UNTERNEHMEN UND BRANCHEN

Die große Leere beherrscht den Sport

Ohne Fußball-EM und Olympia fehlten 2020 die wichtigsten Ereignisse. Die Sportartikelbranche litt aber vor allem wegen geschlossener Läden.

Die große Leere beherrscht den Sport

Vielleicht kam es der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ganz gelegen, dass Corona auch die Europameisterschaft platzen ließ. Das 0:6 gegen Spanien in der Nations League im November weckt jedenfalls schlimmste Befürchtungen. So bleibt die Hoffnung, dass Bundestrainer Joachim Löw aus dem Knalleffekt in Sevilla Lehren zieht. Denn vom 11. Juni bis 11. Juli 2021 soll die EM, die in zwölf Ländern stattfindet, nachgeholt werden. Auch die ebenfalls verschobenen Olympischen Sommerspiele in Tokio sollen aus 2021 ein ganz besonderes Sportjahr machen. Die entscheidende Bedingung ist freilich, dass die Pandemie bis dahin in der ganzen Welt eingedämmt ist. An Fußballspiele ohne Zuschauer hat man sich fast schon gewöhnt, aber eine EM und erst recht Olympia ohne Publikum? Das wäre wie ein Festmahl aus erlesenen Zutaten – jedoch ohne Gewürze.Zu denen, die nach dem faden Sportjahr 2020 auf die Rückkehr von Stimmung und Begeisterung in den Stadien hoffen, gehört die Sportartikelindustrie. Bjørn Gulden, der Vorstandsvorsitzende von Puma, bezeichnete 2020 schon im Frühjahr als verlorenes Jahr. Er setzt darauf, das geplante Wachstum im kommenden Jahr nachholen zu können. Adidas hat sich für 2020 auf den geringsten Umsatz seit 2016 eingestellt, das Betriebsergebnis dürfte sogar das niedrigste seit 2009 gewesen sein.Ohne die Fußball-EM, aber auch viele Monate ohne Mannschaftssport in Amateurligen und von Freizeitspielern litt vor allem ein Segment: “Am schlechtesten hat sich der Teamsport entwickelt”, berichtet Adidas-Vorstandschef Kasper Rorsted. Besonders stark traf es Fußballschuhe. Die für 2021 ersehnte Erholung hängt jedoch nicht nur von der Kauflaune der Konsumenten ab. Starke Belebung in ChinaImmerhin belebte sich in den vergangenen Monaten das Geschäft der Sportartikelkonzerne. Individualsport im Freien ist der Renner, besonders Laufschuhe sind gefragt. Weltmarktführer Nike geht voran, auch weil es von ihm wegen des gebrochenen Geschäftsjahres die aktuellesten Zahlen gibt. Im zweiten Quartal von September bis November gelang dem US-amerikanischen Konzern eine Umsatzsteigerung von währungsbereinigt 7 % auf 11,2 Mrd. Dollar, am stärksten in China (19 %) und in Europa (12 %). In den drei Monaten zuvor hatte Nike den Umsatz stabilisiert, im letzten Abschnitt des vorigen Geschäftsjahres (31. Mai) war er noch um 36 % abgestürzt.Im Frühjahr hatte es die gesamte Branche heftig getroffen. Zeitweise waren 70 bis 90 % der Läden von Nike, Adidas, Puma und anderen geschlossen – in allen umsatzstarken Regionen: Nordamerika, Europa und Asien. Ausnahme war China, wo nach der frühen Verbreitung des Coronavirus bald ein großer Teil der Geschäfte wieder öffnete. Alle drei Konzerne waren im Frühjahr in die Verlustzone gerutscht – und alle haben sich danach schnell gefangen und sind zu Gewinnen zurückgekehrt. Nike steigerte zuletzt das Nettoergebnis im Quartal überproportional zum Umsatz um 12 % auf 1,25 Mrd. Dollar.Die Gründe für die schnelle Wende: Zum einen senkten die Unternehmen die Kosten, auch im Marketing, zum anderen sprangen die Erlöse im Onlinehandel mit hohen zweistelligen Raten nach oben. Hinzu kommt, dass die direkten Effekte der verschobenen Großereignisse Fußball-EM und Olympia gar nicht besonders stark sind – auch wenn freilich wichtige Werbeplattformen für die Marken ausfielen. Adidas-Chef Rorsted erwartete einen Umsatzverlust von 50 Mill. bis 70 Mill. Euro und stellte fest: “Die Zeit ist vorbei, in der ein einzelnes Ereignis großen Einfluss hat.”Wichtiger fürs Geschäft sind der Trend zu legerer Mode, Athleisure genannt, – erst recht im Homeoffice. Sneaker passen für viele längst zur Kleidung im Büro. Hinzu kommt das wachsende Gesundheitsbewusstsein in vielen Regionen der Welt, das zum Freizeitsport anregt.Doch vorerst bleibt große Unsicherheit, Corona lähmt weite Teile der Welt. In Europa dürften weit mehr als die Hälfte der Sportartikelgeschäfte geschlossen sein. Im Profisport gehen die Spiele weiter, aber vielerorts wohl noch lange ohne oder nur mit wenigen Zuschauern in Stadien und Hallen. Dass die EM und Olympia 2021 nachgeholt werden, ist noch längst nicht ausgemacht.Von Joachim Herr, München