ANSICHTSSACHE

Die Marktmissbrauchsverordnung ist mehr Last als Hilfe

Börsen-Zeitung, 28.9.2018 Als vor mehr als zwei Jahren die Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) in Kraft trat, herrschte Optimismus bei den Autoren der MMVO: "Eine Verordnung dürfte auch die rechtliche Komplexität und insbesondere für...

Die Marktmissbrauchsverordnung ist mehr Last als Hilfe

Als vor mehr als zwei Jahren die Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) in Kraft trat, herrschte Optimismus bei den Autoren der MMVO: “Eine Verordnung dürfte auch die rechtliche Komplexität und insbesondere für grenzüberschreitend tätige Gesellschaften die Compliance-Kosten reduzieren sowie zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen beitragen.” Befragung mit dem DAIZwei Jahre später muss man die Erreichung dieser Ziele anzweifeln. In einer Befragung der Sozietät Hengeler Mueller gemeinsam mit dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) gaben 88 % der Teilnehmer an, dass der bürokratische Aufwand gestiegen sei. Gleichzeitig antworteten 54 %, dass die Rechtssicherheit mit Einführung der MMVO zurückgegangen ist, weitere 18 % beobachten sogar eine starke Abnahme. Fazit: Hoher Aufwand für weniger Rechtssicherheit. Besonders bei der Ad-hoc-Publizität besteht Unsicherheit. 90 % wünschen sich eine Präzisierung bei den Tatbestandsvoraussetzungen. Im Fokus stehen dabei Aspekte wie der Zeitpunkt des Entstehens von Insiderinformationen, vor allem in gestreckten Sachverhalten (81 %), die Eignung eines Sachverhalts zur erheblichen Kursbeeinflussung (73 %) oder der Begriff der “präzisen Information” (48 %). In der Praxis bringen die Regeln der MMVO Unternehmen in schwierige Situationen, etwa bei Unternehmensübernahmen oder -zusammenschlüssen. Um keine Ad-hoc-Pflicht auszulösen, bereiten sich Unternehmen im Vorfeld einer Transaktion oft intensiv intern vor, bevor sie externe Gespräche etwa mit dem Zielunternehmen initiieren. Doch gerade ein solches “Front Loading” kann bei einer späteren Prüfung so ausgelegt werden, als sei der Entscheidungsprozess bereits weit fortgeschritten und die Transaktion damit ad-hoc-pflichtig gewesen.Muss eine Insiderinformation angenommen werden, dann gibt es verschiedene Handlungsoptionen: Entweder die Aufschiebung der Veröffentlichung (sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen) oder eine Ad-hoc-Mitteilung. Wenn Unternehmen die Ad-hoc-Veröffentlichung vorsorglich sehr früh aufschieben, müssen sie gleichzeitig sicherstellen, dass “Insider” mit den betroffenen Wertpapieren nicht mehr handeln. Gerade in einem frühen Stadium sind aber oft nicht alle Vorstände und Aufsichtsräte informiert. In der ZwickmühleDas Unternehmen befindet sich also in der Zwickmühle, entweder den Kreis der Insider früh zu erweitern oder später mit der Frage konfrontiert zu werden, ob ein handelndes Organmitglied nicht doch Kenntnis von der Insiderinformation hatte. In der Praxis lässt sich die Aufschiebung zudem häufig nur für kurze Zeit aufrechterhalten. So muss die Insiderinformation unverzüglich veröffentlicht werden, wenn konkrete Gerüchte entstehen. Auch wenn ein Unternehmen sich fortlaufend über den Markt finanziert (zum Beispiel in Form von Anleihen), kann ein längerer Aufschub problematisch sein. Zusammenschlussvorhaben können sich aber unter Umständen über Monate hinziehen. Monate, in denen der Emittent wegen einer aufgeschobenen Ad-hoc-Veröffentlichung den Kapitalmarkt gegebenenfalls nicht nutzen kann. Die gesamte sorgfältig geplante Unternehmensfinanzierung kann aus dem Takt geraten. Eine denkbare Alternative wäre, schon die Information über erste, unverbindliche Überlegungen publik zu machen. Nach der Veröffentlichung kann das Unternehmen die weiteren Vorbereitungen für eine Transaktion dann in Ruhe angehen. Die frühe Information des Marktes hat allerdings einen Preis. Mitarbeiter und Geschäftspartner der betroffenen Unternehmen werden spekulieren, was ein möglicher Zusammenschluss für sie bedeutet. Die Geschäftsleitung ist dann zu dem frühen Zeitpunkt meist nicht befriedigend auskunftsfähig. Einladung zur SpekulationFür aktivistische Aktionäre wiederum bedeutet die frühe Information eine Einladung, Aktien-Positionen aufzubauen und damit sinnvolle Zusammenschlüsse zu verteuern oder zu verhindern. Das Unternehmen wird zum Spielball divergierender öffentlicher und gegebenenfalls auch politischer Interessen und hat damit nicht die Chance, in aller Ruhe ein schlüssiges Konzept auszuarbeiten. Im harten M&A-Wettbewerb führen die Regeln somit zu einem klaren Nachteil für börsennotierte Unternehmen. Privat gehaltene Unternehmen oder Unternehmen aus Staaten außerhalb der EU mit unternehmensfreundlicheren Regeln können dagegen in einer M&A-Situation Vorteile ausspielen.Haben wenigstens die Anleger eine bessere Entscheidungsgrundlage? Unverbindliche Transaktionsüberlegungen werden von den Medien gerne aufgenommen, interpretiert und mit allerlei zusätzlichen Informationen angereichert. Für einen verständigen Anleger wird es schwierig sein, die Sachlage immer korrekt zu bewerten. Hinzu kommt, dass die Sorge vor hohen Bußgeldern oder Strafbarkeit im Zusammenhang mit einer verspäteten Ad-hoc-Kommunikation zu einer zunehmenden Flutung der Märkte mit unausgereiften Informationen zu möglichen Transaktionen führen kann. Bitte mit Augenmaß!Ob die Marktmissbrauchsverordnung trotz unbestreitbar guter Intentionen positive Rahmenbedingungen für die Information von Anlegern schafft, ist daher fraglich. Für börsennotierte Unternehmen ist sie eine Last. Es wäre wünschenswert, wenn die Regeln mit Augenmaß angewendet würden und die zuständigen Aufsichtsbehörden klare Richtlinien für die Auslegung der anwendbaren Regelungen insbesondere im Bereich von M&A-Transaktionen zur Verfügung stellen würden.—-Dr. Daniela Favoccia ist Partnerin bei der Anwaltssozietät Hengeler Mueller. Mitautorin des Beitrags ist Lucina Berger, ebenfalls Partnerin bei Hengeler Mueller. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Daniela FavocciaDie Aufsichtsbehörden sollten klare Anwendungsrichtlinien zur Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei M&A-Transaktionen zur Verfügung stellen. —–