Die verpuffte Elektro-Offensive in den USA
Die verpuffte Elektro-Offensive in den USA
Volkswagen hängt im weltweit zweitgrößten Automarkt in der Nische fest – Neuer Nordamerika-Chef soll Geschäft ankurbeln
Nach dem Dieselskandal wollte Volkswagen in den USA mit Elektrofahrzeugen durchstarten. Doch die Marke kommt im zweitgrößten Automarkt nach wie vor nicht aus der Nische – schwierig, weil es auch in anderen Märkten für VW nicht rund läuft. Jetzt soll ein früherer Porsche-Manager für Schwung sorgen.
Von Carsten Steevens, Hamburg
Es war ein Auftritt mit Nachhall, den Bernd Osterloh im Januar 2014 in einem Wolfsburger Café nahe der Volkswagen-Konzernzentrale hinlegte. Der Dieselskandal war durch US-Behörden noch nicht aufgedeckt, da ging der damalige VW-Betriebsratschef mit der Führung des Unternehmens wegen der Probleme im weltweit zweitgrößten Automarkt hart ins Gericht. Dem Autobauer fehle es dort an passenden Modellen in den gefragten Segmenten großer Geländelimousinen (SUV) und Pick-up-Laster. Das Händlernetz sei noch immer nicht eng genug, beim Modellwechselzyklus habe man sich verkalkuliert. Für VW seien die USA, so Osterloh, „eine Katastrophenveranstaltung“.
Eine Dekade später hat sich der Auftritt der Wolfsburger verändert. SUVs machen inzwischen den Großteil der Fahrzeuge aus, die die Volkswagen Group of America in den USA ausliefert. 2023 lag ihr Anteil in der Statistik der Marke Volkswagen bei 74%, der Pkw-Anteil hingegen bei 16%. 2021 schaffte es die Marke nach langer Zeit in den USA aus der Verlustzone. Doch bei den Marktanteilen hakt es weiterhin.
Einmalige Chance
Als die Wolfsburger im März 2023 den Bau der ersten Batteriefabrik der VW-Tochter Powerco außerhalb Europas im kanadischen St. Thomas ankündigten, erklärte Konzernfinanzchef Arno Antlitz, man habe „jetzt die einmalige Chance, in Nordamerika profitabel zu wachsen und den Wandel in Richtung Elektromobilität maßgeblich voranzubringen“. Pablo Di Si, Präsident und CEO der Volkswagen Group of America, sekundierte, die Elektromobilität sei „unsere Wachstumschance in der Region Nordamerika – und wir treiben eine ehrgeizige Strategie voran, um eine wesentliche Rolle zu spielen“.
Keine zwei Jahre später hat der Argentinier, der 2014 zum VW-Konzern kam, das Geschäft auf dem lateinamerikanischen Markt nach vielen Jahren wieder in die Gewinnzone geführt hatte und zum 1. September 2022 Nordamerika-Chef wurde, Volkswagen verlassen – „auf eigenen Wunsch“, wie der Autobauer im November mitteilte. Zu den Gründen für den Abgang machten die Wolfsburger keine Angaben. Offenbar aber wurden dem 55-Jährigen zu optimistische Planungen sowie atmosphärische Störungen zum Verhängnis.
Verkaufszahlen enttäuschen
Gerade die Verkaufszahlen beim vor gut zwei Jahren in den USA eingeführten Elektro-SUV ID.4 enttäuschen bislang. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres wurden laut Statistik der VW-Nordamerika-Tochter 16.375 Fahrzeuge ausgeliefert – noch einmal rund 40% weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum. Im dritten Quartal lag das Minus gar bei 58%. VW hatte 2019 – verbunden mit Investitionen von 800 Mill. Dollar – mit dem Ausbau des Werks in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee für die E-Auto-Produktion begonnen. Mitte 2022 folgte der Produktionsstart des ID.4. Begonnen wurde mit einer Produktion von zunächst 7.000 Fahrzeugen pro Monat und der Absicht, die Fertigung 2023 auszuweiten.
