IM INTERVIEW: FRIEDHELM LOH

"Die großen Verbände müssen zusammenrücken"

Der Präsident des Spitzenverbands der Elektroindustrie beobachtet ein Zusammenwachsen der Technologien und rät den Branchenvertretungen das Gleiche

"Die großen Verbände müssen zusammenrücken"

– Herr Loh, die Energiepolitik der Bundesregierung wird von der Industrie harsch kritisiert. Als Präsident des ZVEI haben auch Sie Verbesserungen am Marktdesign zur Umsetzung der Energiewende angemahnt. Wo gibt es Verbesserungsbedarf?Momentan ist ein Trend erkennbar, der Anlass zur Sorge gibt: Die Zustimmungswerte zur Energiewende sinken – sowohl in der Wirtschaft als auch in der Zivilgesellschaft. Das ist gefährlich, da es bei einem derartigen Großprojekt auf Dauer ohne eine breite Akzeptanz sämtlicher Betroffener nicht geht. Das ist außerdem unnötig, da allen Beteiligten der grundsätzliche Weg klar ist.- Was sind die Wegmarken?Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) muss einen verlässlichen Pfad zur Markt- und Systemintegration der erneuerbaren Energien aufzeigen. Energieeffizienz muss Priorität bekommen – im Gebäude, in der Industrie, im öffentlichen Bereich. Die Anreizregulierung muss ausreichende Investitionen in das Verteilnetz gewährleisten. Die Marktregeln und Zuständigkeiten in einem Smart Grid müssen festgelegt werden. Flexibilitätsoptionen bei Erzeugung und Verbrauch müssen genutzt werden. Wir müssen die Energiewende jetzt voranbringen, vor allem dort, wo konkrete Erfolge mit vorhandener Technik sofort zu realisieren sind und sich obendrein rechnen.- Das EEG muss geändert werden?Mit dem EEG haben wir in Deutschland seinerzeit eine politisch richtige Entscheidung getroffen, nämlich neue Technologien zu fördern, um sie möglichst schnell zum Durchbruch zu führen. Klar ist aber auch, ein “Weiter so wie bisher” funktioniert nicht mehr. Darüber sind sich im Prinzip alle einig. Es war mutig, eine Prognose für zwanzig Jahre abzugeben. Jetzt braucht die Politik den gleichen Mut, zu sagen, dass das, was man mit gutem Willen beschlossen hat, verändert werden muss.- Der Monitoringbericht zur Energiewende hat bei der Energieeffizienz Aufholbedarf festgestellt. Kommt dieser Aspekt zu kurz?Bei der Energieeffizienz fahren wir mit angezogener Handbremse. Das hat dena-Chef Stephan Kohler schon vor einem Jahr festgestellt und leider hat sich daran nicht genug geändert. Im Rahmen der Energiewende hat sich die Politik sehr stark auf die Ersatzerzeugung mit erneuerbaren Energien fokussiert und Energieeffizienz nicht in den Mittelpunkt gestellt. Ich bin und bleibe hier ein permanenter Mahner, denn Energie, die ich nicht verbrauche, muss ich gar nicht erst erzeugen. Das heißt, wir sparen schon bei der Investition in die Energieerzeugung und etwas Vernünftigeres kann man eigentlich nicht tun. Energieeffiziente Produkte sind für alle Anwendungsbereiche vorhanden, sie kommen nur zu selten zur Anwendung.- Fehlt es auch an der Bereitschaft der Industrie, Geschäftsmodelle rund um Energieeffizienz zu organisieren und auszuprobieren?Im Gegenteil. Wir betrachten Energieeffizienz als unser Kerngeschäft und sind ständig darum bemüht, unseren Kunden die Vorteile näherzubringen. Es geht doch aber zunächst darum, das nötige Bewusstsein bei den Verbrauchern – industriell wie privat – zu erzeugen. Hierfür tun wir eine Menge, das kann aber natürlich eine Bundesregierung viel eher als einzelne Unternehmen. Sie hat vor allem auch die Möglichkeit, der Energieeffizienz durch geeignete Rahmenbedingungen einen Schub zu geben. Hier gibt es sicher noch viel Spielraum nach oben.- Sind intelligente Netze und schlaue Stromzähler eine Bedingung für mehr Energieeffizienz?Auch hier gilt: die wesentlichen Technologien sind vorhanden. Ihr Einsatz ist entscheidend für eine effiziente Umsetzung der Energiewende. Diverse Studien belegen einen kostendämpfenden Effekt durch eine “Smartifizierung” der Netze. Es sind sicherlich noch Hürden, auch gesetzgeberischer Art, zu überwinden, aber wir gehen von einer starken Verbreitung vom Smart Grid-Technologien und intelligenten Messsystemen in den nächsten Jahren aus.