„Die Strategie zu haben, ist nur der erste Schritt“
Stefan Paravicini.
Frau Christmann, die Start-up-Strategie des Wirtschaftsministeriums hat viel Beifall aus der Gründerszene erhalten, die Pläne des Finanzministeriums zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung eher weniger. Braucht Christian Lindner auch eine Start-up-Beauftragte?
Wir arbeiten als gesamte Ampel-Regierung daran, die Bedingungen für Start-ups zu verbessern. Das ist auch das Ziel, das wir mit der Start-up-Strategie verfolgen. Mit der Strategie wollen wir diese Themen bündeln. Wenn durch eigene Aktivitäten in den jeweiligen Häusern deutlich wird, dass man sich dort intensiv Gedanken macht, was die richtigen Instrumente zur Umsetzung sind, dann freut mich das. Über die Details der Umsetzung werden wir natürlich noch einmal gemeinsam sprechen und dann schauen, welche Punkte vielleicht noch stärker adressiert werden sollten.
Wo gibt es in den Plänen des Finanzministeriums und des Justizministeriums für ein Zukunftsfinanzierungsgesetz mit Blick auf Start-ups Nachholbedarf?
Die Reaktionen haben deutlich gemacht, dass sich alle freuen, dass die beiden Häuser an dem Thema dran sind. Aber gerade bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung geht es um die Frage, wie wir das insgesamt zu einem einfachen Modell machen. Da ist der Steuerfreibetrag aus den Eckpunkten zum Zukunftsfinanzierungsgesetz sicher nur eine kleine Komponente, die ein paar grundsätzliche Fragen nicht klärt. Das sind Dinge, die wir jetzt besprechen müssen.
Wie finden Sie es eigentlich, dass die FDP-Minister Lindner und Buschmann kurz vor der Sommerpause noch schnell auf das Start-up-Thema aufgesprungen sind?
Ich begrüße es sehr, dass aus den Häusern jetzt Vorschläge kommen, wie wir die Themen für Start-ups umsetzen können. Das ergänzt sich ganz hervorragend. Die Umsetzung der Strategie wird ja jetzt auch anstehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die gesamte Bundesregierung dahintersteht, weil wir dieses Thema gemeinsam als sehr zukunftsorientiertes und wichtiges Thema sehen.
Was entgegnen Sie der Kritik, das Wirtschaftsministerium hätte den Wunschzettel der Gründerszene als Strategie vorgelegt?
Wir sehen die Start-up-Strategie als ganz wichtiges Zukunftsthema, weil wir Start-ups für die Bewältigung der vielen Herausforderungen brauchen, die wir haben. Wir sehen das aktuell ja ganz offensichtlich beim Thema Energiewende und Energiekrise. Wir haben aber auch das Thema Gesundheit in der Pandemie gesehen. All das sind Themen, für die wir Start-ups brauchen, weil das die Akteure sind, die digitale Technologien entwickeln und auch in die Anwendung bringen. Und wir brauchen bei all diesen Themen jetzt schnellen Fortschritt. Es ist deshalb im ureigenen Interesse der Bundesregierung, gute Bedingungen für Start-ups zu schaffen. Natürlich geben wir da aber auch politischen Input und Richtungen vor wie beim Thema Finanzierung.
Wo ist da die Handschrift des Ministeriums zu erkennen?
Start-ups brauchen grundsätzlich besseren Zugang zu Wagniskapital. Wir haben daher einen neuen Fonds vorgeschlagen zum Thema Deep Tech and Climate. Klima ist dabei ein neuer Schwerpunkt, den wir politisch setzen, weil es sinnvoll ist, die Schaffenskraft von Start-ups für die Herausforderungen der Klimakrise zu nutzen und sie dort besonders zu unterstützen. Einen weiteren Schwerpunkt legen wir aus politischer Überzeugung auch innerhalb der Bundesregierung auf Diversität und Female Founders. Aber natürlich haben wir auch die Anliegen der Start-up-Szene aufgenommen. Das haben wir in einem sehr intensiven Workshop-Verfahren getan und das ist, glaube ich, auch das, was eine Bundesregierung tun sollte.
Hat dieses Konsultationsverfahren mit der Gründerszene auch Überraschungen gebracht?
