Ein bisschen Neuanfang
Was braucht ein Konzern wie ThyssenKrupp, dem gerade die Hälfte des Vorstands sowie der langjährig waltende machtbewusste Aufsichtsratschef abhandengekommen sind und der vor gewaltigen Restrukturierungsaufgaben steht? Vor allem Ruhe. Unter diesem Aspekt ist der neue Chefkontrolleur Ulrich Lehner eine gute Wahl. Der Mann mit der Hornbrille und dem hintergründigen Lächeln ist kein Polterer, sondern einer, der als dialogfähig gilt und in seiner Zeit als Henkel-Chef auch mit der Arbeitnehmerseite gut klarkam.Diplomatie und viel Kommunikation werden nötig sein, um die angegriffene Unternehmenskultur bei ThyssenKrupp zu reparieren. Standhaftigkeit wird gebraucht, um unbequeme und harte Entscheidungen beim Konzernumbau durchsetzen zu können. Ist Ulrich Lehner der richtige Mann, diesen Prozess als oberster Aufseher zu begleiten? Für ihn spricht seine Erfahrung – der 66-Jährige ist einer der am besten vernetzten Manager in Deutschland. Diese Rolle hat allerdings auch ein Manko: Lehner will für die neue Aufgabe andere Mandate aufgeben, doch an seinem Posten als Aufsichtsratschef der Deutschen Telekom plant er festzuhalten, wie der Bonner Dax-Konzern am Donnerstag bekannt gab. Das Vorhaben scheint gewagt, denn sowohl der eine als auch der andere Großkonzern braucht mehr als nur die halbe Aufmerksamkeit. Als problematisch erweist sich auch Lehners Wirken im Verwaltungsrat des Schweizer Pharmariesen Novartis, wo er die umstrittene Millionenabfindung für Präsident Daniel Vasella, die letztlich doch nicht floss, mit absegnete.Lehner will Corporate Governance und Compliance zu inhaltlichen Schwerpunkten der Arbeit des Aufsichtsrats machen. Das ist ein hoher Anspruch, kam der Manager doch 2008 ursprünglich selbst auf einem der umstrittenen Tickets der Krupp-Stiftung in den Aufsichtsrat. Dass die Stiftung drei Kontrolleure unabhängig von der Zustimmung der Hauptversammlung benennen darf, ist nicht gerade ein Beispiel guter Corporate Governance.Ein echter Neuanfang wird mit Lehner, der zwar nicht die Erstbeschlüsse für die milliardenschweren Fehlinvestitionen in Brasilien und den USA absegnete, aber später nicht erkennbar intervenierte, nicht gemacht. Er darf als mindestens ein bisschen belastet gelten. Vielleicht funktioniert seine Wahl aber letztlich doch. Denn Lehner steht für einen anderen Stil als Gerhard Cromme. Und das könnte entscheidend sein für ThyssenKrupp.