RECHT UND KAPITALMARKT

Durchbruch für die Niederlassungsfreiheit

Erstmals EU-Regelungen zu grenzüberschreitenden Spaltungen und Rechtsformwechseln innerhalb der Mitgliedstaaten

Durchbruch für die Niederlassungsfreiheit

Von Hartwin Bungert und Lucina Berger *)Die EU-Kommission bereitet tatkräftig einen großen Durchbruch vor: Es soll erstmals gesetzliche Regelungen zu grenzüberschreitenden Spaltungen und Formwechsel von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen EU-Mitgliedstaat geben. Dazu hat die EU-Kommission am 25. April 2018 einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungen vorgelegt. Mit der Schaffung eines grenzüberschreitenden Rechtsformwechsels, das heißt der Verlegung des Satzungssitzes über die Grenze, knüpft die EU-Kommission an die Polbud-Entscheidung des EuGH von 2017 an. Darin hatte es der EuGH für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit angesehen, wenn der Wegzugsstaat einen grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel nur zuließ, wenn neben dem Satzungssitz zugleich der tatsächliche Verwaltungssitz mitverlegt wurde. Langjährige ForderungMit der erstmaligen Regelung einer grenzüberschreitenden Spaltung wird einer langjährigen Forderung der Praxis und der Unternehmenswirklichkeit Rechnung getragen, die zwischen anderen Mitgliedstaaten der EU auch ohne entsprechende Regelung bereits erfolgreich umgesetzt wird. Zusätzlich werden im Richtlinienvorschlag ergänzende Regelungen zur bereits etablierten grenzüberschreitenden Verschmelzung statuiert. Alle drei Transaktionsformen sind einheitlich strukturiert. An dem Richtlinienentwurf fällt auf, dass die EU-Kommission in den grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen offenbar ein größeres Missbrauchspotenzial vermutet. Sie schlägt insbesondere spezielle Regelungen vor, mit denen Strukturierungen entgegengewirkt werden soll, die der Steuervermeidung oder anderen missbräuchlichen Zwecken dienen. So bestellt die zuständige Behörde bei mittleren und großen Gesellschaften insbesondere einen unabhängigen Sachverständigen, der die Richtigkeit des Umwandlungsplans und der Berichte prüft, die von der Gesellschaft zu erstellen sind. Dieser Sachverständigenbericht bildet die faktische Grundlage für die Bewertung, die die zuständige nationale Behörde anschließend in Bezug auf ein etwaiges Missbrauchsrisiko vornimmt. Hat die Behörde in der einmonatigen Prüfungsfrist ernsthafte Bedenken, kann sie innerhalb von (weiteren) zwei Monaten eine eingehende Missbrauchsprüfung durchführen. Die Tätigkeit dieses Sachverständigen geht weit über das hinaus, was heute Aufgabe des Verschmelzungsprüfers ist. Besonderen Wert hat die EU-Kommission ferner auf die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer, der Gläubiger und der Minderheitsgesellschafter der an der Unternehmensumwandlung beteiligten Unternehmen gelegt. Die Interessen der Arbeitnehmer sollen bei allen drei grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen insbesondere dadurch geschützt werden, dass neben dem schon bisher bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen verpflichtenden Umwandlungsbericht an die Gesellschafter ein zusätzlicher Umwandlungsbericht für die Arbeitnehmer durch die Gesellschaft erstellt wird. Dieser erläutert die Auswirkungen der Umwandlungsmaßnahme auf die Arbeitnehmer. Er ist den Arbeitnehmervertretungen mit einer Frist von zwei (Formwechsel, Verschmelzung) bzw. einem Monat (Spaltung) vor der Gesellschafterversammlung zugänglich zu machen, die darüber hinaus den Umwandlungsbericht für die Gesellschafter und den Umwandlungsplan erhalten. Das wird insoweit ein Fremdkörper im deutschen Recht sein, als dieses gegenwärtig allein vorsieht, dass die Folgen der inländischen Umwandlung bzw. grenzüberschreitenden Verschmelzung für die Arbeitnehmer und deren Vertretungen im Verschmelzungs-, Spaltungsvertrag bzw. -plan selbst dargestellt werden.In puncto Mitbestimmung soll – ähnlich wie es heute schon für grenzüberschreitende Verschmelzungen gilt – zunächst eine Verhandlungsphase von bis zu sechs Monaten stattfinden, in der die Gesellschaft und das besondere Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer Art und Umfang der künftigen Mitbestimmung vertraglich vereinbaren können. Nach erfolglosen Verhandlungen wird bei Formwechsel und Spaltung grundsätzlich auf die Auffangregelungen aus der EU-Richtlinie 2001/86/EG verwiesen. Diese sehen entsprechende Regelungen für die Europäische Aktiengesellschaft (SE) vor. Im Grundsatz gilt das Mitbestimmungsregime, das vor der Umwandlungsmaßnahme für die Ausgangsgesellschaft galt, wenn das Recht des Mitgliedstaats der aufnehmenden Gesellschaft nicht mindestens den gleichen Umfang an unternehmerischer bzw. betrieblicher Mitbestimmung vorsieht. Dabei ist die Gesellschaft verpflichtet, eine Rechtsform anzunehmen, die die Ausübung von Mitbestimmungsrechten ermöglicht. Außerdem muss die Gesellschaft Maßnahmen ergreifen, dass die Mitbestimmungsrechte bei einer nachfolgenden Reorganisation durch Verschmelzung, Spaltung oder Umwandlung innerhalb von drei Jahren im Kern gewahrt bleiben. Teil der Prüfung der nationalen Behörde im Rahmen der Eintragungsfähigkeit ist, ob gegebenenfalls erforderliche Regelungen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer getroffen wurden.Bei den Schutzregelungen für Minderheitsgesellschafter wird erstmals vorgesehen, dass jeder Mitgliedstaat ein gerichtliches Verfahren für die Überprüfung der Höhe der Barabfindung einzurichten hat, die Minderheitsgesellschafter wegen des grenzüberschreitenden Charakters der Umwandlung wählen können, anstatt weiterhin an der Gesellschaft beteiligt zu sein. Bei der Verschmelzung wird dieses Überprüfungsrecht den Gesellschaftern auch für die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses eingeräumt. Bislang hatte sich die Praxis in Deutschland bei börsennotierten Gesellschaften häufig gegen eine grenzüberschreitende Verschmelzung entschieden, weil ein gerichtliches Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit eines Umtauschverhältnisses nur dem übertragenden Rechtsträger mit Sitz in Deutschland zur Verfügung stand, was aus Sicht des übernehmenden Rechtsträgers ein einseitiges nachträgliches Korrekturrisiko darstellte.Als Gläubigerschutz können die Mitgliedstaaten zum einen eine Erklärung der Gesellschaft im Umwandlungsplan vorsehen, dass aus Sicht des Leitungsorgans kein Grund zur Annahme besteht, dass die Gesellschaft nach der Umwandlung nicht in der Lage wäre, die bestehenden Verbindlichkeiten zu erfüllen. Zum zweiten erhalten die Gläubiger das Recht, innerhalb eines Monats nach Offenlegung des Umwandlungsplans bei der zuständigen Verwaltungs-/Justizbehörde angemessene Sicherheiten zu verlangen. Zum dritten wird vermutet, dass den Gläubigern kein Nachteil entsteht, wenn der Bericht eines von der Behörde bestellten Sachverständigen festhält, dass eine übermäßige Beeinträchtigung von Gläubigerrechten nicht zu erwarten ist oder den Gläubigern ein Zahlungsanspruch in Höhe der ursprünglichen Forderung gegen einen Sicherungsgeber oder gegen die aus der Umwandlung hervorgehende Gesellschaft (bei Spaltung: beide Gesellschaften) angeboten wird. Große BeliebtheitEs ist nur eine grenzüberschreitende Spaltung zur Neugründung vorgesehen, das heißt auf einen im Wege der Spaltung neu entstehenden Rechtsträger. Die in der inländischen Praxis häufigere Spaltung zur Aufnahme durch einen im Aufnahmestaat bestehenden Rechtsträger sei mit Missbrauchsrisiken behaftet und insoweit im grenzüberschreitenden Kontext zu komplex. Das ist bedauerlich und schwer nachvollziehbar.Insgesamt ist eine gesetzliche Verankerung der grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen aus Sicht der Praxis sehr zu begrüßen. Grenzüberschreitende Rechtsformwechsel und Spaltungen werden sich voraussichtlich ebenso wie seit ihrer Einführung die grenzüberschreitende Verschmelzung großer Beliebtheit erfreuen. Positiv ist auch, dass der Richtlinienentwurf einen einheitlichen Ansatz wählt und alle drei Umwandlungsarten im Grundsatz gleichförmig regelt. Im Detail bleiben verschiedene Einzelpunkte diskussionswürdig, aber der Gesetzgebungsprozess steht auch noch am Anfang.—-*) Dr. Hartwin Bungert und Dr. Lucina Berger sind Partner von Hengeler Mueller in Düsseldorf und Frankfurt.