Eigenkapitalförderung als Konjunkturprogramm
Niedrige Inflation und niedrige Zinsen sind ein strukturelles Phänomen. Der hohe Beschäftigungsgrad in vielen Industrieländern sollte nach dem Lehrbuch über Lohnsteigerungen inflationär wirken. Das Gegenteil ist zurzeit der Fall.Hierfür sind unter anderem die technologischen Veränderungen verantwortlich. Der Onlinehandel mit immer niedrigeren Preisen wächst weiter und nimmt auf Landesgrenzen keine Rücksicht. Die Globalisierung trägt ebenfalls ihren Teil zur Inflationsdämpfung bei, indem Produktion dort stattfindet, wo kein Beschäftigungsdruck mit Preissteigerungspotenzial besteht. Grenzüberschreitende Lieferketten haben zu hohen Kosteneinsparungen geführt. Geldpolitik ohne SpielraumDie globalen Kapitalflüsse durch die Kapitalsammelstellen wie Pensionsfonds, Publikumsfonds, Staatsfonds etc. führen dazu, dass Renditen sich immer mehr angleichen und sich derzeit nach unten hin anpassen. Der zusätzliche Kauf von Anleihen durch Notenbanken verstärkt diesen Trend. Niedrige Preissteigerungsraten und niedrige Zinsen scheinen für die nächste Zukunft festgeschrieben zu sein und schränken den Einfluss der Geldpolitik auf die Belebung der Konjunktur erheblich ein.Die Fiskalpolitik mit der Schuldenbremse will die Neuverschuldung nach Möglichkeit vermeiden. Die Begründung, dass bei der demografischen Entwicklung in Deutschland bereits der derzeitige Schuldenberg für die Belastung künftiger Generationen eigentlich zu hoch ist, ist berechtigt. Die Handlungsfähigkeit des Fiskus, die Konjunktur zu beleben, ist somit stark eingeschränkt. Es müssen also andere Wege gefunden werden, um Wachstum und Investitionen in der Wirtschaft und damit bei Unternehmen zu fördern.Die Entwicklung in der Unternehmensfinanzierung ist allerdings gegenläufig und verschärft sich weiter. Nach wie vor sind Banken mit Krediten die wesentlichen Finanzierer, deren Kreditvergabe zunehmend restriktiver wird. Ein Grund liegt in dem wesentlich höheren regulatorischen Eigenkapital, das nach der Finanzmarktkrise für Kredite bereitgestellt werden muss. Mit der Einführung von Basel IV ist mit einem erheblichen Anstieg des geforderten regulatorischen Eigenkapitals zu rechnen. Dies geschieht zu einer Zeit, in der seit einigen Jahren deutsche Banken nicht mehr ihre Kapitalkosten verdienen. Neues Eigenkapital extern zu beschaffen, dürfte daher schwerfallen.Der konjunkturelle Zyklus zeigt abschwächendes Wachstum, und Auftragsrückgänge in der Automobil- und Maschinenbaubranche nehmen zu. Eine allgemeine Reduzierung der Kreditportfolien bei den Banken ist in solchen Situationen üblich. Daher dürfte sich die Kreditvergabe tendenziell verringern. Dies in einer Situation, in der die Unternehmen eigentlich zusätzliche Finanzierungsmittel benötigten, um schwierige Transformationsprozesse wie die Digitalisierung oder die Neuorientierung im Automobilsektor bei ungünstigen Marktverhältnissen zu bewältigen.Eigenkapital bereitzustellen, wäre der einzige Weg, um nicht nur einzelne Finanzierungsengpässe zu beseitigen, sondern um angesichts der Pattsituation von Geld- und Fiskalpolitik Wachstum in der gesamten Breite der Unternehmenslandschaft zu fördern. Die Altersvorsorge in Deutschland auf Aktien und Beteiligungskapital (Private Equity, Venture Capital etc.) umzusteuern, wäre ein Schritt, um Eigenkapital für Unternehmen zu mobilisieren. Voraussetzung dafür wäre, bei Lebensversicherungen, Pensionskassen, Versorgungswerken die Anlagepolitik aus regulatorischen und Bilanz-/Reporting-Erfordernissen mit staatlichen Garantien zu unterstützen. Dänemark hat gezeigt, dass mit EU-Wettbewerbsrecht konforme Strukturierungen gefunden werden können. Standort Deutschland stärkenMit Aktien und Unternehmensbeteiligungen die Altersvorsorge zu fördern, ist darüber hinaus ein sinnvoller Weg, den zu erwartenden Generationenkonflikt wegen zu hoher Belastung im Hinblick auf Transferzahlungen für Renten und Pensionen zu entschärfen und damit den künftigen Bundeshaushalt zu entlasten. Nur Eigenkapitalinvestments werden mittel- und langfristig allein in der Lage sein, die notwendigen Renditen für die Altersvorsorge zu erzielen. Anleihen werden bei aktuell niedrigen Zinsen für künftige Versorgungsansprüche der alternden Bevölkerung bei weitem nicht ausreichen.Deutsche Unternehmen sind ferner die Basis künftiger Steuereinnahmen. Die Eigentümerfrage, ob Zentrale, Forschung und Produktion in Deutschland verbleiben, ist nicht unwesentlich. Dass derzeit sich über die Hälfte der Anteile an börsennotierten deutschen Unternehmen im Ausland befindet, gefährdet tendenziell den Standort Deutschland. Auch Start-ups in der Wachstumsphase sind im Visier ausländischer Investoren. Außerdem sollte die Altersvorsorge davon profitieren, in Deutschland, dem industriell stärksten Land Europas, zu investieren.Für mittelständische Unternehmen, die in der Regel keinen Zugang zum Kapitalmarkt haben, sollte über Fondsmodelle langfristiges Eigenkapital als Minderheitenbeteiligung bereitgestellt werden, das der Eigentümer nach der Transformations- und Wachstumsphase wieder zurückerwerben soll. Mit diesem Eigenkapital könnte sich der Kreditspielraum erhöhen. Um das in Deutschland bei regulierten Versicherungen und Banken liegende Sparvermögen zu mobilisieren, sind allerdings staatliche Garantien Voraussetzung, die nicht zu einer künftigen tatsächlichen Belastung des Staatshaushaltes führen sollen.Eine umfassende Mobilisierung von Eigenkapital für die Unternehmen unter Berücksichtigung der Anlage für die Altersvorsorge würde mithin einen starken und nachhaltigen Wachstumsimpuls bewirken. Dr. Siegfried Jaschinski ist Partner der Augur Capital, Frankfurt, und noch bis zum 30.11.2020 Aufsichtsratsvorsitzender der Heidelberger Druckmaschinen AG. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-VON SIEGFRIED JASCHINSKI Mit Aktien und Fonds für Unternehmensbeteiligungen lassen sich Ziele der Altersvorsorge mit Wachstumsimpulsen verbinden.