RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: ELSKE FEHL-WEILEDER

"Die Rechtssicherheit in China wird weiter zunehmen"

Insolvenzrecht acht Jahre nach Inkrafttreten immer stärker etabliert

"Die Rechtssicherheit in China wird weiter zunehmen"

– Frau Dr. Fehl-Weileder, der Kreditversicherer Euler Hermes rechnet 2016 mit einem Anstieg der Insolvenzen in China um 20 % nach einer Zunahme um 25 % im vorigen Jahr. Wundert Sie das?Nein, der Anstieg ist ein Beleg dafür, dass sich das Insolvenzrecht in China acht Jahre nach seinem Inkrafttreten immer stärker bewährt – auch, weil es in den vergangenen Jahren durch mehrere Auslegungsanweisungen des Obersten Volksgerichtshofs konkretisiert wurde.- Welche Auswirkungen hat das?Die Auslegungsanweisungen erhöhen die Rechtssicherheit für alle Beteiligten, da sie für alle chinesischen Gerichte bindend sind. Bislang liegen vier Auslegungsanweisungen vor, weitere sollen folgen. Leider kommen sie nur häppchenweise und decken deshalb noch nicht alle Bereiche ab. Insgesamt sollen die Handlungsanweisungen über 300 Artikel mit thematischen Schwerpunkten umfassen. Das sind mehr als doppelt so viele, wie das Gesetz selbst hat. Die Rechtssicherheit wird in den kommenden Jahren daher noch weiter zunehmen. Der Vorteil für deutsche Unternehmen ist, dass schon die bereits vorliegenden Anweisungen ihre Rechte als Gläubiger stärken.- Inwiefern?Die aktuellen Anweisungen konkretisieren unter anderem die sogenannte Insolvenzanfechtung. Sie legen fest, wann ein chinesischer Insolvenzverwalter geleistete Zahlungen zurückfordern kann und wie sich etwa deutsche Unternehmen vor diesen finanziellen Risiken schützen können.- Haben Sie ein Beispiel?Wenn ihre chinesischen Geschäftspartner Rechnungen verspätet oder überhaupt nicht bezahlen, sollten deutsche Unternehmen offene Forderungen möglichst schnell vor Ort in China gerichtlich durchsetzen und vollstrecken. Zahlungen, die Gläubiger durch eine Klage oder ein Schiedsverfahren in den letzten sechs Monaten vor dem Insolvenzantrag erlangt haben, können laut den Auslegungsanweisungen nicht zurückgefordert werden. Das ist ein großer Unterschied zum deutschen Insolvenzrecht. Hierzulande können Insolvenzverwalter solche Zahlungen vergleichsweise einfach anfechten.- Ist das der einzige Unterschied?Die beiden Insolvenzrechtssysteme unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. In China gibt es zum Beispiel keine Insolvenzantragspflicht wie im deutschen Recht. Das heißt, dass die Verantwortlichen sogar dann keinen Insolvenzantrag stellen müssen, wenn ein Insolvenzgrund vorliegt. Ihnen drohen in einem solchen Fall – anders als in Deutschland – keine straf- oder haftungsrechtlichen Konsequenzen. In China ziehen sich daher trotz der vielen Insolvenzen immer noch vergleichsweise viele Unternehmen ohne gesetzliches Verfahren vom Markt zurück, sobald sie nicht mehr konkurrenzfähig sind.- Was kann ein deutsches Unternehmen dagegen tun?Ein deutsches Unternehmen kann gegen seinen chinesischen Geschäftspartner einen Insolvenzantrag stellen, wenn eine offene Forderung gegen ihn und ein Insolvenzgrund vorliegt – also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Den für diesen sogenannten Gläubigerantrag notwendigen Nachweis der Insolvenzreife und ihrer Antragsberechtigung können deutsche Unternehmen erbringen, indem sie mit dem Antrag Mahnungen einreichen. Dadurch belegen sie, dass sie bereits mehrfach vergeblich versucht haben, ihre Forderung einzutreiben.- Gibt es weitere Besonderheiten?Der Antrag muss bei dem zuständigen Insolvenzgericht in China eingereicht werden. Und das geht nur auf Chinesisch. Ein gutes Beispiel für Gläubigeranträge sind die Insolvenzverfahren der vier Tochtergesellschaften von LDK, einem prominenten chinesischen Unternehmen aus der Solarbranche. Ende November 2015 hat das zuständige Gericht die Anträge zweier Gläubiger angenommen. Auch wenn es sich hier um Gläubiger aus China handelt, zeigen diese Verfahren, dass sich das chinesische Insolvenzrecht immer stärker etabliert. Ohne das Antragsrecht der Gläubiger wären die Gesellschaften wahrscheinlich ohne Verfahren abgewickelt worden.—-Dr. Elske Fehl-Weileder ist Rechtsanwältin bei Schultze & Braun. Die Fragen stellte Walther Becker.