Düstere Perspektiven für die Ölindustrie

Nachfrage- und Preiseinbruch trifft auf ohnehin überversorgten Markt - Ergebnisse früherer Jahre sind vorerst passé - Kursdesaster

Düstere Perspektiven für die Ölindustrie

Die Perspektiven für die Ergebnisse der Ölkonzerne und der Ausrüster haben sich dramatisch verschlechtert. Vor dem Hintergrund der weltweiten Coronavirus-Krise hatte ein Streit um die Ölfördermengen zwischen den Opec-Mitgliedern und Russland zu einem Einbruch der Preise für fossile Brennstoffe geführt.Von Martin Dunzendorfer, FrankfurtDie Ölpreise stürzen um rund 30 % ab; die Sorte Brent liegt nun auf einem Niveau wie zuletzt im Februar 2016. Im Sog des schwarzen Goldes fällt der Preis für Erdgas auf den niedrigsten Stand seit fast 22 Jahren. Das waren die für die Bewertung von Firmen aus der Branche maßgeblichen Marktbewegungen am Montag. Die Ergebnisperspektiven der Ölkonzerne und ihrer Zulieferer, die ohnehin schon trübe waren, haben sich dadurch noch verschlechtert, da mit einer Gegenbewegung in gleicher Stärke vorerst nicht zu rechnen ist.Auslöser des Preisrutsches war der Streit um Ölfördermengen zwischen den Opec-Mitgliedern, insbesondere Saudi-Arabien, und Russland. Wegen der sinkenden Nachfrage infolge der weltweiten Coronavirus-Krise hatten die Saudis auf Produktionskürzungen gedrungen, auf die sich Moskau nicht einlassen wollte. Nun könnte der ohnehin gut versorgte Ölmarkt mit zusätzlichem Angebot – vor allem aus Saudi-Arabien – geflutet werden, was jede Markterholung illusorisch werden lässt.Da die Beurteilung der Ölindustrie und ihrer Unternehmen durch Analysten zuvor schon von Vorsicht und Skepsis geprägt war – erst am Freitag hatte z. B. Goldman Sachs das Kursziel für ExxonMobil deutlich von 59 auf 49 Dollar gesenkt und die Einstufung “Verkaufen” bestätigt -, taumelten die Aktienkurse von Ölkonzernen und Ölfeldausrüstern zu Wochenbeginn auf mehrjährige Tiefs.An der saudischen Wertpapierbörse Tadawul brachen die Papiere von Saudi Aramco – der Konzern war erst im vergangenen Dezember an die Börse gegangen – im Verlauf um 10 % auf 27 Riyal ein. Die Anteilscheine des weltgrößten Ölproduzenten liegen damit erstmals, dafür aber gleich sehr deutlich unter dem Ausgabepreis von 35,20 Riyal. Die Notierungen der großen nordamerikanischen und westeuropäischen Industrievertreter brachen um 15 bis 20 % ein. Ähnlich wie vor sechs Jahren Die jetzige Situation erinnert an die Zeit vor knapp sechs Jahren. Damals – von Juni 2014 bis Januar 2015 – war der Ölpreis von 115 auf 50 Dollar abgeschmiert. Das hatte die der Ölindustrie angehörigen Unternehmen erheblich ins Wanken gebracht. Nach einer Erholung schien die Krise aber spätestens 2018 überwunden. Die Gewinne sprudelten wieder; teilweise waren die Konzerne profitabler als vor der Krise. Aber die Freude in den Ölhochburgen Houston, London und Amsterdam war nur von kurzer Dauer. Schon 2019 war für die fünf großen Spieler – ExxonMobil, Chevron, Royal Dutch Shell, BP und Total – alles andere als ein Rekordjahr. Zwar setzten die Supermajors mit rund 1,2 Bill. Dollar fast genauso viel um wie 2018, doch die Gewinne sanken insgesamt um fast 40 % auf 49 Mrd. Dollar.Am heftigsten traf es Chevron (siehe Grafik). Der