Die Zukunft der IFRS in einer globalisierten Wirtschaft
In vielen Bereichen schreitet die Harmonisierung unseres europäischen Alltags voran. So auch auf dem Gebiet der Rechnungslegung. Mitte 2002 ebnete die Europäische Union per Verordnung den Weg für die einheitliche Anwendung internationaler Rechnungslegungsnormen innerhalb der EU. Seitdem werden die sogenannten International Financial Reporting Standards (IFRS) sukzessive in europäisches Recht übernommen. Am 6. April ist es genau zehn Jahre her, dass IFRS 1 zu EU-Recht wurde. Der Standard regelt, wie Unternehmen bei der erstmaligen Anwendung der IFRS verfahren sollen.Mittlerweile haben sich die IFRS als weltweit führende Rechnungslegungsnormen etabliert. Doch die internationale Harmonisierung ist nicht abgeschlossen – und noch zögern einige Staaten, die Normen rechtlich bindend zu machen.Seit dem 19. Jahrhundert, als sich Unternehmen erstmals durch verbindliche Rechnungslegungsnormen zu strenger Buchführung und Rechenschaft verpflichten mussten, hat sich die Wirtschaft rasant globalisiert. Das internationale Handelsvolumen ist seither auf das circa 200-Fache angestiegen; rund 80 % des Welthandels entfallen heute auf die Wertschöpfungsketten global agierender Unternehmen.Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat sich Mitte der 1970er Jahre das heutige International Accounting Standards Board (IASB) – eine unabhängige Expertengruppe in London – zur Aufgabe gemacht, die internationalen Rechnungslegungsnormen zu entwickeln. Zentraler Meilenstein für den Durchbruch der IFRS war das Eingehen der offiziellen Partnerschaft des IASB mit der Europäischen Union im Jahr 2000. Zwei Jahre später gab die EU den Startschuss für die Ausdehnung der Standards in Europa. Dies war zugleich die Initialzündung für die weltweite Verbreitung der IFRS.Inzwischen sind die IFRS zur führenden Weltsprache der Rechnungslegung geworden. Einschließlich der Länder in der EU schreiben heute mehr als 100 Staaten eine Anwendung der Standards für kapitalmarktorientierte Unternehmen verbindlich vor. Insbesondere für IFRS-Anwender mit ausländischen Tochtergesellschaften liefern international anerkannte Rechnungslegungsnormen die Basis für eine hochwertige Konzernabschlusserstellung. US-GAAP geht eigene WegeAllerdings dürfen die Fortschritte der letzten Jahre nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der internationalen Standardsetzung Potenzial für Verbesserungen gibt. Zum einen erlauben sich Schwergewichte der Weltwirtschaft wie die USA, Japan und Indien nach wie vor eine eigene Rechnungslegung allein nach nationalen Standards. Vor einigen Jahren gab es noch eine Annäherung zwischen IFRS und US-GAAP. Mittlerweile strebt die US-Börsenaufsicht SEC jedoch auf mittlere Sicht keine Konvergenz mehr zwischen den beiden Rechnungslegungssystemen an. Ein weiteres Auseinanderdriften wäre ein klarer Rückschritt; und spätestens mit der nächsten Krise würden erneut Rufe laut, dass die konkurrierenden Systeme bestimmten Anwendergruppen Wettbewerbsvorteile eröffnen.Zum anderen werden die IFRS weltweit nicht einheitlich angewandt. Zwar nutzen beispielsweise China und andere Länder die Standards als Orientierung; sie übernehmen die Regelungen aber nur zum Teil in nationales Recht – mit Abweichungen im jeweiligen Ermessen der eigenen Judikative. Auch wenn die chinesischen Rechnungslegungsnormen in wesentlichen Punkten an die IFRS angeglichen wurden, verbleibt bei der Vergleichbarkeit chinesischer Abschlüsse insbesondere aus Sicht ausländischer Investoren eine erhebliche Unsicherheit.Aber selbst Länder, die die IFRS vollständig in nationales Recht übernommen haben, legen diese in der Praxis unterschiedlich aus. So mag die Lesart der IFRS in angelsächsisch geprägten Ländern anders als in Kontinentaleuropa ausfallen. Ein Beispiel ist die in angelsächsischer Tradition stehende Fair-Value-Bilanzierung, die mit der Einführung der IFRS in Europa verstärkt Einzug gehalten hat. Zu viel Komplexität schadetDeswegen richtet das IASB sein Augenmerk auch zunehmend auf die weltweit einheitliche Auslegung der Normen. Denn wie ist Investoren und anderen Bilanzadressaten gedient, wenn die lokale Anwendung der internationalen Standards eine länderübergreifende Vergleichbarkeit verhindert? Es verwundert also nicht, dass Aufsichtsbehörden wie die European Securities and Markets Authority (ESMA) immer stärker auf den Prozess der Normeninterpretation und Normensetzung einwirken, um eine einheitliche Anwendung der IFRS zu erreichen. Sollten die Disparitäten weiter ansteigen, werden auf Dauer auch die Finanzmärkte disziplinierend wirken: Investoren werden mangelnde Transparenz gewiss mit einem erhöhten Risikoaufschlag ahnden.Handlungsbedarf gibt es auch bei der zunehmenden Komplexität der internationalen Rechnungslegungsvorschriften. Ein typischer IFRS-Konzernabschluss umfasst mehrere hundert Seiten. Damit stellt sich die Frage, ob die geforderten Angabepflichten stets zu mehr Transparenz beitragen oder ob nicht in einigen Fällen mit hohem Aufwand Informationen geschaffen werden, die für die Investoren keinen deutlichen Mehrwert bieten. Bei der Weiterentwicklung der IFRS ist die Beachtung eines ausgewogenen Kosten-Nutzen-Verhältnisses von zentraler Bedeutung.Mit dem bereits Erreichten haben die IFRS ein starkes Fundament geschaffen. Aber auch zukünftig werden die immer komplexeren Wirtschaftsabläufe einen stetigen Wandel der IFRS bedingen. Dies gilt es mit einer adäquaten Kontinuität der Normensetzung in Einklang zu bringen. Bei dieser Aufgabe verdient das IASB unsere Unterstützung.Dr. Ralf P. Thomas ist Finanzvorstand der Siemens AG. Thomas fungiert zudem als Vorsitzender des Verwaltungsrats des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Ralf P. Thomas Die Rechnungslegungsstandards IFRS sind seit über zehn Jahren EU-Recht. Disparitäten in der Auslegung mindern die Transparenz.——-