Die Netzagentur als "Superbehörde"
Die Bundesnetzagentur dürfte sich bald zu einer “Superbehörde” entwickeln, die weitgehend unabhängig von Regierung und Parlament bedeutende Entscheidungen über die Strom- und Gasnetze und ihre Betreiber trifft. Das ist die Folge einer sich abzeichnenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.cru Frankfurt – Die Macht der Bundesnetzagentur könnte bald durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erheblich ausgeweitet werden – sowohl gegenüber Stromverteilnetzbetreibern wie Eon als auch gegenüber der Bundesregierung. Das geht aus den Schlussanträgen in einem 2014 begonnenen Verfahren der EU-Kommission gegen Deutschland hervor, die Generalanwalt Giovanni Pitruzzella am Donnerstag vorgelegt hat. In Branchenkreisen wird nun das Entstehen einer “Superbehörde” befürchtet.In dem Vertragsverletzungsverfahren lautet der Vorwurf, Deutschland habe EU-Richtlinien über den Elektrizitäts- und den Erdgasbinnenmarkt zur Trennung der Netzaktivitäten von den Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten sowie hinsichtlich der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde nicht ordnungsgemäß ins deutsche Recht umgesetzt. In der weit überwiegenden Zahl von 90 % der Fälle hat der Gerichtshof in der Vergangenheit den Schlussanträgen der Generalanwälte stattgegeben.Aus Sicht des Generalanwalts werden mit den durch die Bundesregierung erlassenen Rechtsverordnungen – etwa mit den Netzzugangs- und Netzentgeltverordnungen für Strom bzw. Gas – nicht nur allgemeine Grundsätze des Verwaltungshandelns festgelegt. Die deutschen Verordnungen machten vielmehr unzulässige, da detaillierte Vorgaben an die Bundesnetzagentur. Laut Generalanwalt verlangen die Richtlinien, dass eine Regulierungsbehörde ihre Aufgaben frei von jeder äußeren Einflussnahme ausübt. Das bedeute nicht nur eine Unabhängigkeit gegenüber der Regierung, sondern auch gegenüber dem Parlament.”Wenn dem Generalanwalt recht gegeben wird, kann die Bundesnetzagentur künftig noch viel unabhängiger entscheiden. Sollte zudem der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung weiter in die Richtung entwickeln, dass er Entscheidungen der Bundesnetzagentur – jedenfalls mit Blick auf ökonomische Fragestellungen – inhaltlich fast nicht mehr überprüft, so werden die Beschlusskammervorsitzenden der Behörde zukünftig weitgehend ohne Restriktionen und Überprüfungsmöglichkeiten entscheiden können. Das wäre unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht hinnehmbar”, sagte Peter Rosin, einer der führenden Energierechtsanwälte in Deutschland. Für Investoren abschreckendFür Investoren könnten die nun voraussichtlich anstehenden Gesetzesreformen verunsichernd und abschreckend wirken. In der Folge könnte es auch für Stromverteilnetzbetreiber wie Eon oder Übertragungsnetzbetreiber wie Amprion, 50Hertz oder Tennet, die im Zuge der Energiewende hohe Milliardensummen in den Ausbau der Netze stecken müssen, schwieriger werden, Investoren für die dafür anstehenden Kapitalerhöhungen zu gewinnen. Die Erträge der 880 Netzbetreiber in Deutschland hängen davon ab, welche Verzinsung ihrer Investitionen und welche Netzentgelte für die Durchleitung ihnen die Netzagentur gewährt und erlaubt.Laut Energiebranchenverband BDEW hätte die EuGH-Entscheidung “erhebliche Folgen für das Regulierungssystem in Deutschland”. Das Regulierungssystem müsse “dem Ziel verpflichtet sein, die im Zuge der Energiewende notwendigen Investitionen in die Netzinfrastruktur anzureizen”. Der BDEW unterstütze die Position der Bundesregierung in diesem Verfahren. Auch der Verband kommunaler Unternehmen zeigte sich in einem Rundschreiben alarmiert. Netzagentur schweigt offiziellDie Bundesnetzagentur selbst lehnte einen Kommentar ab, weil die Entscheidung noch nicht getroffen ist. Aus Behördenkreisen verlautet jedoch, dass die Entscheidung in ihrer Tragweite für den Stromnetzsektor “kaum zu überschätzen” sei. Der gesamte Ordnungsrahmen müsse überarbeitet werden. Es werde der Bundesregierung die Möglichkeit genommen, die Netzentgelte durch Rechtsverordnungen zu regulieren. Für die Bundesnetzagentur sei das nicht erfreulich, weil es erhebliche Unsicherheit verursache. Die Entscheidungen der Behörde würden voraussichtlich öfter als bisher vor Verwaltungsgerichten angefochten. “Entmachtung” der PolitikWiegand Laubenstein, ehemaliger langjähriger Vorsitzender des 3. Energiekartellsenats des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf, der für alle Beschwerden gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur ausschließlich zuständig ist, sieht die Entwicklungen kritisch. Das Bundesverfassungsgericht dürfte nach seiner Einschätzung “die Entmachtung des Parlaments in einer solch wichtigen Frage wie der Energiepolitik hin zu einer bloßen Kontrollfunktion kaum hinnehmen”. Stimme der EuGH der Sichtweise des Generalanwalts zu, könnte dies eine Pflicht des deutschen Normgebers bedeuten, die deutschen Rechtsverordnungen im Strom- und Gasbereich aufzuheben und das deutsche Energierecht komplett umzugestalten.