs Kerngeschäft Platz. Abschlag für KonzerneWesentliche Vorteile der Separierung von Geschäften können nach Einschätzung von J.P. Morgan eine höhere Bewertung, stärkere Aufmerksamkeit der Investoren für die einzelnen Sparten, höhere Transparenz und eine vereinfachte Unternehmensstruktur sein. Damit sei das Management in der Lage, sich besser fokussieren und flexibler die Performance zu steigern. Eine geringere Komplexität erlaube direkte Zugänge zu Kapital und eine auf die Aktivitäten zugeschnittene Kapitalstruktur. Dies erlaube eigene Akquisitionen der Teile sowie Partnerschaften.Spin-offs sind am häufigsten in diversifizierten Industrien inklusive der Chemie zu beobachten, die ihre Strategie neu ausrichten. “Oftmals gibt es wenige bis keine Synergien zwischen verschiedenen Geschäftsbereichen, unterschiedliche Finanzprofile und unterschiedliche Herausforderungen in den jeweiligen Märkten. Da bieten sich dann eine vollständige Separierung und ein eigenständiges Auftreten am Kapitalmarkt an”, sagt der Banker. Einzelaktien belegen den positiven Trend – so der Kursverlauf etwa von Paypal gegen Ebay in den USA oder von Uniper gegen Eon, Covestro zu Bayer oder Osram versus Siemens.Gerade in der Autoindustrie geht der Spaltpilz um. So verpasst sich Daimler eine Holdingstruktur und separiert Pkw/Vans und Lkw/Busse sowie Finanzdienstleistungen in – zunächst lediglich – rechtlich selbständige Einheiten. Begründet wird dies mit stärkerer Kundennähe, doch dürfte vor allem der Blick auf höhere Bewertung dahinterstehen: Das zeigt der Blick auf Volvo als reinen Lastfahrzeughersteller und BMW, die nichts anderes als Personenwagen baut. Daimler-Investoren müssen dagegen in der Bewertung den Konglomeratsabschlag hinnehmen – eine Trennung und eine Bewertung auf Basis der Multiples dieser beiden Rivalen jeweils für die einzelnen Teile könnte den Wert des Ganzen für die Aktionäre enorm erhöhen.Auch ein möglicher Börsengang der Trucksparte von VW kann Thema werden: Die Herauslösung ist eine der Optionen, die Spartenchef Andreas Renschler auf dem Tisch hat. Solche Pläne haben zwar direkt nichts mit dem Thema E-Mobilität zu tun, doch der Dieselskandal steht im Hintergrund: Er beschleunigt das Ende des Verbrennungsmotors – für die Umrüstung auf E-Mobilität sind große Umstellungen, mehr Flexibilität und frisches Kapital erforderlich.Der inzwischen in England sitzende Zulieferer Delphi, 1999 von General Motors abgespalten, trennt das angestammte Powertrain-Geschäft (Antriebsstrang) von der Elektronik; Schwedens Autoliv, Weltmarktführer für Airbags, teilt sich in Sensorik/Elektronik und das tradierte Geschäft auf; die britische GKN diskutiert über die Trennung der Luftfahrtzulieferung von Automotive.”Deutsche Konzerne sind sehr stark im Portfolioumbau”, beobachtet Kames, der vor J.P. Morgan für Citi und Goldman Sachs tätig war. So baut Bayer die Agrochemie mit der 66 Mrd. Dollar schweren Akquisition von Monsanto aus und hatte die Kunststoffe abgespalten; über Hochtief läuft mit der Offerte für Abertis der zweitgrößte Auslandsdeal eines deutschen Unternehmens bisher.Siemens gilt als Paradebeispiel für Bewegung im Portfolio. Das Windgeschäft wurde mit dem von Gamesa zusammengelegt, die Bahnaktivitäten werden mit Alstom auf eine Schiene gesetzt und in Software wird milliardenschwer zugekauft. Doch vor allem: Der Markt wartet auf den seit langem angekündigten Mega-Börsengang der Medizintechnik – die wohl größte Abspaltung hierzulande bisher. Aus 1 mach 2In der Mache sind in Europa etwa die Abspaltung von Alcon, der Augenheilkunde von Novartis, Akzo Nobel/Spezialchemie oder des Energiegeschäfts von Møller-Mærsk. Thyssenkrupp beabsichtigt die Verschmelzung des Stahlgeschäfts mit dem der nicht börsennotierten Tata, was eine Abtrennung der Stahlsparte von dem Investitionsgüterkonzern zur Folge haben kann. Metro hat aus eins schon zwei gemacht: einen Lebensmittelanbieter (Großmärkte, Real) und eine Elektronikkette (Media Markt, Saturn). Die beiden größten Energieversorger teilten sich 2016 auf und haben dabei Uniper und Innogy gebracht. Zuvor hatte Bayer das Kunststoffgeschäft als Covestro über ein IPO platziert und Siemens die Osram-Mehrheit an die Aktionäre verteilt und dabei zunächst ein erkleckliches Paket behalten. Beispiele für Carve-outs in Europa liefern unter anderem Galenica Santé in der Schweiz, ALD/Société Générale in Frankreich und Steinhoff mit dem IPO der Afrikaaktivitäten.