Matthew Roberts, Fidelity

„Die Coronakrise birgt Reputationsrisiken“

Mit Blick auf die angelaufene Hauptversammlungssaison bekräftigt der Assetmanager Fidelity die Forderung, Investoren auch während des virtuellen Aktionärstreffens ein Fragerecht einzuräumen.

„Die Coronakrise birgt Reputationsrisiken“

Sabine Wadewitz.

Herr Roberts, mit welchen Themen gehen Sie als Vertreter eines internationalen Vermögensverwalters in die Hauptversammlungssaison?

Zunächst einmal beschäftigt uns das neue virtuelle Format. Dass die Aktionärstreffen online durchgeführt werden, ist der Pandemie geschuldet, doch wir sehen unsere Aktionärsrechte eingeschränkt – und das ergibt sich nicht zwangsläufig aus dem Lockdown. Aus unserer Sicht ist es zwingend notwendig, den Investoren ein Fragerecht auch während einer virtuellen Hauptversammlung zu gewähren. Bei Siemens hat sich eine breite Mehrheit der Aktionäre schon dafür ausgesprochen, leider gab es nicht genügend Stimmen für die erforderliche Satzungsänderung. Aber der Weckruf wird hoffentlich gehört.

Haben Sie als bedeutender Finanzdienstleister keine andere Möglichkeit zum Dialog mit CEO und Aufsichtsratschef als auf der Hauptversammlung? Ihnen dürften doch die Türen immer offen stehen.

Natürlich stehen wir im ständigen Austausch mit den Unternehmensvertretern und auch den CEOs. Trotzdem ist es für uns wichtig, im Fall der Fälle Vorstand und Aufsichtsrat auch unmittelbar in der Hauptversammlung konfrontieren zu können. Denn dort können sie sich dem Dialog nicht entziehen. Bei heiklen Themen ist die Gesprächsbereitschaft ja nicht immer gegeben, vor allem oft dann nicht, wenn es im Unternehmen oder im Geschäft Probleme gibt. Da gibt man sich oft zugeknöpft. Deshalb brauchen wir die Hauptversammlung als Forum, um Bedenken bezüglich Strategie oder Governance auf jeden Fall vortragen zu können.

Bewegt man nicht am meisten über die Abstimmung? Eine niedrige Entlastung, eine knappe Aufsichtsratswahl bewirkt doch mehr als Worte?

Das ist dann die ultimative Lösung. Natürlich kann man sich auch an die Presse wenden oder auf anderen Wegen Öffentlichkeit schaffen. Doch es kann nicht sein, dass Aktionärsrechte davon abhängen, wie eine Hauptversammlung technisch durchgeführt wird.

Sind denn Vertreter von Fidelity vor Corona in Hauptversammlungen aufgetreten?

Gelegentlich schon, zuletzt in Großbritannien, in der Schweiz, in Frankreich und einigen anderen Ländern. Im vergangenen Jahr haben wir bei 4300 Unternehmen abgestimmt, da können wir nicht überall physisch dabei sein. Doch wenn es um schwerwiegende Themen geht und die ökonomische Relevanz aus unserer Sicht es unabdingbar macht, sind wir vor Ort. Es gibt ja Fälle, in denen Aktionärsgruppen mit bestimmten eigenen Interessen erst in der Versammlung Anträge zur Abstimmung stellen, da müssen wir Flagge zeigen.

Ist für Sie ein rein virtuelles Format mit Chatfunktion vorstellbar?

Wir bevorzugen ein hybrides Format mit der Möglichkeit einer Präsenz im Saal kombiniert mit dem Angebot der Online-Teilnahme – mit allen Rechten. So ist es inzwischen in Großbritannien üblich. Das sollte auch in Deutschland ohne Gesetzesänderung möglich sein.

Gibt es fern der Technik inhaltliche Themen für die Saison?

Für uns ist es relevant, wie Firmen auf die Covid-19-Pandemie reagieren. Wie schon die Finanzkrise 2008/2009 birgt die Coronakrise erhebliche Reputationsrisiken für Unternehmen. Unter diesem Aspekt sollte sich die Pandemie nicht nur in der Vorstandsvergütung widerspiegeln, sondern auch in der Attitüde des Managements gegenüber den Stakeholdern. Die Unternehmen müssen verantwortungsvoll mit ihren Mitarbeitern umgehen und auch mit außenstehenden gesellschaftlichen Gruppen. Hier darf kein Missverhältnis entstehen.

In welchen Themen nehmen Sie solche Risiken wahr?

Wir schauen uns zum Beispiel genau an, welche Unternehmen in größerem Umfang Staatshilfe in Anspruch nehmen, um ihre Lohnkosten zu reduzieren. Wer Kurzarbeit beantragt, darf Managern aus unserer Sicht keinen Bonus zahlen. Das schließt sich aus. Das verstehen wir nicht als Bestrafung der Geschäftsleitung, es geht um die gesellschaftliche Anerkennung. Eine erfolgsorientierte Vergütung muss auch von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Ein Konzern kann nicht den Steuerzahler in Anspruch nehmen und gleichzeitig der Führungsriege hohe Boni gewähren.

Diese Einschätzung wird Ihr Votum über die Vorstandsvergütung beeinflussen?

Bei einigen Unternehmen ist zu erkennen, dass sie die Gehälter an Corona-Effekte anpassen. In vielen Fällen geht das aber nicht weit genug und entspricht nicht dem Nutzen aus der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld. Das betrachten wir genauso, wenn Banken mit Staatshilfe gerettet werden und deren Risiken sozialisiert werden.

Es stehen vielerorts Aufsichtsratswahlen ins Haus. Haben Sie bestimmte Guidelines, zum Beispiel, was Mandatshäufungen angeht?

Das entscheiden wir von Fall zu Fall und folgen keinen generellen Obergrenzen. Es kommt auf das Unternehmen an, wie der Aufsichtsrat zusammengesetzt ist und welche anderen Aufgaben die zur Wahl vorgeschlagene Person sonst noch wahrnimmt. Wir sind dabei, unsere Guidelines zu überarbeiten, haben uns in dem Thema aber noch nicht festgelegt.

Halten Sie die in Deutschland üblichen Amtszeiten von fünf Jahren für Aufsichtsräte für zu lang?

Wir hatten den in der Kodex-Reform unterbreiteten Vorschlag unterstützt, auf drei Jahre zu begrenzen. Leider ist das nach dem Protest von Unternehmen nicht in das Regelwerk aufgenommen worden. Wir halten jährliche Wahlen der Aufsichtsräte für richtig, so wie es international üblich ist. Wir können jedoch verstehen, dass dies deutschen Konzernen aus der Tradition heraus zu weit geht, obwohl jährliche Wahlen ja in der Regel nicht bedeuten, dass alle Aufsichtsratsmitglieder permanent ausgewechselt werden.

Wo setzen Sie das Limit für die maximale Amtszeit?

Hier folgen wir den Vorgaben der EU, die 2005 im Aktionsplan zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts ein Limit von zwölf Jahren gesetzt hat. In Großbritannien gelten Board-Mitglieder nach neun Jahren Amtszeit nicht mehr als unabhängig. Wir halten es generell für sinnvoll, die Gremien in kürzeren Abständen zu erneuern. Ein frischer Blick stärkt sicherlich die Aufsichtsratsarbeit.

Das Interview führte

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.