Die meisten Themen sind nicht völlig neu. Neu wäre, wenn wir jetzt mal schaffen, da Bewegung reinzubringen. Das war auch der Tenor in den Workshops und das ist auch der Tenor der Start-up-Strategie. Diese Strategie zu haben, ist nur der erste Schritt. Diese Instrumente jetzt konkret zu machen, umzusetzen und einfach handhabbar zu machen, das ist das Entscheidende. Mit der Strategie haben wir die Themen gebündelt, die schon länger auf dem Tisch liegen. Jetzt geht es darum, sie auch wirklich umzusetzen.
Wie sieht denn der Zeitplan für die Umsetzung aus?
Wir wollen die Strategie im Sommer im Kabinett verabschieden. Wir haben die Themen in die Strategie aufgenommen, die aus unserer Sicht in dieser Wahlperiode umgesetzt werden können. Da wird sicher die eine Maßnahme schneller gehen und die andere etwas intensivere Vorbereitung benötigen. Letztlich ist es aber sinnvoll, sich mit so einer Strategie so viel vorzunehmen, wie man in der laufenden Wahlperiode auch schaffen kann. Das ist unser Ziel. Ab dem Sommer haben wir drei Jahre Zeit dafür und wollen sicherlich mehr am Anfang dieser drei Jahre als am Ende hinbekommen.
Bei der vorgeschlagenen Mindestquote für Wagniskapitalinvestitionen von Pensionskassen scheint es noch besonders großen Gesprächsbedarf zu geben. Könnte das eine der Maßnahmen sein, deren Umsetzung etwas länger auf sich warten lässt?
Uns war es ein wichtiges Anliegen, ein starkes Signal dafür zu setzen, dass wir Mittel aus der Altersvorsorge nutzbar machen sollten für Wagniskapital. Es geht dabei nur um einen ganz kleinen Anteil der Beträge, die in den Pensionskassen vorhanden sind. Ein minimaler Anteil im Bereich eines einstelligen Prozentsatzes würde für den Venture-Capital-Markt schon einen erheblichen Unterschied machen. Dieses Signal zu setzen, war uns ein Anliegen, das wir mit dem Vorschlag der Mindestinvestitionsquote umgesetzt haben.
Und wie steht es um die Chancen für die Umsetzung?
Wie wir dieses Anliegen konkret umsetzen, werden wir sicher noch einmal mit den anderen zuständigen Ressorts prüfen. Ob es tatsächlich die Mindestinvestitionsquote sein wird oder ob es ein anderer Weg ist, auf dem man das Ziel erreichen kann, werden wir dann klären. Für uns ist das Ziel aber sehr klar: Wir wollen das Geld, das in den Pensionskassen vorhanden ist, auch für Wagniskapitalinvestitionen mobilisieren – nicht nur im Interesse der Start-ups, sondern auch im Interesse jener, deren Gelder dort gut angelegt wären. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass die Renditen in dieser Assetklasse gut sind. Deswegen ist es aus unserer Sicht eine Win-win-Situation, die wir in Zukunft nutzen wollen.
Wie viel Wagniskapital soll mit der Mindestquote mobilisiert werden? Der Investor Klaus Hommels hat zuletzt vorgerechnet, dass in Deutschland 100 Mrd. Euro Venture Capital pro Jahr fehlen.
Ich glaube, es wäre falsch, da eine bestimmte Zahl in die Welt zu setzen, an der sich dann alle aufreiben. Wenn wir nur einen kleinen Anteil aus der Altersvorsorge mobilisieren, dann hätte das schon einen großen Effekt auf den Start-up-Markt.
Einen großen Effekt soll auch der Zukunftsfonds haben, den noch die Vorgängerregierung aufgestellt hat. Welche Rolle spielt der Fonds in der Start-up-Strategie?
Gute Dinge soll man weiterführen und weiter verbessern. Das ist unser Umgang mit dem Zukunftsfonds. Positiv ist, dass 10 Mrd. Euro für die Stärkung des Wagniskapitalmarkts zur Verfügung stehen. Das ist aus meiner Sicht eine sehr gute Grundlage. Die einzelnen Instrumente, mit denen dieses Geld sinnvoll genutzt werden soll, sind zum Teil schon in der Umsetzung, zum Teil noch in der Entwicklung und werden jetzt zum Teil von uns angepasst.
