INTERNATIONALE AUTOMOBIL-AUSSTELLUNG - AUTOMOBILE KRISENMÄRKTE: RUSSLAND

Die Ampeln stehen auf Rot

In Putins Reich fährt die Autoindustrie rückwärts - Während sich GM/Opel zurückzieht, eröffnet VW ein Motorenwerk - Schwacher Rubel begünstigt Exporte

Die Ampeln stehen auf Rot

Russlands Automarkt, lange Zeit auf dem Sprung, Deutschland als größten Automarkt Europas zu überholen, bricht derzeit ein wie seit dem Katastrophenjahr 2009 nicht mehr. Bis zu einer nachhaltigen Erholung kann es noch Jahre dauern. Manch internationaler Autokonzern – etwa General Motors – wirft daher das Handtuch. Andere wie VW versuchen in den neuen Gegebenheiten auch neue Chancen zu finden.Von Eduard Steiner, MoskauKalt gelassen haben Nachrichten vom russischen Automarkt noch nie. Nun aber kommt zu ihrem teils verblüffenden Sensationswert auch noch die Widersprüchlichkeit. Ganz stark etwa in den vergangenen Tagen. Zum einen verkündete General Motors soeben, dass ihre Marken Opel und Chevrolet bereits im Oktober vom russischen Markt verschwinden und nicht erst am Ende des Jahres, wie es zuletzt kolportiert worden war. Im März dieses Jahres hatte der US-Konzern seinen Rückzug aus Russland inklusive Schließung seines Opel-Werkes in St. Petersburg bekannt gegeben. Wolfsburger halten durchZum anderen eröffnete Volkswagen am vorigen Freitag in der Autostadt Kaluga, knapp 200 Kilometer südwestlich von Moskau, eine 250 Mill. Euro teure Fabrik zur Produktion von Motoren. Die Aussage des rührigen Gouverneurs von Kaluga, Alexej Artamonow, russische VW-Motoren gingen bereits in den Export nach Europa und Volkswagen plane zudem den Export von Autos, wird von Volkswagen allerdings zurückhaltend kommentiert. Ja, es gebe “Untersuchungen innerhalb der Volkswagen Group RUS, Fahrzeuge von Kaluga aus zu exportieren”, sagte ein Sprecher des Wolfsburger Autobauers am vorigen Mittwoch zu Reuters. Eine Entscheidung sei aber noch nicht getroffen worden.Allzu konkrete Aussagen werden angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Situation in Russland grundsätzlich vermieden. Zu volatil sind die Rahmenbedingungen. Zu stark auch der Absturz, den das Land und die Branche mit ihm derzeit erleidet. Zwar haben die Firmen keine Halbierung des Absatzes zu beklagen, wie dies im Krisenjahr 2009 der Fall war. Aber die Branche stellt sich auf ein Verkaufsminus um 36 % ein, wie die Experten der Association of European Businesses (Aebrus) schreiben. Ihnen zufolge dürften damit 2015 insgesamt nur 1,55 Millionen neue Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge verkauft werden. Erneut ein schwerer Rückschlag für ein Land, das noch 2008 auf dem Sprung war, Deutschland als größten Automarkt Europas zu überholen.Zwar verringert sich das Tempo beim Verkaufsrückgang von Monat zu Monat, so dass er von 27,5 % im Juli auf 19,4 % im August sank. Für die ersten acht Monate des Jahres bleibt dennoch ein Minus von 33,5 %. Die Verlangsamung beim Verkaufsrückgang verdankt sich in Wirklichkeit nur dem niedrigen Basiseffekt. Im Sommer des Vorjahres nämlich ist der Autoabsatz aufgrund des beginnenden Ölpreisverfalls und der anschließenden Rubel-Abwertung eingebrochen.Spätestens im Sommer 2014 ist auch offensichtlich geworden, dass Russlands Wirtschaft von der Stagnation in die Rezession schlittert – im ersten Halbjahr 2015 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,6 %. Die Ursachen dafür liegen nicht nur im Ölpreis, der sich binnen weniger Monate halbiert hat und auf niedrigem Niveau verharrt. Auch die Sanktionen des Westens aufgrund der Ukraine-Krise trugen ihren Teil dazu bei. Alles in allem verstärkten sie aber nur die Strukturkrise, in der sich das Land spätestens seit Ende 2012 befindet: Das ölpreisgetriebene Wachstumsmodell hat ausgedient, ein neues Wachstumsmodell, das auf Investitionen beruht, ist aufgrund des zweifelhaften Investitionsklimas nicht etabliert. Weniger EinkommenInzwischen ist auch das real verfügbare Einkommen zum ersten Mal seit Wladimir Putins erster Präsidentschaft, die vor 15 Jahren begann, zurückgegangen. Die Stimmung hat sich nach der ersten Euphorie über die Annexion der Krim Umfragen zufolge verschlechtert. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Center haben 69 % der Bevölkerung in den vergangenen zwei bis drei Monaten sogar beim Essen und den dringlichsten Anschaffungen zu sparen begonnen.Das verheißt für den Automarkt nichts Gutes. Selbst die berüchtigten Staus auf Moskaus Straßen haben sich seit dem Vorjahr zusehends verflüchtigt. “Die Schwankung des Rubel-Kurses hat einen sehr starken Einfluss auf das laufende Kaufverhalten und die Nachfrage nach teuren Waren wie Autos”, warnt Jörg Schreiber, Chef des Aebrus-Ausschusses für Autoproduzenten, vor Illusionen. Für den Rest des Jahres ist der Optimismus ohnehin verfolgen. Habe im vierten Quartal des Vorjahres die Nachfrage aus Angst vor der Inflation nochmals deutlich zugenommen, so werde sich dieses Phänomen im Schlussquartal dieses Jahres wohl kaum wiederholen, meint Denis Vortschik, Analyst der Investmentbank Uralsib. Der Negativtrend werde anhalten.In der Tat hat sich auch bei der Bevölkerung die Überzeugung verfestigt, dass sich die jetzige Krise fundamental von jener im Jahr 2009 unterscheidet und aufgrund ihrer strukturellen Ursachen länger dauern wird. Entsprechend bleibe auch die Situation auf dem Automarkt instabil, meint daher Sergej Zelikow, Generaldirektor des führenden Branchendienstes Avtostat. Sollten die gegenwärtigen Bedingungen anhalten, so Zelikow, werde der Markt in den nächsten Jahren wohl kaum und jedenfalls nicht nachhaltig zu wachsen beginnen.Zelikow steht mit dieser Einschätzung nicht allein da. Auch Volkswagen erwarte für 2016 noch keinen Aufschwung, meint Marcus Osegowitsch, Generaldirektor der Volkswagen Group in Russland. Die Branchenanalysten von IHS Automotive erwarten zumindest bis 2020 einen Anstieg des Verkaufs auf 2,65 Millionen Einheiten. Das wären dann freilich immer noch deutlich weniger als die 2,95 Millionen verkauften Fahrzeuge im bisherigen Rekordjahr 2012.Dass jene westlichen Autobauer, die Russland nicht den Rücken kehren, aber aufgrund der fehlenden Nachfrage die Produktion zumindest haben zurückfahren müssen, gleichzeitig sogar weiter investieren, hat unter anderem mit dem berühmt-berüchtigten “Dekret 166” zu tun. Dieses schreibt vor, dass jeder ausländische Autobauer, der in den Genuss eines reduzierten Importzolls kommen will, mindestens 300 000 Autos jährlich in Russland produzieren muss. Das Dekret tritt im nächsten Jahr in Kraft. Erfolg durch “Dekret 166″Bedeutet die aktuelle Absatzkrise für die Unternehmen ein zumindest temporär böses Erwachen, so hat Putin mit dem Dekret doch einen seiner größten wirtschaftspolitischen Erfolge gelandet. Wurde vor zehn Jahren nur ein kleiner Bruchteil der in Russland verkauften Autos auch tatsächlich in Russland produziert, so ist es inzwischen der Großteil.Mittlerweile ist es nicht mehr nur das “Dekret 166” allein, das internationale Autobauer dazu veranlasst, die Fertigungstiefe in Russland zu erhöhen. Auch der schwache Rubel trägt seinen Teil dazu bei. Laut aktuellen Zahlen russischer Statistikbehörden liegt die durchschnittliche Fertigungstiefe nun bei 78 %, was einen Anstieg um gut 9 % im Vergleich zum ersten Halbjahr 2014 bedeutet.Gleich mehrere Autoproduzenten wie Volkswagen oder Zulieferer spekulieren vermehrt mit dem schwachen Rubel, der einen Export der Autos oder zumindest mancher Bestandteile davon begünstigt.Am Dienstag gab der chinesische Autoglasproduzent Fuyao Glass Industry Group bekannt, seine Produktionskapazität in Kaluga mit einer Zusatzinvestition von 100 Mill. Euro bis zum Jahresende zu verdoppeln. Schon 2013 hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass zwei Drittel der russischen Produktion für den Export vorgesehen sind. Die Kontraktion des russischen Automarktes und die Rubel-Abwertung beschleunigen das Vorhaben. Volvo geht in den ExportAuch Volvo will etwa Fahrzeugkabinen aus ihrer russischen Produktion an ihre internationalen Produktionsstätten liefern, erklärte Peter Andersson, Generaldirektor von Volvo Group Russia. Das Unternehmen werde seine Fahrzeugkabinen- und seine Autoproduktion in Russland, die seit Anfang 2015 wegen der fehlenden Nachfrage stillgestanden hat, Ende September wieder hochfahren.Viele ausländische Autokonzerne sind daran interessiert, den Export aus Russland zu entwickeln, erklärt Avtostat-Generaldirektor Zelikow der russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti. Der Anreiz des schwachen Rubel helfe dabei, die vorgeschriebene Fertigungstiefe in Russland zu erreichen.Wie der Anreiz in Zahlen aussehe, rechnet Sergej Ilinski, Manager des russischen Lada-Produzenten und Platzhirschs Avtovaz, vor: Die Lohnstückkosten in der russischen Autoproduktion lägen bei 17 000 Rubel, sprich 230 Euro, und seien damit die niedrigsten in ganz Europa. Laut einer Studie des internationalen Marktforschungsinstituts J.D. Power & Associates liegen die Lohnstückkosten in Rumänien bei 400 Euro, in der Türkei bei 300 Euro.