Die disruptive Kraft der Digitalisierung

Für viele Wirtschaftsprüfer gilt es nun, die Weichen zu stellen und richtige Maßnahmen zu treffen

Die disruptive Kraft der Digitalisierung

Die Digitalisierung ist weder Hype noch neue Modeerscheinung. Sie wird große Teile des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens umwälzen. Schleichend hat sie bereits Einzug in den Alltag von Menschen und Unternehmen gehalten. Im Gegensatz zu früheren technologischen Entwicklungen nimmt die Geschwindigkeit bei der digitalen Transformation zu. Viele Wirtschaftsprüfungsgesellschaften stehen vor der Herausforderung, jetzt die Weichen zu stellen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Es geht hierbei nicht nur um das Auditsegment, sondern auch um Steuer- und Rechtsberatung, Corporate Finance und Consulting. Es droht Gefahr, sich zu verheben. Beachtliche DynamikWas ist Digitalisierung? Ein speziell vom Marktforschungs- und Marktberatungsunternehmen Lünendonk & Hossenfelder entwickeltes 3 x D-Szenario veranschaulicht das Thema “Digitalisierung” recht gut. Digitalisierung befindet sich in stetiger Interaktion mit Diskontinuität und Disruption. Diskontinuität beschreibt die Entwicklung hin zu immer weniger Planbarkeit im Day-to-Day-Business. Fehler und Misserfolge werden teils in Echtzeit vom Markt erfasst und bestraft. Disruption steht für das Verschwinden ehemals erfolgreicher Technologien, Geschäftsmodelle und/oder ganzer Unternehmen. Die Dynamik ist hier immens stark.Auf drei Säulen aggregiert, können Hyperkonnektivität, Prozesse beziehungsweise Transaktionen sowie Inhalte digitalisiert werden. Dazu bedarf es entsprechender Technologien, die einen ortsunabhängigen Zugang, Echtzeitanwendung und (Big Data) Analytics unterstützen. Computer, Smartphone und Mensch sind hierfür das Medium. Diese Vielfalt der Dimensionen erzeugt Komplexität und Unsicherheit. Die Komplexität entsteht durch eine optimale Ver-bindung von Virtualisierung, Produktinnovation, dem Umgang mit Überlastung, neuer Technologie und den Kundenanforderungen. Die Unsicherheit wird durch Themen wie IT-Security, End-to-End-Verschlüsselung oder die Gewährleistung der Datensicherheit erzeugt.Wer oder was bringt die Digitalisierung in die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften? Beschleunigt wird die Digitalisierung durch Themen wie unter anderem Bevölkerungswachstum, steigendes Ausbildungsniveau, Einkommenswachstum, Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Arbeitskräften, ökonomischer Ausblick, Verfügbarkeit von Investments und ausreichender Infrastruktur. Globale Business-Treiber – wie die Weltwirtschaft, natürliche Ressourcen, Governance/Regulatorik, Demografie, Kundenverhalten und -bedürfnisse oder die Vernetzung – bringen die Digitalisierung weiter voran.Laut unserer aktuellen Studie über die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften in Deutschland ist Digitalisierung das Top-Thema der Chief Financial Officer (CFO) auf Mandantenseite. Für die meisten Studienteilnehmer ist Digitalisierung die Thematik, mit der sie sich in den nächsten zwei bis drei Jahren befassen müssen. Erst mit erheblichem Abstand folgen Themen wie Rekrutierung oder Internationalisierung.Dies wirft die Frage nach den Leistungsebenen auf, in denen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in den kommenden zwei bis drei Jahren bei ihren Mandanten agieren. Die Antwort fällt in der Studie eindeutig aus: 89 % sind an der Transformation von Digitalisierungskon-zepten in die IT-Prozesse beteiligt. Zwei Drittel glauben, lediglich an der konzeptionellen Entwicklung von digitalen Strategien mitzuwirken, die Umsetzung aber anderen zu überlassen. Und 47 % trauen sich auch den reinen Betrieb digitaler Prozesse zu. Die digitale Transformation prägt demnach die Kundenbeziehung immens. Die Mandanten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften suchen einen Partner, der ihnen hilft, Digitalisierungskonzepte im Allgemeinen in ihrem Unternehmen zu entwickeln und im Besonderen diese dann in die entsprechenden IT-Prozesse zu transformieren.Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Gesellschaften? Mit welchen neuen Services wollen sie wachsen? Auch hier liefert die Studie belastbare Daten: Mit einer starken beziehungsweise sehr starken Zustimmung von 78 % liegt die “IT-Prüfung/-Sicherheit” auf dem ersten Rang. Dabei gilt es zu differenzieren, ob eher die IT-Prüfungen oder die Security-Lösungen dominieren. So hat beispielsweise Cyber Security in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Durch mehr Organisations- und Prozessberatung erwarten 65,9 % ein höheres Wachstum, gefolgt von IT-Beratung und Systemintegration (60,0 %) und Business Process Outsourcing (52,7 %).Doch nur wenige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verfügen über IT-Einheiten, die diesen enormen Entwicklungen gewachsen sind. Deshalb arbeiten 80 % der Studienteilnehmer bereits mit IT-Unternehmen zusammen. 