GASTBEITRAG

Die neue Rolle der Kommunikationschefs

Börsen-Zeitung, 21.6.2013 Der Software-Konzern SAP hat bei der Neubesetzung seiner Kommunikationsleitung eine Entscheidung getroffen, die für ein Dax 30-Unternehmen ein Novum darstellt: Der Bereich Unternehmenskommunikation wird in den...

Die neue Rolle der Kommunikationschefs

Der Software-Konzern SAP hat bei der Neubesetzung seiner Kommunikationsleitung eine Entscheidung getroffen, die für ein Dax 30-Unternehmen ein Novum darstellt: Der Bereich Unternehmenskommunikation wird in den Marketingbereich integriert, und die künftige Kommunikationsleiterin berichtet nicht mehr wie bisher an den CEO bzw. im Fall SAP die beiden Co-CEOs, sondern an den Marketingverantwortlichen. Zudem hat die Kommunikationsleiterin ihren Schreibtisch nicht in der Firmenzentrale in Walldorf, sondern in den USA.Ob diese Kursänderung, die Unternehmenskommunikation mit dem Marketing zu verbinden, ein glücklicher Schritt war, muss selbst vor dem Hintergrund, dass in der Software-Industrie die Kommunikation aggressiver betrieben wird als in anderen Branchen und die “Musik” hauptsächlich in den USA gespielt wird, in Frage gestellt werden. Oder markiert sie einen möglichen Paradigmenwechsel in der Organisation der Unternehmenskommunikation in deutschen und internationalen Großunternehmen? Antizipation gefragtOhne Zweifel haben sich die Aufgaben der Kommunikationsverantwortlichen von Unternehmen verändert. Es geht nicht mehr allein um die mediale Inszenierung und schon gar nicht um das Absetzen eingängiger Marketingbotschaften. Es geht vielmehr um die Fähigkeit, gesellschaftliche und politische Entwicklungen zu antizipieren und mit den strategischen Zielsetzungen des Unternehmens und mit seinen Ansprüchen und seiner sozialen Kompetenz in Einklang zu bringen. In diesem Sinne trägt strategische Kommunikation zunehmend dazu bei, die Erfolgsbedingungen von Unternehmen zu definieren.Dieser Wandel hat in erster Linie mit den veränderten Rahmenbedingungen zu tun: In unserer Wirtschaftswelt vollziehen sich Veränderungen und Entwicklungen immer schneller. Probleme werden zunehmend komplexer und mit ihnen die Lösungen. Produkte und Dienstleistungen werden vielfältiger und sind heute weltweit abrufbar.Zwei Finanzkrisen und die Schuldenkrise in der EU haben zudem die Wirtschaftssysteme erschüttert, die Märkte sind hochpolitisch und weitgehend unkalkulierbar geworden, der “War for talents” tobt weltweit, Social Media verändern grundlegend die Art und Weise zu kommunizieren und zu konsumieren. Debatten um Corporate Governance, Corporate Responsibility und Diversitiy haben das Feld der Wirtschaft zudem in hohem Maße dynamisiert.In diesem herausfordernden und oftmals spannungsgeladenen Umfeld hat sich die Bedeutung der Unternehmenskommunikation signifikant verändert. Die Bereitschaft, Zielkonflikte zu erkennen und offen zu thematisieren und seine unternehmerische Agenda in kritischen Stakeholder-Dialogen zu reflektieren, wird immer essenzieller – gerade in Branchen, die durch sich verändernde Kundenbedürfnisse, technologische Sprünge, politische Regulierung oder gesellschaftlichen Wandel vor Erneuerungsdruck stehen. Adé heile Marketingwelt.Die Positionierung der Unternehmen, ihrer Marken, Produkte und Dienstleistungen erfolgt zunehmend über die Kommunikationsarbeit, die damit längst zu einem modernen betriebswirtschaftlichen Produktions- und Erfolgsfaktor geworden ist. Unternehmenskommunikation hat sich mithin zu einer strategischen Managementaufgabe entwickelt. Sparringspartner