Dominieren Investoren die Debatte über die Vergütung?
Die kürzlich an dieser Stelle lebhaft geäußerte Kritik an einer verstärkten Einmischung institutioneller Investoren in die Vergütungssysteme von Vorständen bedarf realitätsbezogener Klarstellungen: Schon nach der Finanzkrise 2009 wurde die Rolle der Eigentümer intensiv diskutiert – damals wurde allerdings das Manko einer zu passiven Haltung festgestellt. Im Jahr 2011 befasste sich dann die Europäische Kommission in ihrem Grünbuch zur Corporate Governance nicht nur mit der Rolle der Aufsichts- und Verwaltungsräte, sondern auch der Investoren. Ihnen wurde ebenfalls Passivität aufgrund vermuteten oder tatsächlichen Mangels an Einflussmöglichkeiten attestiert.
Inzwischen haben sich sowohl der regulatorische Rahmen als auch das Verhalten der großen Aktionäre in dieser Frage entscheidend verändert. Mit der Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie durch das ARUG II wurde das konkrete Recht, aber auch die Erwartung der Einflussnahme der Investoren in der Vergütungsfrage geschaffen.
Obwohl das jeweilige Abstimmungsergebnis in Deutschland keine rechtliche Bindung, sondern nur eine Nachbesserungs-Obliegenheit entfaltet, sieht das Vergütungsbild inzwischen erheblich anders aus: Die großen Investoren haben erkannt, dass es für ihre Anlagen wertrelevant ist, wenn die Bezahlung des Vorstands (und die Festlegung durch den für das System verantwortlichen Aufsichtsrat) im Einklang mit der „nachhaltigen und langfristigen“ Unternehmensentwicklung ist. So haben viele Investoren und auch die Stimmrechtsberater ihre Vorgaben jetzt so ausgerichtet, dass schon eine Ablehnung in der Hauptversammlung von mehr als 25% als klare Aufforderung zur Verbesserung des Vergütungssystems anzusehen ist und sich auch auf die Entlastungsentscheidung oder Wiederwahlen auswirken kann.
Vorher hatte die 2018 bei einigen großen Dax-Unternehmen erstmalig erfolgte Ablehnung gezeigt, dass die Vergütungsfrage inzwischen zu einem zentralen Anliegen der Aktionäre zur Sicherstellung guter Governance geworden ist.
Die Annahme, dass sich Investorenvertreter „im stillen Kämmerlein“ überlegen, wie sie die Umsetzung der Vorstellungen der Verwaltung schwer machen können, ist schlicht abwegig. Denn schon seit längerem bestehen neben (regelmäßig den Unternehmen hierzu kommunizierten) eigenen Vorstellungen nationale und internationale Netzwerke, die sinnvolle Positionen für ihre Mitglieder entwickeln sowie Stakeholder-übergreifende Initiativen, die ein breiteres Verständnis für angezeigte Lösungen erarbeiten.
Leitlinien verabschiedet
Genau das hat erstmals 2018 (mit einer aktualisierten Fassung im Dezember 2020) ein Arbeitskreis mit heute sieben Aufsichtsratsvorsitzenden, vier Vertretern der großen deutschen Fondsgesellschaften, drei akademischen Vertretern und fünf weiteren Governance-Experten unter Mitleitung des mit der Umsetzung nun unzufriedenen führenden Vergütungsexperten getan und „Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung“ einstimmig verabschiedet. Es kann daher kaum zutreffen, dass die Investoren nicht guten Willen für die Verfolgung sinnvoller Leitsätze zeigen. Dass sie nicht in jedem Fall den sicher wohlausgedachten (manchmal aber zu komplexen) Vergütungssystemen des Aufsichtsrats und seines Beraters beipflichten, sollte aber nicht zu ihrer „Generalverdammung“ führen.
Die großen Investoren werden also weiterhin ihrer treuhänderischen Verpflichtung entsprechend die Linie verfolgen, jedes Unternehmen aufgrund seiner Einzigartigkeit unterschiedlich zu sehen, und dabei durch rechtzeitige Gespräche die Intentionen des jeweils vorgeschlagenen Systems nachzuvollziehen versuchen. Für sie scheidet ein „One size fits all“-Ansatz a priori aus. Stattdessen werden sie dabei relevante branchenspezifische und auch themenbedingte Vorgaben einbeziehen. Wesentlich ist hierbei auch eine Verknüpfung der vom Unternehmen selbst aufzustellenden Nachhaltigkeitsaspekte und seines langfristigen Unternehmenszwecks (dem „Purpose“) mit dem Vergütungssystem.
Trotz als überschaubar anzusehender Differenzen zu Einzelaspekten der vorgelegten Systeme sollten sich also gerade in der durch ARUG II 2021 vorgegebenen großen Hauptversammlungs-Genehmigungsrunde konstruktive Ergebnisse zeigen. So ist die Hoffnung berechtigt, dass sich die so heftige Sorge des sicher gutmeinenden Kritikers als unbegründet erweist.