DAS CFO-INTERVIEW – IM INTERVIEW: CHRISTOPH BURKHARD

"Deutschland bleibt enorm wichtig für uns"

Der Finanzchef des Windturbinenbauers Nordex über die Delle im Heimatmarkt, über Produktqualitäten und globale Lieferketten

"Deutschland bleibt enorm wichtig für uns"

– Herr Burkhard, Goldman Sachs vertritt die Ansicht, Nordex sei im Konkurrenzvergleich der am schlechtesten positionierte Hersteller von Windkraftanlagen. Die geringere Größe und der starke Fokus auf den deutschen Absatzmarkt seien ungünstig für die Margen. Was sagen Sie zu der Einschätzung?Das Argument der fehlenden Größe hören wir oft, es ist aber aus unserer Sicht zu undifferenziert. Es gibt sicherlich Bereiche, in denen Skaleneffekte ein Vorteil sind. Aber Größe allein ist kein Garant für eine erfolgreiche Produktstrategie, und sie ist auch kein Indiz für Kundennähe und Geschwindigkeit. Auch das Argument, dass wir stark auf den deutschen Markt ausgerichtet seien, was auf die Marge drücke, passt nicht. Deutschland gehörte lange zu den sehr profitablen Märkten. Inzwischen haben sich die Margen im Zuge der Einführung des Auktionsverfahrens im vergangenen Jahr an das internationale Niveau angepasst. Inseln mit Einspeisevergütungen gibt es kaum noch. Deutschland bleibt enorm wichtig für uns. Nach einer Delle in den Jahren 2018 und 2019 wird der deutsche Markt nach unserer Einschätzung wieder stark an Volumen zulegen. – Analysten kommen aktuell zu überwiegend negativen Einschätzungen der Aktie. Ist nach dem vorjährigen Kursverfall jetzt der Zeitpunkt zum Einstieg gekommen oder noch nicht?Das können und wollen wir nicht kommentieren. Eine unserer wesentlichen Aufgaben ist es, für maximale Transparenz zu sorgen. Die Kommunikation mit den Marktteilnehmern hat für uns als Management Team große Bedeutung. Wir wollen, was aktuelle Entwicklungen im Unternehmen und was unsere Ziele sowie deren Erreichung angeht, ein möglichst präzises Bild abgeben. – Früher hat Nordex Prognosen zum Auftragseingang abgegeben, was Sie jetzt nicht mehr tun. Hier fehlen dem Markt doch Informationen.Wir geben keine Prognose zum Auftragseingang mehr ab. Im Projektgeschäft ergeben sich regelmäßig kurzfristige Verschiebungen von Aufträgen in Folgequartale. Diese mussten in der Vergangenheit dann immer im Nachhinein erklärt und gerechtfertigt werden. Das führte auf allen Seiten zu Enttäuschungen und hat niemandem geholfen. Daher stößt unser Vorgehen mittlerweile auf breite Akzeptanz und ist Standard in der Industrie. – Nordex hat auf ein schwieriges Jahr 2018 mit einem zu erwartenden Umsatzrückgang und Jahresverlust eingestimmt. Nun hat sich in den ersten drei Monaten der Auftragseingang im Vorjahresvergleich auf rund 1 Gigawatt fast verdreifacht. Wie passt das mit den Jahreserwartungen zusammen, und wie ist der Anstieg beim Ordereingang zu erklären?Wir sind mit dem Auftragseingang im ersten Quartal zufrieden. Es gab eine Reihe größerer Projekte in der Türkei, Schweden, Mexiko und den USA, die so geplant waren. Sondereffekte sind keine dabei, insofern entsprechen die Zahlen auch unseren Erwartungen. Man muss auch nüchtern konstatieren, dass die Vergleichszahl vom Vorjahr unbefriedigend war. – War das erste das stärkste Quartal im laufenden Jahr?Darüber möchte ich nicht spekulieren. Wie gesagt, wir geben keine Auftragseingangsprognose ab, und der Auftragseingang des ersten Quartals entspricht unseren Erwartungen. – Woher stammen die Aufträge im ersten Quartal?Die Aufträge kamen jeweils etwa zur Hälfte aus Europa und aus Märkten außerhalb Europas.- 2017 hat sich eine weitere Verlagerung der Geschäfte in die europäischen und außereuropäischen Auslandsmärkte ergeben, die rund 89 % des Auftragseingangs ausmachten nach 64 % im Jahr zuvor. Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie?Seit dem Zusammenschluss mit Acciona Windpower 2016 sind wir weltweit in allen wichtigen Märkten vertreten. Die Verschiebung des Auftragseingangs spiegelt insofern unsere globale Aufstellung wider. Wir rechnen mit einer weiteren Verstärkung dieses Trends parallel zur globalen Marktentwicklung. Mittel- bis langfristig sollte es zu einer gewissen Gegenbewegung kommen, wenn sich der deutsche Markt wieder erholt hat. – Welche Bedeutung hat der Kernmarkt Deutschland, der 2017 einen Anteil von knapp 30 % am Konzernumsatz von rund 3,1 Mrd. Euro hatte, mittel- bis langfristig für Nordex?Deutschland hat für Nordex unverändert eine sehr große Bedeutung. Und ich sage ganz bewusst “unverändert”, da wir ungeachtet der aktuellen marktbedingten Umsatzdelle vertrieblich einen sehr starken Fokus auf Deutschland haben. Wir wollen unsere Kunden in Deutschland mit unserem neuen Produkt in der 4-Megawatt-Klasse, der Delta 4 000, bestmöglich bei der erfolgreichen Teilnahme an den Auktionen unterstützen. – Da gibt es nach dem vorjährigen Abbau von rund 450 Stellen keine Abstriche?Nein, absolut nicht. – Mit welcher Umsatzentwicklung rechnen Sie?Insgesamt prognostizieren wir für Nordex 2018 einen Umsatz zwischen 2,4 und 2,6 Mrd. Euro. Der Umsatzrückgang im Vergleich zum Vorjahr erklärt sich vorwiegend mit dem schrumpfenden Markt in Deutschland. Auf welchem Niveau sich die Umsätze mittelfristig in Deutschland wieder einpendeln, wird davon abhängig sein, wie sich der deutsche Markt insgesamt nach der Einführung des Auktionssystems entwickelt. Zusätzliche Auktionsvolumina für Deutschland wären sowohl für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und damit für die Erreichung der Klimaziele als auch für die Industrie sehr wichtig. – Die Wirtschaftlichkeit der Windenergieanlagen ist entscheidend für den Markterfolg. Wie sehen Sie Nordex mit den aktuellen Produkten im Verhältnis zum Wettbewerb aufgestellt?Wir sehen uns sehr gut aufgestellt. Ein aktuelles Beispiel ist unser Erfolg in den USA. Der US-Markt gehört zu den wettbewerbsintensivsten Märkten überhaupt. Dort können wir kontinuierlich Auftragseingänge verbuchen. Wir erhalten ferner erste sehr positive Reaktionen von Kunden auf unsere Delta 4 000, die neue Turbine in der 4-Megawatt-Klasse, die wir ab 2019 errichten werden.- Wann wird es denn möglich sein, den Preisdruck in den Auktionen durch niedrigere Stromgestehungskosten vollständig auszugleichen?Damit rechnen wir ab 2020. – Welche Senkung der Stromgestehungskosten streben Sie kurz- bis mittelfristig an, und wie sollen die Ziele erreicht werden?Unser Ziel ist es, die Stromgestehungskosten kontinuierlich im hohen einstelligen Prozentbereich zu reduzieren. Dafür gibt es vor allem zwei Ansätze: weitere Effizienzsteigerungen der Turbine und die kontinuierliche Optimierung der globalen Lieferkette. – Kritische Faktoren für den Markterfolg sind neben der technischen Qualität der Produkte Produktionskosten, eine wettbewerbsfähige Lieferkette und Serviceleistungen. Was hat für Sie Vorrang? Alle diese Punkte erfordern höchste Priorität und bekommen von unserer Seite gleich hohe Aufmerksamkeit. – Welche Rolle spielt in diesem Jahr das Working-Capital-Management, auch mit Blick auf den freien Cash-flow? Das Working-Capital-Management spielt eine sehr prominente Rolle. Die Stärkung unseres Cash-flows ist die Motivation für das globale Working-Capital-Programm, das wir im Frühjahr 2017 unternehmensweit aufgesetzt haben. Mir ist es dabei wichtig zu betonen, dass es bei diesem Programm nicht um einen Einmaleffekt geht. Sinn und Zweck des Projektes war und ist es, eine nachhaltige Prozessoptimierung beim Working-Capital-Management zu erreichen.- Mit welchem freien Cash-flow ist 2018 zu rechnen?Wir haben eine Working-Capital-Prognose herausgegeben. Wir geben aber keine Cash-flow-Prognose, weil es hier über die erhaltenen Anzahlungen einen direkten Zusammenhang mit dem Auftragseingang gibt, den wir aus den genannten Gründen nicht mehr prognostizieren. Unsere Working-Capital-Prognose für 2018 sieht vor, unter 5 % bezogen auf den Umsatz zu kommen – nach 5,3 % im vergangenen Jahr. Und wir wollen auch mittelfristig unter 5 % bleiben. Die Hebel, um das Working Capital zu optimieren, liegen unter anderem bei den Lieferantenverbindlichkeiten, bei den Kundenforderungen und vor allem auch in der Reduktion von Durchlaufzeiten der Komponenten von der Bestellung bis zur Projektabwicklung.