Digital Health zieht Wagniskapital an
Junge Digitalfirmen aus dem Gesundheitssektor haben in der Corona-Pandemie mehr Wagniskapital denn je angezogen. Allein in den USA hat sich das Volumen von Venture-Capital-Finanzierungen für Digital-Health-Firmen seit 2015 verdreifacht – auf 14 Mrd. Dollar im Jahr 2020. Das geht aus einer Analyse des Private-Equity-Hauses Adams Street Partners hervor.
In Deutschland gehört zu den größten Transaktionen im Jahr 2021 die 100 Mill. Dollar (83 Mill. Euro) schwere Serie-C-Finanzierung von Caresyntax. Das in Berlin und Boston ansässige Unternehmen bietet Internet-of-Things- und Datenanalyse-Technologie. Die Gründer um Björn von Siemens – ein Ururenkel des Siemens-Gründers – wollen die Digitalisierung in der Chirurgie vorantreiben und mit Big Data die Leistungsfähigkeit von OP-Teams verbessern.
Als Hauptinvestoren haben sich die US-Investmentfirmen PFM Health Sciences, Optum Ventures und Intel Capital beteiligt. Unter den Altinvestoren ist auch der Berliner Wagniskapitalgeber Heartbeat Labs, der bereits 2018 einstieg. Caresyntax entwickelt OP-Software, die Risikofaktoren während der Operation und Gesundheitsdaten der Patienten analysiert und basierend darauf Entscheidungshilfen ableitet. Nach eigener Aussage wird die Technologie von Caresyntax bereits in 8000 Operationssälen bei etwa 13 Millionen Eingriffen pro Jahr eingesetzt.
Ein weiteres Beispiel aus Deutschland ist die 75 Mill. Dollar (65 Mill. Euro) schwere Serie C von Kaia Health, einem Münchener Unternehmen für digitale Therapeutika, das sich auf die Behandlung von Muskel-Skelett-Erkrankungen konzentriert. Die Finanzierungsrunde wurde von einem nicht genannten Wachstumsfonds geleitet. Beteiligt sind auch bestehende Investoren wie Optum Ventures, Idinvest und 3VC. Durch die App von Kaia werden die 500000 Nutzer unter anderem dabei unterstützt, Gymnastikübungen gegen ihre Rückenschmerzen zu machen.
Während der Corona-Pandemie habe sich die Notwendigkeit neuer Versorgungsmodelle gezeigt, erklärt Kaia-Gründer und CEO Konstantin Mehl. Als Beispiel nennt er das schnelle Wachstum bei telemedizinischen Angeboten. Die Gesundheitsbranche sei auf die Vorteile digitaler Therapien und die wachsende Bedeutung der häuslichen Pflege aufmerksam geworden.
Tatsächlich stieg in den Wochen nach Beginn der Pandemie der Anteil virtueller ambulanter Behandlungen laut einer Studie des Commonwealth Fund von 0,1% auf 14%, bevor er sich vorerst bei 7% einpendelte – etwa das 70-Fache des Niveaus, das vor der Pandemie galt.
Adams-Street-Partner Ross Morrison zeigt sich derweil auch „begeistert“ von der Berliner Firma Clue, einem Portfoliounternehmen von Mosaic, das sich auf die Reproduktionsmedizin und die Gesundheit von Frauen konzentriert und bei dem Frauen persönliche Gesundheitsdaten über eine App eingeben und analysieren. Ein weiteres „interessantes“ deutsches Unternehmen sei die von Highland unterstützte Firma Meditopia, eine Plattform für mentale Wellness, die personalisierte Inhalte für Achtsamkeits- und Schlafmeditationen anbietet.
Morrison hat Trends im Gesundheitsmarkt ausgemacht, die dazu führen könnten, dass Digitalfirmen weiter verstärkt Kapital anziehen: Medizinische Versorgung wandere an kostengünstigere Standorte – etwa vom Krankenhaus in die ambulante Chirurgie und vom Arztzimmer in die Telehealth-App. So hat das US-Unternehmen Dispatch Health, das sich um dringende Krankheitsfälle im Zuhause der Erkrankten kümmert, 136 Mill. Dollar unter anderem beim Wagniskapitalgeber Optum Ventures eingesammelt.
Die Pflege älterer Menschen findet laut Morrison zunehmend zu Hause anstelle von zentralen Einrichtungen statt. Dank technischer Fortschritte wie Connected Devices könnten mehr Patienten zu Hause versorgt werden. Die Gesundheitspolitik sorge dafür, dass Telehealth-Lösungen zulässig und zunehmend auch erstattungsfähig seien. Zudem werde das Gesundheitssystem durch Digitalisierung strukturell besser auf Pandemien vorbereitet.