- Ist Energieeffizienz eigentlich auch für die Unternehmen der Loh Gruppe von Bedeutung?Wir sind mit Rittal der weltgrößte Hersteller von Geräten für die Schaltschrankklimatisierung und von Kühlgeräten für IT-Räume. Energieeffizienz gehört zu den wichtigsten Anforderungen unserer Kunden. Wir haben allein in den vergangenen drei Jahren den Energiebedarf bei der Schaltschrankklimatisierung um bis zu 45 % gesenkt.- Welche Rolle spielt Energieeffizienz mit Blick auf die Wachstumsziele der Unternehmensgruppe?Die steigenden Anforderungen an die Energieeffizienz beim Betrieb von Rechenzentren geben wichtige Wachstumsimpulse für unser IT-getriebenes Geschäft. Rittal hat hier mit einem standardisierten Rechenzentrum Zeichen gesetzt, wie man den Energieverbrauch optimieren kann. Das zweite Wachstumsthema für die Loh-Gruppe sind Investitionen in die Digitalisierung von Prozessketten, Stichwort “Industrie 4.0”.- Wo ist die Loh Gruppe hier tätig?Wir sind heute mit unserer Tochter Eplan der zweitgrößte Anbieter von Software zur Elektroplanung hinter Autocad und werden auf der Softwareseite weiter investieren. Darüber hinaus bilden wir die gesamte Wertschöpfungskette ab, von der Planung über die technische Mechanik bis in die Weiterproduktion bei unseren Kunden. Das ist praktisch gelebte Industrie 4.0.- Zusammen mit VDMA und Bitkom bemüht sich auch der ZVEI, die Digitalisierung und Vernetzung von industriellen Wertschöpfungsketten voranzubringen. Wie klappt die Zusammenarbeit?Ich bin erstmal begeistert davon, dass sich die drei Verbände in der “Plattform 4.0” zusammengefunden haben, um dieses Thema für den Standort Deutschland verantwortungsbewusst zu treiben. Ich hoffe, dass wir damit einen Prozess in Bewegung setzen, der die Separierung von Technologien, die irgendwann einmal ihre Berechtigung hatte, zu einem Ende bringt. Denn 4.0 ist nichts anderes als eine integrierte Struktur von Maschinen, Software, elektrischer Steuerung und allem, was zu einem Prozess dazugehört. Es ist widersinnig, dass wir in der Verbandslandschaft nach wie vor die Trennung leben. Hier ist ein Schritt gelungen, den man gar nicht genug loben kann.- Wie ist Deutschland auf die Industrie 4.0 vorbereitet?Deutschland beherrscht die Technologien für die Industrie 4.0 in Summe. Wir sind sehr gut im Maschinenbau, bei technologischer IT und Software sowie in der Elektrotechnik. Wir haben die Fähigkeit, komplexe Systeme nicht nur zu entwickeln, sondern sie auch umzusetzen. Wir müssen aber darauf achten, dass wir am Standort sowohl in Forschung und Entwicklung als auch in der Produktion sitzen und dass wir als Bürger die Industrie 4.0 auch erleben können.- Kann man die Bedeutung der politisch getriebenen Energiewende und der Entwicklung der Industrie 4.0 vergleichen?Durchaus. Beide sind grundlegende Umwälzungen, die eine für unsere Energieversorgung, die andere für die Industrie, die Basis unseres Wohlstands. Allerdings wird die Digitalisierung der Industrie viel größere Auswirkungen haben als die erneuerbaren Energien haben können, weil sie technologisch ein Netzwerk voraussetzt, das noch komplexer ist.- Gibt es dafür Beispiele?Die Technologie hinter einem Windkraftwerk wird sich evolutionär weiterentwickeln, aber Industrie 4.0 bringt eine grundlegende Veränderung. Bei der Energiewende gibt es abgesehen vom Netz viele Einzelprodukte, die wichtige Funktionen haben, 4.0 ist existenziell von sprechender Soft- und Hardware abhängig. Dass diese Verbindung entscheidend ist, haben wir in den 80er Jahren mit CIM (Computer Integrated Manufacturing, Red.) gelernt. CIM konnte die hohen Erwartungen nie erfüllen, weil damals noch wesentliche Bausteine fehlten, die das Zusammenspiel von Software und Elektroseite betreffen.