- Wie sieht die Investitionsplanung aus?Wir hatten 2017 ein Jahr mit außergewöhnlich hohen Investitionen. Dieses Niveau ist vor allem mit dem starken Fokus auf die neue Turbine zu erklären. Wir werden in diesem Jahr bereits eine gewisse Normalisierung auf ein Niveau von circa 110 Mill. Euro sehen. In den Folgejahren wollen wir uns bei 90 Mill. bis 110 Mill. Euro einpendeln. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt auf der Weiterentwicklung der Produktpalette. Grundsätzlich bauen wir unsere Lieferkette gemeinsam mit unseren Lieferanten mit immer weniger kapitalintensiven Modellen aus. – Sie sind in vier Ländern mit eigenen Produktionsstätten vertreten, in den USA nicht. Warum nicht dort?Unser Werk dort ist eingemottet. Eine Aktivierung steht derzeit nicht zur Debatte, da die internationale Lieferkette kostengünstiger arbeitet. – Auch nicht vor dem Hintergrund des Interesses an Ihren neuen Produkten?Nein, auch hier macht eine global diversifizierte Lieferkette mehr Sinn. – Ist es nicht sinnvoll, mit eigenen Standorten näher an Kunden heranzurücken?Das machen wir dort, wo ein höherer Anteil an lokaler Wertschöpfung gefordert wird. Brasilien ist so ein Beispiel. Für eine nachhaltige Senkung der Stromgestehungskosten für unsere Kunden ist eine gute Logistik wichtig, aber eine größere Anzahl von lokalen Produktionsstandorten hilft da nicht unbedingt. Und je nach Standort gibt es zum Beispiel noch spezifische Optimierungsmöglichkeiten für den Kunden wie eine mobile Turmfertigung vor Ort beim Projekt.- Der Euro hat zuletzt im Verhältnis zu vielen Währungen aufgewertet. Macht Ihnen das Sorgen?Das ist insofern ein Thema, weil die Absicherung von Wechselkursrisiken auch eine Rolle bei der Optimierung einer globalen Lieferantenkette spielt. Die sogenannte “Dollarisierung” der Lieferkette ist dabei ein wichtiges Kriterium. Damit erweitern wir unsere Basis für einen “Natural Hedge”, das heißt für einen weitgehend einheitlichen Währungsraum. – Mit dem Sparprogramm “45 by 18” haben Sie die Kostenbasis auch mit Hilfe des Abbaus von rund 450 Stellen vor allem in Deutschland um 45 Mill. Euro gesenkt. Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie in den “Übergangsjahren” 2018 und 2019 mit einer weiteren Sparrunde nachlegen? Momentan gibt es keine Planungen für ein weiteres Sparprogramm. Aber Kosten in allen Bereichen zu reduzieren gehört in Anbetracht der aktuellen Marktdynamik mehr denn je zu unserem Alltag. Und wir müssen schnell und flexibel auf sich verändernde Bedingungen und Annahmen eingehen. Das sind grundlegende Anforderungen an die Unternehmensleitung. – Wie beurteilen Sie angesichts der schwierigen Situation die Kosten der Fremdkapitalfinanzierung von Nordex?Ich bin mit unserer Fremdkapitalfinanzierung sehr zufrieden. Unsere Finanzierungsstruktur besteht aus einem Schuldscheindarlehen, einem Investitionskredit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und einem Green Bond. Mit dieser Struktur können wir ein sehr ausgewogenes und für Nordex angemessenes Kostenniveau darstellen. – Handlungsbedarf über die Finanzierung mit dem Schuldscheindarlehen, dem EIB-Kredit und die Anfang 2018 emittierte Anleihe hinaus besteht in diesem Jahr nicht mehr?Nein. Unser Ziel bei der Refinanzierung war es, für die Transformationsphase der Windindustrie auf der Finanzierungsseite Planungssicherheit und Transparenz herzustellen. Und dies ist uns mit dem von Ihnen genannten Mix von Finanzierungsinstrumenten und der damit einhergehenden vorzeitigen Rückführung der ursprünglich 2019 fälligen variablen Schuldscheintranche gelungen. – Wie lange herrscht Ruhe an dieser Stelle?Bis 2020.- Besteht Handlungsbedarf mit Blick auf den 1,2-Mrd.-Euro-Konsortialkredit der Banken?Nein. Diesen Aspekt hatten wir bereits im Vorfeld des im Januar 2018 emittierten Green Bond über 275 Mill. Euro gemeinsam mit unseren Banken geklärt. —-Das Interview führte Carsten Steevens.