Der ID.4 ist aktuell das einzige vollelektrische Fahrzeug des Konzerns, das in den USA gebaut und verkauft wird. Weitere Elektromodelle, die Europas größter Fahrzeugbauer in dem Markt verkauft, aber dort nicht fertigt, sind der Elektro-Bulli ID.Buzz, Modelle von Audi wie Q4 e-tron, Q6 e-tron, Q8 e-tron und e-tron GT sowie von Porsche wie Macan, Taycan, Taycan Sport Turismo und Taycan Cross Turismo.
Problem bei Zulieferer
Den lahmenden Absatz des ID.4-Elektromodells führt man bei VW auf mehrere Faktoren zurück. Im zweiten Halbjahr hätten sich die Auslieferungen in Nordamerika vor allem aufgrund eines Verkaufsstopps und eines freiwilligen Rückzugs im Zusammenhang mit einem Qualitätsproblem bei einem Zulieferer, der den Türgriff des ID.4 herstellt, verlangsamt. Zudem hätten Autohersteller aggressiv Anreize für ihre Elektromodelle gesetzt, um Marktanteile zu gewinnen. Schließlich drängten die hohen Zinssätze Verbraucher weiterhin zu billigeren Modellen und Ausstattungen, die in der Regel Fahrzeuge mit Verbrennerantrieb seien.
Um den Verbrauchern und dem Markt gerecht zu werden, werde die Anzahl der zum Verkauf stehenden E-Fahrzeuge angepasst, teilt der Autobauer mit. „Wir haben diese Flexibilität, weil unser Werk in Chattanooga Verbrennungsmotoren und Elektroautos auf derselben Produktionslinie herstellt, so dass wir den Produktmix leicht an die Anforderungen des Marktes anpassen können.“ Planzahlen, wie sie bei der Berufung von Pablo Di Si im Juli 2022 genannt wurden, bekräftigt VW nicht. Damals stellte der Autobauer in Aussicht, das umfangreichste Elektroportfolio auf dem nordamerikanischen Markt zu etablieren und bis zum Ende des Jahrzehnts mehr als 25 Elektromodelle aus dem Konzern anbieten.
Wachstumsziel kassiert
Auch zur Ergebnisentwicklung in der Marktregion und zur Diskrepanz gemessen an internen Erwartungen äußert sich VW nicht. Man sei im US-Geschäft nach wie vor profitabel, sowohl auf Konzern- als auch auf Markenebene, heißt es lediglich. Das in der Ära des im Sommer 2022 ausgeschiedenen CEO Herbert Diess ausgegebene Ziel, mit einem ambitionierten Wachstumsplan bei den Marktanteilen in Nordamerika bis 2030 auf 10% zu kommen, hat VW offenbar kassiert. Zumindest wird es öffentlich nicht mehr wiederholt.
Man wolle einschließlich von Marken wie Porsche, Scout und Cupra – die nicht unter dem Dach der Volkswagen Group of America stehen – den Marktanteil in den USA bis 2030 „deutlich erhöhen“, heißt es bei VW nun auf Anfrage. 7% bis 8% würden wohl schon als Erfolg angesehen. Die Nordamerika-Gesellschaft kommt den Angaben zufolge aktuell auf einen Marktanteil von etwas über 4%.
Ex-Porsche-Manager soll es richten
Das US-Geschäft soll nun Kjell Gruner voranbringen, wie VW im November ankündigte. Der 57-Jährige, der gebürtig aus Stockholm stammt, arbeitete viele Jahre für den seit 2015 von VW-Konzernchef Oliver Blume geführten Sportwagenbauer Porsche, ehe er zum neuen Joint-Venture-Partner von VW, dem kalifornischen Tesla-Herausforderer Rivian, wechselte.
