IM BLICKFELD

Die neue Welt der Zulieferer, die keine mehr sein wollen

Von Isabel Gomez, Stuttgart Börsen-Zeitung, 22.10.2015 Es fing schleichend an. Irgendwann begannen Bosch, Mahle, Continental, ZF Friedrichshafen oder Trumpf, sich umzubenennen. In ihren eigenen Pressemitteilungen waren sie nicht mehr...

Die neue Welt der Zulieferer, die keine mehr sein wollen

Von Isabel Gomez, StuttgartEs fing schleichend an. Irgendwann begannen Bosch, Mahle, Continental, ZF Friedrichshafen oder Trumpf, sich umzubenennen. In ihren eigenen Pressemitteilungen waren sie nicht mehr “Zulieferkonzerne” oder “Automobilzulieferer”, sondern “Technologiekonzerne”. In den vergangenen Jahren hat die Technologisierung der Zulieferindustrie eine neue Qualität und Geschwindigkeit erhalten. Wo früher Zündkerzen oder Stoßdämpfer gebaut wurden, werden heute elektronische Komponenten gefertigt oder Software-Programme geschrieben.Die aktuellen Beispiele dafür sind zahlreich. Der familiengeführte Konzern Trumpf aus Ditzingen etwa stellt eigentlich Werkzeugmaschinen her und ist in der Lasertechnik aktiv. Nun hat das Unternehmen ein Start-up namens Axoom mit 20 Mitarbeitern gegründet. Es soll eine Plattform für Software zur Planung von Produktionsabläufen aufbauen, auf der – wie auf einem Smartphone – Programme für die industrielle Produktion von Trumpf sowie anderen Herstellern angeboten werden. Damit sollen Industrieunternehmen Produktionsabläufe komplett abbilden und sich mit Lieferanten und Kunden vernetzen können.Trumpf strebt damit nichts Geringeres als eine Art App-Store für die deutsche Industrie an. “Wir werden damit zum Provider eines Betriebssystems”, sagt Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller. Sie werde die Smart Factory, also die vernetzte und digitale Fabrik, nicht Dritten überlassen, fügte sie hinzu.Mit Dritten sind in diesem Zusammenhang meist branchenfremde Anbieter aus dem IT-Bereich gemeint, etwa Apple oder Google. Vor dem Hintergrund von deren Marktmacht, ihrer IT-Kenntnisse und der Daten, die sie über ihre Kunden haben, sind Konzerne wie Bosch, Trumpf oder ZF gezwungen, sich in neue Geschäftsfelder zu wagen und von alten Denkmustern zu verabschieden.Bosch setzt das um, indem etwa der Bereich Starter und Generatoren in eine eigene Gesellschaft ausgelagert wird – mit dem Ziel, diese anschließend zu verkaufen. Der Geschäftsbereich, der Anlasser und Lichtmaschinen entwickelt, die zu einem geringeren Verbrauch bei Pkw und Lkw führen, ist zwar in den vergangenen Jahren profitabler geworden. Aber in die Eigenwahrnehmung von Bosch als “Software-Anbieter”, wie Geschäftsführer Volkmar Denner jüngst sagte, passt er nicht mehr.Schon eher passt dazu die Start-up GmbH des Konzerns, die bereits 2013 gegründet wurde und in der derzeit drei Start-ups gefördert werden. Eines davon hat nun ein erstes Produkt hervorgebracht: einen kleinen Roboter, der selbständig Unkraut rupft und Saatgut analysiert. Die Start-up GmbH wird als interner Inkubator für neue Ideen und Geschäftsmodelle gesehen und soll Bosch-Forscher bei der schnelleren Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen unterstützen.Künftig passiert das im kürzlich eröffneten Bosch-Zukunftscampus in Renningen. Äußerlich hat die Kleinstadt 25 Kilometer westlich von Stuttgart nichts mit IT-Zentren wie Palo Alto in Kalifornien gemeinsam. Vielleicht vergleicht Bosch selbst das Gebäude-Ensemble auf der grünen Wiese auch deshalb lieber mit der Elite-Universität Stanford als