US-Konzern rutschte wegen einer hohen Abschreibung im vierten Quartal sogar mit 6,6 Mrd. Dollar in die roten Zahlen. Das Ergebnis im Gesamtjahr brach in der Folge um 80 % ein.Auch abseits von Sonderfaktoren war 2019 kein wirklich gutes Jahr für die Ölindustrie, weil die fossilen Brennstoffe im Jahresvergleich spürbar billiger geworden waren. Ursache ist vor allem die Nachfrage, die erheblich unter früheren Schätzungen blieb, aber auch das Angebot fiel höher aus als erwartet. Tatsächlich wurde auf der Welt mehr Öl produziert als verbraucht. Das drückt natürlich den Preis und letztlich die Konzernergebnisse. Durch Ausbruch und Verbreitung des Coronavirus sowie deren Folgen ist die Ölnachfrage nochmals eingebrochen.Hinzu kommt: Auch das Gasangebot übersteigt die Nachfrage derzeit bei Weitem. Besonders stark trifft es das Flüssigerdgas, kurz LNG (Liquefied Natural Gas). Hier war der Preis schon vor den jüngsten Turbulenzen um etwa 40 % im Vorjahresvergleich gesunken. Die französische Total wirkte dem entgegen, indem sie 2019 fast 60 % mehr LNG verkaufte als noch ein Jahr zuvor. So hielt sich die Gewinneinbuße mit 1 % in Grenzen. Die niederländisch-britische Shell erhöhte ebenfalls ihre LNG-Verkäufe, doch hier war der Rückgang des Konzerngewinns mit einem Drittel trotzdem beträchtlich. Experten erwarten den großen Nachfrageboom für LNG aber ohnehin erst in drei Jahren. Dann soll die Nachfrage das Angebot übersteigen. Deswegen investierte “Big Oil” trotz zuletzt mauer Ergebnisse auch 2019 kräftig in den Ausbau des LNG-Geschäfts.Die schwächelnde Weltwirtschaft schlägt auch auf die Margen im Chemiebereich durch. Besonders deutlich wird das bei ExxonMobil, wo 2019 der Gewinn in dieser Sparte um 84 % auf 592 Mill. Dollar einbrach.Die Bewertungen der fünf großen Ölkonzerne haben sich gemessen an ihren Hochs seit Anfang 2018 etwa halbiert. Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu den dominierenden Ölfeldausrüstern, die allesamt ihren Sitz in den USA haben: Schlumberger brachen um 79 % ein, Baker Hughes um 80 %, Halliburton um 85 % und National Oilwell Varco um 75 %. Nach einem Grund für diese Kursdesaster muss nicht lange gesucht werden: Wenn der Ölpreis seitwärts oder abwärts tendiert bzw. die Versorgungslage mit fossilen Brennstoffen mit Blick auf die nächsten Jahre üppig oder zumindest ausreichend erscheint, wird nicht in neue Projekte investiert – also werden auch keine Aufträge für Bohrgestänge, Hochdruckpumpen oder Pipelines vergeben. Selbst Ersatzinvestitionen werden zusammengestrichen bzw. unterbleiben – etwa weil ältere Ölfelder, die schon weitgehend ausgebeutet und zu aktuellen Preisen kaum noch wirtschaftlich zu betreiben sind, aufgegeben werden. Vor der Konsolidierung Das hat die Ergebnisse der Ölfeldausrüster schon seit zwei Jahren stark belastet, aber wenn der jüngste Crash am Öl- und Gasmarkt ohne starke Gegenbewegung bleibt, werden die Resultate noch viel stärker unter Druck geraten. Für Zulieferer, die unter hohen Schulden ächzen und deren Cash-flow schwächelt, könnte diese Entwicklung existenzgefährdend werden. Kapitalerhöhungen sind da ebenso möglich wie die Aufgabe der Unabhängigkeit – sprich: eine Fusion oder Übernahme mit einem/durch einen Wettbewerber.