- Kann die Politik die “vierte industrielle Revolution” unterstützen?Die vierte industrielle Revolution muss zu einem zentralen Thema bei der Förderung von Forschung und Entwicklung in Deutschland werden. Wir brauchen dafür wesentlich mehr Ausbildung in den MINT-Fächern und wir brauchen deutlich mehr Ingenieur- sowie Organisationswissen. Das hat die Industrie, aber mit Sicherheit nicht in dem Umfang, der einem Industrieland wie Deutschland angemessen wäre.- Sie haben in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Mikroelektronik hervorgehoben?Bei der Mikroelektronik geht es um die Schlüsseltechnologie, um die Grundbausteine nicht nur für Industrie 4.0, sondern auch für Smart Grids, Smart Mobility, Smart Cities. Software macht die neuen Technologien intelligent, aber sie braucht die Mikroelektronik als physischen Sitz. Dort ist die Software eingebettet.- Wie ist der Industriestandort Deutschland hier aufgestellt?Wir haben über viele Jahre Produktion verloren, aber noch einige gute Unternehmen am Standort, die sich gut entwickeln. Wenn man die Plattformtechnologien nicht beherrscht, wird man sehr schnell auch in den weiteren Entwicklungen an zweiter Stelle stehen. Das kennen wir ja aus anderen Branchen wie der Fernsehtechnik. Wir müssen in der Mikroelektronik ganz vorn sein, denn hier entstehen die Grundlagen für die zukünftigen Standards bei Steuerungstechnik und Elektronik.- Sie haben die gemeinsame Plattform der Spitzenverbände gelobt. Ist das ein Modell für die Zukunft?Es muss. Wir haben ja auch eine Veränderung der politischen Landschaft. Heute werden 60 bis 70 % der Gesetze in Brüssel verhandelt und entschieden. Wir müssen sowohl auf dem nationalen als auch auf dem europäischen Spielfeld fit sein. Das ist für alle Verbände schwierig. Hinzu kommt das technologische Zusammenwachsen.- Auch die Verbände wachsen also zusammen?Ich kann mir auf Dauer nur vorstellen, dass die großen Verbände zusammenrücken müssen. Entweder tun sie das aus eigener Überzeugung, oder wir als Wirtschaft müssen da helfen. Die Politik, wie ich sie erlebe, erwartet jedenfalls einen klaren Standpunkt von der Industrie und nicht drei, vier oder fünf. Gerade bei komplexen Themen wie der Energiewende oder der Industrie 4.0 braucht die Politik Unterstützung, um die Systeme zu verstehen und zu erkennen, was daraus eigentlich werden soll. Dafür sind die Verbände da.- Derzeit stellen sich viele Unternehmen die Frage, was eigentlich aus dem Euro werden soll. Wie beurteilen Sie die Rolle Deutschlands bei der Bewältigung der Euro-Krise?Wenn man die hört, die nicht Deutsche sind – und das ist in Europa immer noch die Mehrzahl – und die sich in dem Geschäft auskennen, sprechen sie Deutschland große Komplimente aus. Wir stehen gegenüber den europäischen Nachbarländern aber auch in der Verantwortung, denn unsere positiven Handelsbilanzen über viele Jahre haben wir der Tatsache zu verdanken, dass Europa auch in der Elektroindustrie der Hauptabnehmer unserer Produkte ist. Einen notleidenden Kunden, von dem Sie wissen, dass er für Sie und den Markt wichtig ist, stützen Sie auch schon mal. Deutschland ist also gut beraten, mit aller Vorsicht den Prozess zu begleiten.- Es gibt viele Stimmen, die sich von Deutschland mehr Wachstumsimpulse für Europa wünschen.Auch das ist nichts Neues. Das deutsche Modell ist politisch ja ein ganz kerniges, das sich manche Regierung im Ausland nicht zutraut. Heute beneiden uns viele Länder um einen intakten industriellen Kern. Diese Stärke haben wir aber nur, weil wir eine restriktive Finanzpolitik betrieben haben. Ich glaube, wir werden in den nächsten Jahren noch an vielen Stellen Grund zum Lächeln haben, denn wenn sich die Zinslast reduziert, geht es dem Staat wie dem Häuslebauer: Er ist ein freier Mann.