Deutschland ist der Negativ-Ausreißer beim M&A-Volumen
Schlechte Nachrichten für Investmentbanker: Anders als fast überall sonst auf der Welt hat sich das Volumen der Fusionen und Übernahmen in Deutschland in der ersten Hälfte des Jahres nicht erhöht. Im Gegenteil: Das M&A-Volumen schrumpfte in den Monaten von Januar bis Juni um mehr als die Hälfte (55%) auf bis dato 38 Mrd. Dollar. Das geht aus Daten hervor, die die Investmentbank Goldman Sachs zusammengestellt hat. Weltweit dagegen kletterte das M&A-Volumen um 19% auf 1,5 Bill. Dollar. In Europa ging es sogar um 25% auf 500 Mrd. Dollar nach oben − wenngleich beide Werte trotz des kräftigen Anstiegs noch um rund ein Sechstel unter dem langjährigen Durchschnitt liegen.
Deutschland ist Negativ-Ausreißer bei M&A
Goldman Sachs erwartet nur „langsame Erholung“ − Zuversicht für einen Megadeal über 10 Mrd. Euro im zweiten Halbjahr
cru Frankfurt
„Deutschland reißt innerhalb Europas zurzeit nach unten aus“, sagte Tibor Kossa, Co-Chef für das Investment Banking von Goldman Sachs in Deutschland und Österreich, vor Journalisten in Frankfurt. „Es fehlen im Vergleich zu den USA vor allem die großen Transaktionen von Dax-Konzernen und die Deals von Finanzinvestoren. In der zweiten Jahreshälfte sind wir zuversichtlich für eine langsame Erholung und einen Großen Deal oberhalb von 10 Mrd. Euro in Deutschland.“
Im Durchschnitt waren die Top10-Deals in Deutschland in der ersten Jahreshälfte nur rund 1 Mrd. Dollar groß und damit nur halb so groß wie im globalen Durchschnitt. Größte deutsche Deals waren die Übernahme des Windparkbetreibers Encavis durch die Private-Equity-Firma KKR im Verbund mit der Milliardärsfamilie Viessmann, die im vergangenen Jahr ihre Kernsparte für Heizungen für 12 Mrd. Euro an den US-Konkurrenten Global Carrier verkauft hatte, sowie der Kauf der Siemens-Elektromotorensparte Innomotics durch den Finanzinvestor KPS Capital für 4 Mrd. Dollar und der Erwerb von Morphosys durch Novartis für 3 Mrd. Dollar. Größere Transaktionen, die dieses Jahr in Deutschland anstehen könnten, sind die Übernahme von Covestro durch den Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi und der Verkauf des Generikakonzerns Stada durch Bain und Cinven an Clayton, Dubilier & Rice oder KKR.
Mehr Debatten als Deals
„Es gibt zurzeit viele Dialoge, aber bisher wenige Transaktionen, die sich materialisieren. Die Gründe dafür lassen sich aber nicht über einen Kamm scheren“, sagte Christopher Droege, Deutschland-M&A-Chef bei Goldman Sachs in Frankfurt. „Deutschland hinkt innerhalb Europas der Erholung hinterher. Die potenziellen Investoren sind vorsichtig mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung.“ In einigen Fällen habe auch die Uneinigkeit über den angemessenen Preis zum Abbruch von Verkaufsprozessen geführt. Insgesamt ist der Anteil der Private Equity-Deals am M&A-Volumen, der während der Pandemie beinahe 40% erreichte, auf rund 20% gefallen. Langwierig gestaltet sich zum Beispiel der 6 Mrd. bis 8 Mrd. Euro schwere Verkauf des Heizungsablesekonzerns Techem sein, den der Schweizer Finanzinvestor Partners Group offenbar auf Eis gelegt hat. In Deutschland lag das Volumen der Private-Equity-Deals in diesem Jahr bisher auf Zehnjahrestief. „Es gibt zwar viele Public-to-Private-Transaktionen. Aber die Verkäufe von einem Finanzinvestor an den anderen sind sehr selten geworden. Wenn es zu Exits kommt, wird meist an Strategen verkauft“, sagte Droege.
Ein Faktor, der die Exits schwierig macht, sind die vermehrt anstehenden Refinanzierungen der Portfoliofirmen zu erhöhten Zinsen. Oft erhöhen die Private-Equity-Firmen die Schulden der Unternehmen, um sich eine Dividende zu genehmigen, während sie den Verkauf auf vermeintlich bessere Zeiten verschieben. Meist werden die Kreditlinien im Rahmen eines Amend & Extend einstweilen angepasst (Amend) und über die ursprüngliche Fälligkeit hinaus verlängert (Extend). „Wir sehen derzeit sehr viele Amend&Extend-Transaktionen“, sagte Droege.
Arabische Investoren interessiert
Einer der wenigen Faktoren, die angesichts der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Lage mit Krieg und Neuwahlen in mehreren Ländern für mehr M&A sprechen, sind arabische Investoren. „Es gibt mehr verschiedene arabische Investoren als bisher, die sich Investments in Deutschland anschauen“, sagte Droege. Die Palette reiche vom Staatsfonds Adia aus Abu Dhabi über PIF aus Saudi Arabien sowie die Qatar Investment Authority bis hin zum Staatsfonds Mubadala der Vereinigten Arabischen Emirate.
Auch bei den Stromnetzen könnte nach der Absage des Tennet-Deutschland-Verkaufs an die Bundesregierung wieder etwas in Bewegung kommen. Droege und Kossa erwarten etwas Ähnliches wie den Bau der Chipfrabik durch Apollo und Intel in Irland. Apollo tritt als Finanzier mit Minderheitsbeteiligung auf. So ähnlich könnte ein Finanzinvestor beim deutschen Stromnetz agieren.
Für den Rest des Jahres ist Skepsis geboten: „Wir haben sehr viele Transaktionen schon seit einer Weile in der Pipeline. Aber im zweiten Quartal sind nur wenige neue Mandate hinzugekommen“, sagte Droege.
Vor allem die Finanzinvestoren fehlen als Akteure bei Fusionen und Übernahmen. Die ganz großen M&A-Deals sind in Deutschland in diesem Jahr bisher nicht zu sehen gewesen. Die Investmentbanker von Goldman Sachs berichten zwar von konstruktiven Dialogen, bislang seien aber wenige neue Mandate hinzugekommen.