des CEOLängst reicht es nicht mehr aus zu entscheiden, ob der CEO in diesem oder jenem Medium in Erscheinung tritt oder in welcher Publikation Produktneuigkeiten am besten lanciert werden. Vielmehr sind Kommunikationsmanager als Experten gefragt, wenn es darum geht, tragfähige Unternehmensstrategien mit zu entwickeln und für deren Umsetzung Szenarien zu entwerfen. Dabei gilt es, möglichst alle Stakeholder-Interessen zu berücksichtigen und den CEO als reflektierende und gestaltende Kraft zu positionieren – ohne freilich Personenkult zu betreiben.Der Kommunikationsverantwortliche muss vor allen Dingen kommunikative Folgen unternehmerischen Handelns antizipieren. Er muss also abschätzen können, wie unternehmerische Entscheidungen bei unterschiedlichen Bezugsgruppen wirken und wie diese darauf reagieren. Die entscheidende Frage, die sich Kommunikationschefs stellen, lautet somit “Wie lese ich die komplexer werdende Umwelt richtig?”Die kommunikative Agenda leitet sich damit aus der unternehmerischen Agenda ab, und sie steht mit dieser in einem Wechselverhältnis. Unternehmenskommunikation ist folglich keine nachgeordnete Strategie, sondern als Prozess in die Entscheidungsfindung des Top-Managements integriert. Diese Wechselwirkung zu verstehen und umzusetzen, ist der Schlüssel einer erfolgreichen Unternehmenskommunikation. Eine sorgfältige Erarbeitung der Kommunikationsagenda ist somit unverzichtbar und Basis des Wahrnehmungsmanagements.Um diese anspruchsvolle Aufgabenstellung erfüllen zu können, sind für den Kommunikationsleiter moderner Prägung bestimmte Voraussetzungen nötig: So ist die unmittelbare Nähe zum CEO unabdingbar; der Chef-Kommunikator fungiert als dessen Coach und kommunikativer Sparringspartner. Er liefert dem CEO Entscheidungsgrundlagen und ist ihm folglich direkt zugeordnet. Nicht ohne Grund macht der renommierte Harbour-Club in Zürich, ein exklusiver Kreis von Kommunikationsleitern, für eine Mitgliedschaft zur Bedingung, dass die Teilnehmer direkt an ihren CEO berichten.Ferner ist der Chefkommunikator in alle Entscheidungs- und Planungsprozesse im Vorstand eingebunden und hat somit tiefe Einsicht in die Agenda auf der Top-Managementebene. Das bedeutet, dass er regelmäßig an Vorstands- und Strategiesitzungen teilnimmt – was heute auch in Konzernen längst noch keine Selbstverständlichkeit ist. Und er ist – zumindest in großen Organisationen – nicht als Pressesprecher in das operative Tagesgeschäft involviert, da ihm dies Raum für strategische Aufgaben nimmt. Bei erfolgskritischen Sachverhalten hingegen ist er der Sprecher des Unternehmens und verlässliche Ansprechpartner für die Medien. Organisatorisch in der SpitzeEntsprechend der Bedeutung wird die Tätigkeit des Kommunikationschefs am besten mit CCO beschrieben: Chief Communications Officer. Damit wird unterstrichen, dass er organisatorisch auf der Top-Ebene angesiedelt ist, ohne Mitglied des Vorstands sein zu müssen.Der Kommunikationschef der Zukunft ist also nicht mehr der nachrichtengetriebene “Medienprofi” und Pressesprecher, sondern vielmehr der Stratege, der sich mit der Positionierung des Unternehmens und seines Managements beschäftigt. Ob eine Kommunikationsstrategie erfolgreich ist, hängt künftig also weniger allein von der Medienarbeit ab, sondern vielmehr von der Fähigkeit, die Komplexität von Sachverhalten zu erkennen, richtig zu interpretieren und die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen.—-Olaf Arndt, Seniorpartner der Kommunikationsberatung Deekeling Arndt Advisors