Wie sehen die Anpassungen aus?
Wir setzen einen Klimaschwerpunkt mit dem Deep Tech and Climate Fund, der bisher Deep Tech and Future Fund heißen sollte. Das Thema Klima kommt neu als Schwerpunkt rein, weil wir es als so wichtig ansehen, die Chancen bei der Entwicklung von Klimatechnologien zu nutzen und das Signal zu setzen, dass wir da auch mit öffentlichem Geld reingehen und solche Vorhaben unterstützten wollen. Außerdem sind sogenannte Emerging Manager Facilities in der Entwicklung, um junge Fonds zu unterstützen, die von Menschen gestartet werden, die bisher vielleicht noch nicht so gut vernetzt sind in der Venture-Szene. Vor allem Frauen sind hier unterrepräsentiert, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund. Ein dritter neuer Schwerpunkt ist die Förderung des europäischen Wagniskapitalstandorts, den wir mit der European Tech Champions Initiative zusammen mit Frankreich stärken wollen. Dafür geben wir eine Milliarde aus dem Zukunftsfonds, Frankreich gibt eine weitere Milliarde und hoffentlich kommen noch weitere Länder hinzu. Das Ziel ist ein großer Fonds auf europäischer Ebene, der größere Investitionen ermöglicht. Das ist bisher ja die größte Beschränkung: Je größer das Ticket in einer Finanzierungsrunde, desto unwahrscheinlicher ist es, dass das Geld von europäischen Investoren kommt.
Das Volumen des Zukunftsfonds bleibt erst einmal unverändert?
Genau. Die Mittel sind zum großen Teil auch noch nicht gebunden. Die Maßnahmen haben erst begonnen, die Fonds müssen erst aufgesetzt werden. Bevor das Geld nicht sinnvoll investiert ist, ergibt es keinen Sinn zu sagen, weil wir eine neue Regierung sind, legen wir noch einmal 10 Mrd. Euro drauf. Das Geld ist da und das ist erfreulich. Das wollen wir jetzt sinnvoll für eine gute Entwicklung des Wagniskapitalmarktes nutzen.
Sie haben die Förderung von Gründerinnen und Investorinnen hervorgehoben. Profitieren Frauen und Männer nicht gleichermaßen von einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für Start-ups und Venture Capital?
Frauen sind bisher massiv unterrepräsentiert im Start-up-Sektor. Gerade bei digitalen Start-ups, da sind derzeit nur etwa 15% der Gründungsfiguren Frauen. Das ist natürlich viel zu wenig. Auch was die Investorinnen angeht, sind die Verhältnisse ähnlich. Frauen erhalten in der Regel weniger Risikokapital und haben schlechteren Zugang zu Kapital. Das sind Benachteiligungen, die uns auch beim Aufbau eines guten Innovationsökosystems behindern. Diverse Teams sind nachweislich innovativer. Es gibt ganz viele Herausforderungen, bei denen unterschiedliche Perspektiven hilfreich sind. Das ist deshalb nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der Innovationskraft am Wirtschaftsstandort. Mich treibt das Thema schon seit Jahren um und ich habe deshalb zusammen mit Iris Plöger vom BDI und anderen Frauen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Initiative She Transforms IT für mehr Frauen in der Digitalwirtschaft gegründet. Es ist ganz zentral, dass wir Frauen für diesen Bereich gewinnen, um da zukunftsfähig aufgestellt zu sein.
Seit Jahren wird bemängelt, dass die Ergebnisse aus der Forschung zu selten kommerziell nutzbar gemacht werden. Wie hält es die Start-up-Strategie mit dem Thema Ausgründungen?
Wir haben das Thema als einen Schwerpunkt verankert. Das ist mir auch persönlich ein Anliegen, weil ich aus der Forschungspolitik komme und schon in der zurückliegenden Legislaturperiode im Forschungsausschuss aktiv war. Wir haben zum Thema Spin-offs zwei zentrale Instrumente in der Strategie. Das eine ist die Exzellenzinitiative für Entrepreneurship-Zentren. Damit wollen wir im Rahmen des Exist-Programms, das vom Wirtschaftsministerium verantwortet wird, möglichst viele Hochschulen motivieren, sich Gedanken darüber zu machen, ob sie mit ihrer Strategie für die Stärkung von Entrepreneurship und Ausgründungen richtig aufgestellt sind. Alle kennen UnternehmerTUM als Ausgründungszentrum der TU München mit guten Zugängen zu Investoren – davon brauchen wir mehr. Solche Ökosysteme aufzubauen, ist unser Ziel.
