RECHT UND KAPITALMARKT

Ein Fest für Klägerkanzleien und Prozessfinanzierer

Die deutsche Sammelklage kommt - Referentenentwurf ebnet den Weg

Ein Fest für Klägerkanzleien und Prozessfinanzierer

Von Burkhard Schneider *)Für Klägerkanzleien und Prozessfinanzierer ist schon jetzt Weihnachten. Rechtzeitig zum Fest beschert die Bundesregierung den Referentenentwurf einer allgemeinen Sammelklage – nüchtern “Musterfeststellungsklage” genannt. Wie einst die Verstopfung der Justiz mit Prospekthaftungsklagen wegen der “Volksaktie” der Deutschen Telekom zur Einführung des auf Kapitalanlagefälle beschränkten Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) geführt hatten, hat nun die Empörung der Volkswagen-Kunden aufgrund der Dieselaffäre zur Überwindung der erheblichen Widerstände in Politik und Wirtschaft gegen eine allgemeine Sammelklage beigetragen. Die anstehende Bundestagswahl tut ein Übriges, so dass die Chancen einer Verabschiedung des Sammelklagengesetzes vor dem Ende der Legislaturperiode plötzlich gar nicht schlecht stehen.Die geplante Musterfeststellungsklage ist grundsätzlich für alle bürgerlich-rechtlichen Ansprüche und Rechtsverhältnisse möglich. Produkthaftungs- und massenhafte Gewährleistungsansprüche, Reisemängel, Verspätungsschäden im Luft-, Bahn- und Busverkehr, kartellrechtswidrige Preisabsprachen unterfallen der neuen Musterfeststellungsklage. Sie wird zwar keine Class Action im US-Sinne mit universeller weltweiter Bindungswirkung. Denn Strafschadensersatz, Erfolgshonorare, Discovery, Jury Trials, die den Treibstoff der US-Klägerindustrie bilden, wird es bei uns nicht geben. Doch hat die Rechtspraxis auch in Deutschland längst Ersatzlösungen hervorgebracht, die ähnliche wirtschaftliche Auswirkungen haben.In technischer Hinsicht könnte man das Musterfeststellungsverfahren als eine Kombination von Elementen des KapMuG mit solchen des Unterlassungsklagenverfahrens charakterisieren.Anders als sonst im Zivilprozess und im KapMuG ist es im Musterfeststellungsverfahren nicht erforderlich, dass jeder potenzielle Anspruchsinhaber das Prozessrisiko einer eigenen Klage eingehen muss. Er kann abwarten, ob ein Verbraucherverein eine Musterfeststellungsklage erhebt, an die er sich für eine Registrierungsgebühr von zehn Euro rechtswahrend “dranhängen” kann. Die Massenklage kann nur von Verbrauchervereinen, also nicht von Individualklägern oder Gruppen von Klägern geführt werden. Niedrige SchwelleDie Eintrittsschwelle für die Massenklage ist denkbar niedrig angesetzt. Der Verbraucherverein muss nur plausibel behaupten, dass die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Betroffenen von der Sammelklage abhängen könnten. Zudem droht ein Race to the Courthouse, denn das Rennen macht der Klägeranwalt, der als Erster die Rechtshängigkeit herbeiführt. Es gibt keine Registerpriorität wie im KapMuG.Ist die Musterfeststellungsklage erfolgreich, droht dem Beklagten eine Welle von Folgeklagen der Anmelder. Alternativ gibt es auch die Möglichkeit eines vom Gericht genehmigten Kollektivvergleichs.Die Furcht vor verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriffen in die Privatautonomie der Anspruchsinhaber hat beim Referentenentwurf zu zahlreichen Opt-in- und Opt-out-Rechten geführt. Diese stehen aber im Spannungsverhältnis zum Zweck einer gebündelten Rechtsdurchsetzung, die dann weitgehenden Rechtsfrieden schaffen soll. Es steht einem Anmelder im Folgeprozess frei, sich auf die Bindungswirkung des Musterurteils zu berufen – oder den Fall komplett neu aufzurollen. Umgekehrt kann der Musterbeklagte nicht auf der Bindungswirkung eines für ihn günstigen Musterurteils bestehen. Ein klarer Verstoß gegen die prozessuale Chancengleichheit.Es ist festzustellen, dass das neue Musterfeststellungsklagengesetz stark herabgesetzte Hürden aufweist. Die Musterfeststellungsklage ist ohne mündliche Verhandlung nach zwei Monaten im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Dieser Zeitraum ist viel zu kurz für komplexe Sach- und Rechtslagen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. So dürfte die Eröffnung eines Musterfeststellungsverfahrens eher die Regel als die Ausnahme sein.Entfallen ist auch die Filterfunktion von Vorlagebeschluss und Verlagerung des Musterfeststellungsverfahrens auf das Oberlandesgericht. Für Musterfeststellungsverfahren sind die Zivilkammern der Landgerichte zuständig und es gilt der allgemeine Instanzenzug, was die Komplexität erhöht. Zudem fehlen Beschränkungen für nachträgliche Erweiterungen des Verfahrensgegenstands. Frommer WunschSchließlich sieht der Entwurf Möglichkeiten zur Beschränkung des Streitwerts und Kostenrisikos auf Klägerseite vor. Prozessfinanzierer werden hier eine dominante Rolle spielen. So ist es ein frommer Wunsch der Politik, dass die massiven Missbrauchsmöglichkeiten durch “Vorschaltung” gemeinnütziger Verbraucherschutzvereine effektiv vermieden werden können.—-*) Burkhard Schneider ist Partner und Leiter der Praxisgruppe Litigation & Dispute Resolution von Clifford Chance in Deutschland.