- Wie hat sich die Elektroindustrie auf die Krise eingestellt?Jedes Unternehmen hat seine eigene Strategie, die Internationalisierung gehört aber bei den meisten dazu. Die deutsche Industrie hat das vorbildlich getan und steht heute auf einer breiten, internationalen Basis, auch wenn das gerade für den Mittelstand nicht immer ganz einfach ist. Ein Teil der Industrie wandert damit allerdings ins Ausland ab. Das, was wir früher exportiert haben, produzieren wir heute häufig im Ausland. Das am Industriestandort Deutschland zu kompensieren, wird die Gesellschaft noch vor große Herausforderungen stellen.- Wo gibt es für die nächste Bundesregierung Handlungsbedarf am Industriestandort?Um es auf einen Punkt zu bringen: Wer eine gut funktionierende, reiche Industrie hat, der hat auch die Chance, ein gut funktionierendes, reiches Land zu sein. Ich glaube, wir lernen im Moment wie nie zuvor, wie wichtig es ist, dass man in einem Land eine zielorientierte Wachstumsindustrie hat. Und wenn man der neuen Bundesregierung einen Rat geben kann, dann kann man nur sagen: Das ist der Kern unseres Wohlstands, kümmert euch darum.- Was heißt das im Einzelnen?Wenn ich jemanden erfolgreich machen will, um selber erfolgreich zu sein, dann muss ich ihm so viel Spielraum wie möglich geben und ihn so wenig wie möglich belasten. Damit spreche ich zunächst einmal die bürokratischen Anforderungen an, unter denen der deutsche Mittelstand und selbst die Großunternehmen erheblich leiden. Wir brauchen hier eine massive Entlastung der Industrie, damit die sich mit allen ihren Ressourcen auf die Zukunftsfähigkeit des Standorts konzentrieren kann.- Das Thema Weiterbildung spielt dabei auch eine Rolle?Auf uns kommt gerade bei den älteren Mitarbeitern ein großer Weiterbildungsprozess zu, weil wir die Nachwuchskräfte nicht mehr so bekommen, wie wir es gewohnt sind. Das ist für mich das zweite große Investitionsthema. Das dritte sind zweifelsohne für viele Industrien die Energiekosten, gerade in den rohstofforientierten Branchen. An vierter Stelle kommt die Reduktion der Steuerlast und aller Abgaben, die die Unternehmen zu tragen haben.- In der politischen Debatte wird derzeit die Erhöhung von Vermögenssteuern durchgespielt.Wir müssen für die Unternehmen Entlastung schaffen, nicht nur um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, sondern auch um in Forschung und Entwicklung investieren zu können und um neue Technologien an den Standort zu kriegen. Was da im Moment hinsichtlich Vermögenssteuern diskutiert wird, ist in diesem Punkt mehr als kontraproduktiv. Das ist eine reine Neiddiskussion.- Die ersten fünf Monate sind für die Elektroindustrie nicht so gut gelaufen. Wie geht es weiter?Die europäischen Märkte haben sich nur schwach entwickelt, insbesondere im Süden Europas mussten immer noch Rückgänge verzeichnet werden. Auch in Indien lief es schlechter als erwartet. Das China-Geschäft zieht allmählich wieder an, gut läuft es mit den USA. Die Prognosen für dieses Jahr sind insgesamt eher verhalten.- Hält die Prognose des ZVEI?Die Elektroindustrie hatte die Prognose für das laufende Jahr unter anderem unter den Prämissen abgegeben, dass die Euro-Krise gut gemanagt wird und die Bundesregierung die Energiewende schnell umsetzt. Jetzt sind wir mitten im Wahljahr und können politisch nicht mehr viel erwarten. Deswegen bin ich nicht ganz sicher, dass wir das Plus von 1,5 % bei der Produktion erreichen werden, auch wenn ich davon ausgehe, dass das zweite Halbjahr besser laufen wird.- Und was erwarten Sie im nächsten Jahr?2014 bleibt sehr stark von Unsicherheiten geprägt. Auch die Chinesen denken neuerdings über ihre Finanzierungspolitik nach, das sind ganz neue Töne. Die Wachstumsmärkte werden eingeholt von den hohen Investitionen in ihre Infrastruktur. Ich bin nicht pessimistisch, aber auch nicht überschwänglich für das kommende Jahr. Gültig bleibt aber, dass am Ende der Bessere das Geschäft macht. Und an Chancen fehlt es nicht.—-Das Interview führte Stefan Paravicini.