VW habe eine vielversprechende Zukunft in den USA, erklärt der Autobauer. Verwiesen wird auf eine „äußerst wettbewerbsfähige“ Produktpalette, die seit Sommer 2023 komplett erneuert worden sei. Der neue ID.Buzz und Tiguan würden von Beobachtern sehr gelobt. Die Verkäufe seien um 17% gestiegen, und das in einem Markt, der seit Jahresbeginn nur um 1,8% zugelegt habe. „Wir haben eine starke Nachfrage nach Einsteigermodellen und Ausstattungen festgestellt und uns bemüht, unseren Händlern das Angebot zur Verfügung zu stellen, um dieser gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden“, so VW. Der Jetta etwa, der wie die Volkswagen-Modelle Taos und Tiguan im mexikanischen Werk Puebla vom Band rollt, sei mit einem Wachstum von über 60% im Jahresvergleich bei den Einsteigermodellen auf dem Vormarsch.
Zweifel bei Analysten
Dass nun Kjell Gruner zum 12. Dezember mit der Leitung von Volkswagen Group of America betraut wurde, begründet das Unternehmen mit dem Hinweis, Gruner sei ein erfolgreicher Manager und verfüge über große Erfahrung auf dem US-Markt. Doch am Kapitalmarkt wird bezweifelt, dass mit Gruner die Marke VW in den USA deutlich sichtbarer wird. Die US-Investmentbank Stifel, die die VW-Vorzugsaktie bei einem Kursziel von 135 Euro zum Kauf empfiehlt, merkte anlässlich des Managementwechsels an, VW solle seine regionale Strategie überdenken. Der Marke VW legt die Bank den Rückzug aus dem US-Markt nahe.
Premiummarken wie Audi und Porsche seien internationale Produkte und ähnlich in allen Märkten. Bei Modellen von Volumenherstellern hingegen wichen Präferenzen der Kunden regional voneinander ab, was Skalenvorteile begrenze. Die Gewinnmargen seien angesichts der regionalen Unterschiede zu gering. Führten die USA zudem Importzölle auf in Mexiko produzierte Fahrzeuge ein, seien 65% der Autos, die die Marke VW in den USA verkaufe, nicht mehr wettbewerbsfähig. Für Porsche und Audi hingegen sei der US-Markt äußerst wichtig, die Marken hätten aber dort keine Produktion. Im Chattanooga-Werk von VW sollten, so Stifel, die Audi-SUV-Modelle Q7 und Q8 sowie der Porsche Cayenne vom Band rollen.
Neue Zölle?
Die Investmentbank zeigt sich zudem skeptisch, dass VW nach Einführung der wiederbelebten Marke Scout zwei Volumenmarken in den USA benötigt, die bei Teilen und Plattformen nichts gemein hätten. Den Start der Pick-up-Truck-Produktion im separaten Werk in Blythewood im Bundesstaat South Carolina, für dessen Bau Investitionen von 2 Mrd. Dollar veranschlagt werden, erwarten die Wolfsburger inzwischen 2027. Ein Jahr später als zunächst avisiert.
Neue Importzölle nach Antritt der Trump-Administration in den USA Anfang nächsten Jahres könnten der Auslöser für die Marke VW sein, dem US-Markt den Rücken zu kehren, mutmaßt Stifel. Doch auf eine Abkehr der Marke deutet nichts hin, zumal sich die Abhängigkeit vom weltgrößten chinesischen Markt erhöhen würde. Dort sind die Ergebnisbeiträge der Joint Ventures von VW stark gesunken, und die Wolfsburger ringen als langjähriger Marktführer bei Fahrzeugen mit Verbrennerantrieb um Relevanz im stark wachsenden Elektrosegment.
Debatte im Blick
Man beobachte die gegenwärtige Debatte genau, so VW zu möglichen Strafzöllen auch für Importe aus Mexiko und Kanada. Mit der Marke VW sei man in den USA gut aufgestellt, da mehr als 90% der dort verkauften Fahrzeuge in Nordamerika produziert würden und man die Kriterien für eine zollfreie Behandlung im Rahmen des Nafta-Nachfolgeabkommens USMCA erfülle. 2023 lieferte der VW-Konzern in den USA rund 713.000 Fahrzeuge aus. Rund ein Drittel davon wurde in den USA produziert, ein weiteres Drittel in Mexiko. Das restliche Drittel wurde aus Europa importiert.