mit dem Silicon Valley. Was die inneren Werte angeht, gleichen sich der traditionsreiche Stiftungskonzern und andere Zulieferer aber immer mehr den dortigen Methoden an. Weniger klassische BerufeFestzumachen ist dies zum einen an der steigenden Zahl von Mitarbeitern, die nicht aus den klassischen Ingenieursberufen kommen. Bosch beschäftigt 15 000 Software-Entwickler unter den weltweit 45 700 Beschäftigten in der Forschung und Entwicklung. Bei anderen Unternehmen ist das Verhältnis ähnlich. Auch ZF Friedrichshafen suchte für ihr Entwicklungszentrum in Pilsen “besonders Studenten der Fachrichtungen Elektrotechnik und Informatik sowie Software- und Hardware-Entwickler”. Absolventen des Maschinenbaus für Konstruktions- und Berechnungsaufgaben fanden nur in einem Nebensatz Platz. Vor wenigen Jahren wäre die Reihenfolge wohl noch umgekehrt gewesen.Initiativen wie die Start-up GmbH oder Axoom haben jedoch noch einen weiteren Zweck: Sie sollen, so Denner, dabei helfen, eine Start-up-Kultur der Flexibilität, Schnelligkeit und Umkompliziertheit im Unternehmen zu verankern. Und damit die Abkehr von bisher gültigen Leitsätzen bei diesen Firmen einläuten. Fehler machen ist erlaubtEine der bisherigen Kernphilosophien lautete: Nur keine Fehler machen. Das unterschied die von Trial and Error geprägte Kultur von IT-Unternehmen noch vom Perfektionismus deutscher Firmen. “Hier dürfen auch Fehler gemacht werden”, lautet daher einer der bemerkenswertesten Sätze von Denner bei der Einweihung des Campus in Renningen.In der Forschung ist das wenig revolutionär, aber auch operativ werden einige Firmen mutiger. Etwa der Spezialmaschinenbauer Manz, der an der bisher nur mickrige Gewinne abwerfenden Sparte für Batterietechnik festhält, weil Manz sie als Zukunftsfeld sieht. Oder ZF Friedrichshafen, die eine eigene Sparte für Elektromobilität gegründet hat – wie zuvor andere Zulieferer -, ohne dass damit heute schon Geld zu verdienen wäre. Es sind Wetten auf die Zukunft, wie sie bislang eher für das Silicon Valley typisch waren.Die Zulieferindustrie hat hier offenbar aus den Fehlern von Geschäftsmodellen und Branchen, die im Zuge der Digitalisierung nicht schnell genug reagiert haben, gelernt. Auch sie wurden von Konzernen wie Google, Apple oder auch kleineren IT-Firmen unter Druck gesetzt und müssen nun mit dem Rücken zur Wand nach Lösungen suchen. Die Musikindustrie, in der CDs durch MP3s obsolet wurden. Die Medienbranche, in der noch immer zahlreiche Verlage nach Monetarisierungsmöglichkeiten für ihre Inhalte im Internet suchen. Oder die Banken, denen Finanz-Start-ups in einigen Bereichen bereits Kunden wegnehmen und die spät mit branchenweiten Lösungen wie dem Bezahlsystem Paydirekt kamen.Die Zulieferindustrie profitiert dabei enorm davon, dass sie schon immer Produktinnovationen und Produktionstechnologien erfinden musste, um im Wettbewerb nicht abgehängt zu werden.Eines jedoch lässt sich nicht voraussehen, wird aber entscheidend sein: inwiefern sich die in den Ausgründungen der Firmen etablierten neuen Realitäten in die Mutterkonzerne übertragen lassen. Und inwiefern die Mitarbeiter an diesem Strang mitziehen. Noch ist es fraglich, ob und wie schnell sie sich der veränderten Welt ihrer Arbeitgeber anpassen. Und es muss sich erst noch zeigen, ob bunt gestaltete Kreativräume, in denen Bosch-Forscher in Renningen sich auch abseits ihrer Fachgebiete austauschen und auf Ideen kommen sollen, oder Umzüge in das Berliner Start-up-Umfeld dazu ausreichen.