7,3 % haben vor, dies zu tun. Die restlichen 12,2 % indes sind der Meinung, dass sie die Digitalisierungsstrategie entweder alleine stemmen oder aber auf diese nicht angewiesen sind. IT erfährt RevolutionWas ändert sich innerhalb der Gesellschaften? Nur ein Bruchteil der Kundendaten wird bis dato sauber analysiert. Dies wird sich bis zum Ende der Dekade rapide ändern, sodass sich die Servicebranche dieser Entwicklung anpassen muss. Denn die Umsetzung der Digitalisierung erfordert einen vollkommen neuen Umgang mit Informationen. Die IT erfährt durch die Digitalisierung eine komplette Revolution. Es müssen grundlegend neue Technologien, eine wesentlich erweiterte Datenbeschaffung und neue Analysemethoden eingeführt werden. Auf Wirtschaftsprüfungsgesellschaften heruntergebrochen bedeutet dies: Einsatz von internen IT-Systemen (IT-Audit, Tax & Legal Tech), effizientere Beratung und eine deutlich stärkere Vernetzung von Wissen und Ressourcen bei internationalen Einheiten (zum Beispiel KWorld von KPMG). Das Resultat spiegelt sich in einer erhöhten Beratungsqualität wider, einer stärkeren Bindung von Mandanten an die jeweilige Kanzlei sowie in einer erhöhten Effizienz und mehr Transparenz.Insbesondere Letzteres wird von den Mandaten gewünscht. Gesellschaften erweitern ihr Dienstleistungsportfolio, um einen ganzheitlichen Beratungsansatz bieten zu können und werden sich mittelfristig zu Professional Service Providern weiterentwickeln (müssen). Damit schließt sich der Kreislauf wieder. Die Digitalisierung führt zu einer Weiterentwicklung auf beiden Seiten – ein iterativer Prozess. Diese Entwicklung wird von den steigenden Anforderungen der Mandanten beschleunigt. Die zeigt sich in den Erwartungen an eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, ständige Erreichbarkeit und Zugriff auf das Prüferteam und ein breites Leistungsspektrum (zum Beispiel IT-Kompetenz). Doch noch lange nicht sind alle Mandanten “Big Data ready”. Einer lückenlosen Transparenz sowie der Wahrung von Datenschutz und IT-Sicherheit steht so mancher Kunde noch skeptisch gegenüber.Auch das Marketing wird weiter digitalisiert. Hier gilt es mittels Diversifikation, Brand Positioning und automatisiertem Content den Webauftritt zu schärfen sowie sich gezielt im Markt zu positionieren. Im Vertrieb, der Schnittstelle zwischen der Gesellschaft und den Mandanten, sind die zukünftigen Veränderungen schon wesentlich differenzierter. Über eigene Plattformen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften kann ohne großen personellen Aufwand Zusatzgeschäft generiert werden. Die Mandanten haben Zugriff über Webbrowser auf Anwendun-gen, sodass zeitliche und personelle Kapazitäten reduziert werden. Aufwendige Terminierung oder lange Besprechungen entfallen. Cloudbasierte Anwendungen unterstützen die Bearbeitung auf beiden Seiten. Strategische StoßrichtungenWie grenzen sich die Gesellschaften hinsichtlich der Digitalisierung voneinander ab? Drei unterschiedliche strategische Stoßrichtungen sind zu erkennen: Gründung von Tochtergesellschaften, Bildung strategischer Allianzen und Akquisitionen. Die Deloitte Digital GmbH widmet sich beispielsweise der Entwicklung von Digitalisierungsstrategien für Mandanten sowie der Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen. Ein weiteres Beispiel ist die strategische Allianz zwischen KPMG und McLaren Applied Technologies. Hier wird in den Aufbau von digitalen Plattformen, Datenanalyse und technologische Expertise investiert. Mit der Übernahme von cloudpartner.de sicherte sich KPMG neben dem Ausbau und der Entwicklung von technologischer Expertise eine Erweiterung der IT-Software-Lösungen für ihre Mandanten. Digitalisierung gestaltet also nicht nur neue Geschäftsmodelle, sondern bringt Geschäftsmodelle auch in Wettbewerb zueinander.Die zunehmende Transparenz sämtlicher Prozesse und Kundenbeziehungen beeinflusst auch die Margen der Gesellschaften. Infolgedessen werden Prozessoptimierung, Personal- und Fixkostenreduzierung betrieben, um dem Kostendruck entgegenzuwirken. Auch stellt sich die Frage, inwieweit sich Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu IT-Serviceunternehmen wandeln (müssen)? Was wird aus dem Kerngeschäft Wirtschaftsprüfung?Unsere aktuelle Studie geht in diesem Zusammenhang auf die Frage ein, welche Auswirkungen die IT auf die Abschlussprüfung hat und welche Rolle IT-Audit für das Unternehmen spielt. 57,1 % der Studienteilnehmer messen dem IT-Audit eine hohe Bedeutung bei, 31 % eine geringe. Es gibt demnach eine Mehrheit, die dieses Thema als einen Erfolgsfaktor der Zukunft ausmacht. Aber fast ein Drittel der Teilnehmer sieht hierin eine geringe Relevanz. Die Gründe sind Skepsis und Verunsicherung zugleich. Viele Gesellschaften befassen sich damit, was sowohl für sie intern als auch für die Mandanten-Prozesse investiert werden muss.—Jörg Hossenfelder, Geschäftsführender Gesellschafter der Lünendonk & Hossenfelder GmbH