Druck auf Atlantia wächst
Nach dem Einsturz einer Brücke in Genua will die populistische italienische Regierung dem Autobahnbetreiber Atlantia bzw. deren Tochter Autostrade die Lizenz entziehen. Angeblich ist eine Wiederverstaatlichung des Autobahnbetriebs vorgesehen. Atlantia-Aktien setzten ihren Kursrutsch am Donnerstag fort.tkb Mailand – Die populistische Regierung in Rom will dem Autobahnbetreiber Atlantia (Unternehmerfamilie Benetton) die bis 2042 gültige Lizenz entziehen. Nicht sicher ist, ob der Lizenzentzug nur für die Autobahn bei Genua (50 km) oder für alle von Atlantia betriebenen Autobahnen (3 000 km) gelten soll. In einer Unternehmensmitteilung ließ Atlantia wissen, dass derzeit keinerlei Zertifizierung für die Ursache des Unglücks in Genua vorliege und dass alle drei Monate Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Noch wurde nicht festgestellt, ob die Regierung die periodisch obligatorischen Kontrollen für die Instandhaltung der Autobahnen durchgeführt hat. “Vorerst liegen darüber keine Dokumente vor”, meinte der Verkehrs- und Transportexperte Prof. Ugo Arrigo der Mailänder Bicocca-Universität. Arrigo verwies auch auf die Rückständigkeit Italiens im Transportwesen. Knapp 90 % des gesamten Warentransports werden hier noch per Lkw transportiert, der sogenannte Huckepackverkehr (Straßen-Schienen-Transport) ist gegenüber anderen europäischen Ländern wenig ausgebaut.Um in einer ersten Phase nach dem Einsturz der Brücke in Genua zu helfen, hat Italiens Premierminister Giuseppe Conte 5 Mill. Euro an Hilfsgeldern für die Region Ligurien freigegeben. Außerdem rief er für die kommenden zwölf Monate den Ausnahmezustand in der nordwestlichen Region Italiens aus. Die Atlantia-Konzernführung lehnt den von der Regierung geforderten sofortigen Rücktritt ihrer Topmanager ab. Vizekanzler Luigi Di Maio weigerte sich, mit den Benettons, dem Großaktionär von Atlantia, zu verhandeln. Ein Rechtsstreit bahnt sich an. Niedrige InvestitionenInzwischen hat die EU-Kommission in Brüssel Aussagen des italienischen Innenministers Matteo Salvini zurückgewiesen, wonach Brüsseler Sparvorgaben für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich sein könnten. EU-Staaten könnten ihre Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen, betonte ein Sprecher. Tatsache ist, dass Italien wesentlich weniger als andere europäische Länder in Infrastrukturen investierte. Waren es 2006 noch 15 Mrd. Euro, sanken die Investitionen auf jährlich 4 Mrd. Euro im Zeitraum 2010 bis 2013, um sich aktuell (2017) bei 5 Mrd. Euro einzupendeln. Laut dem technischen Bauinstitut (CNR) gibt es in Italien Tausende von “baufälligen” Brücken, die über 50 Jahre alt sind. Baustatiker Prof. Antonio Brencich von der Universität Genua hat bereits 2016 darauf verwiesen, dass die inzwischen eingestürzte Autobahnbrücke Morandi ein Fehlschlag der Ingenieurskunst gewesen sei, und plädierte damals dafür, das Alternativprojekt “Gronda di Ponente” so schnell wie möglich in Angriff zu nehmen. Dies scheiterte jedoch am Widerstand der Stadt Genua und der inzwischen in der Regierung präsenten Movimento 5 Stelle. Die populistische Regierung peilt eine Wiederverstaatlichung des Autobahnbetriebs an. Angeblich soll die staatliche Straßenbaugesellschaft Anas, die laut Arrigo auch für die Kontrollen der Autobahn-Instandhaltung zuständig ist, zum neuen Betreiber ernannt werden. “Möglicherweise wird durch den Unfall die Infrastrukturstrategie der Regierung beschleunigt”, so der Experte. Die Atlantia-Aktien haben am Donnerstag Kursverluste von bis zu 25 % verzeichnet und bis zu 5 Mrd. Euro an Kapitalisierung verheizt. 30 % des Atlantia-Kapitals werden von der Unternehmerfamilie Benetton kontrolliert, 45 % befinden sich in Händen von Kleinaktionären. Am Abend setzte die Ratingagentur S & P Atlantia auf “watch negative” von zuvor “stabil”.