Und das zweite Instrument?
Das zweite Thema ist, Ausgründungen möglichst einfach zu machen. Da geht es um die Frage des Transfers von geistigem Eigentum (IP). Da gibt es schon länger den Vorschlag, statt teurer Lizenzzahlungen an Forschungsinstitute virtuelle Beteiligungen vorzusehen. Das hat Vorteile für Start-ups und Vorteile für die Hochschulen. Wenn es klappt, gibt es richtig Geld für die Universitäten. Das ist eine Variante, die wir favorisieren und die gemeinsam mit der Agentur für Sprunginnovationen (SprinD) auch vom Forschungsministerium unterstützt wird. Da sind wir auf einem guten Weg, das auch kurzfristig hinzubekommen.
Wie geht es mit der SprinD weiter, die seit dem Start über mangelnde Beinfreiheit klagt?
Das SprinD-Freiheitsgesetz, das genau diese Dinge verbessern soll, ist bereits in Planung. Dabei geht es um größere Freiheit bei der Verausgabung der Mittel und um bessere Möglichkeiten, sich an Unternehmen zu beteiligen. Bisher muss man Innovationsprojekte im Rahmen der SprinD als 100-prozentige Tochter des Bundes umsetzen, was natürlich für Gründerinnen und Gründer nicht attraktiv ist. Wer gibt schon gerne seine IP in Bundeshand. Wir sind sehr daran interessiert, dieses Gesetzesvorhaben zu unterstützen. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir der SprinD mehr Freiheitsgrade geben, damit sie wirklich wirken kann. Das war ein Konstruktionsfehler aus der vergangenen Wahlperiode, den man jetzt beheben muss.
Eine Frage für die Start-up-Beauftragte des Wirtschaftsministeriums und die Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt gleichermaßen: Welche Bedeutung haben Start-ups aus dem Bereich New Space für den Wirtschaftsstandort?
New Space ist für uns ein großer Schwerpunkt, den ich weiter forcieren möchte. Da sind in der zurückliegenden Wahlperiode schon gute Dinge passiert mit dem Micro-Launcher-Wettbewerb, aus dem drei Start-ups hervorgegangen sind, die alle sehr erfolgversprechend unterwegs sind. Der Staat tritt für ihre Raketen als Ankerkunde auf und hat diesen Start-ups erste Aufträge verschafft. Das hat sehr gut funktioniert, sodass auch private Investoren dazu gekommen sind und die Firmen erfolgreich Mittel einwerben konnten. Dieses Prinzip wollen wir auf weitere Themen ausweiten, etwa auf die Serienproduktion von Satelliten im Rahmen der Kleinsatelliteninitiative. Auch hier ist die Frage, wo der Staat als Auftraggeber auftreten kann. Gerade wenn man an den Katastrophenschutz und den Klimaschutz denkt, gibt es viele Leistungen von Satelliten etwa in der Erdbeobachtung, die der Staat sehr gut gebrauchen kann. Auf europäischer Ebene habe ich gerade mitverhandelt, dass das europäische Satellitenkonstellationsprojekt – die Konnektivitätsinitiative – so aufgebaut wird, dass auch Start-ups davon profitieren können.
Wie ist es sonst so um die staatliche Vergabe von Aufträgen an Start-ups bestellt?
Wir wissen heute nicht, wie viele Aufträge an Start-ups vergeben werden, weil das bisher nicht erhoben wird und es dafür auch keine Definition gibt. Deswegen ist in der Start-up-Strategie vorgesehen, dass wir dieses Wissen verbessern. Denn es ist ein explizites Ziel, die Vergabe öffentlicher Aufträge zu nutzen, um Start-ups zu unterstützen.
Statt Digitalexperten aus Estland einzufliegen, wie es ein Wirtschaftsminister vor gar nicht langer Zeit vorgeschlagen hat, erst einmal schauen, was Start-ups aus Deutschland alles können?
Wir können eine ganze Menge, da bin ich mir sicher. Wir müssen es nur machen.
Das Interview führte