"Ein Gewinn für beide Seiten"
Die Oetker-Gruppe zieht sich 80 Jahre nach ihrem Einstieg aus der Containerschifffahrt zurück und gibt die Reederei Hamburg Süd an Mærsk Line aus Dänemark ab. Die Branchenkonsolidierung ist damit nicht abgeschlossen, meint Jörg Junghanns, Geschäftsführer Fracht und Logistik in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Unternehmensberatung Accenture.- Herr Junghanns, der dänische Mærsk-Konzern übernimmt die Oetker-Reederei Hamburg Süd. Ist angesichts der Überkapazitäten bei den Containerreedereien von einem Notverkauf zu sprechen?Ich würde die Transaktion nicht als Notverkauf beschreiben. Sie deutet eher auf die fehlende Bereitschaft der Eigentümer hin, die notwendigen Investitionen zu tätigen, um die Hamburg Süd auf die digitale Welt auszurichten.- Der Weltmarktführer Mærsk Line erwirbt die bisherige Nummer 10 der Branche für 3,7 Mrd. Euro ohne Schulden und erwartet jährliche Synergien von 350 bis 400 Mill. Dollar. Für wen ist der Deal besser: Für Mærsk oder für die Oetker-Gruppe?Meines Erachtens ist der Deal ein Gewinn für beide Seiten. Mærsk hat strategisch akquiriert und investiert in eine etablierte Marke, Frachtkapazität sowie relevante Trade Lanes. Die Oetker-Gruppe konnte durch die Veräußerung die Risiken des volatilen und hart umkämpften Logistikmarkts eliminieren. Sie setzt damit finanzielle Mittel frei, die sie in andere Geschäftsbereiche reinvestieren kann. Ob dies auch für die Mitarbeiter und den Standort Hamburg ein guter Deal ist, wird sich zeigen.- Mærsk will sich künftig auf das Transport- und Logistikgeschäft konzentrieren und das Energiegeschäft abspalten. Was bedeutet die neue strategische Ausrichtung mit Blick auf die Marktmacht von Mærsk Line?Der Fokus auf Kerngeschäft und Kernfähigkeiten gehört seit jeher zu den Erfolgsfaktoren finanziell erfolgreicher Logistiker. Auch im digitalen Wandel hilft dieser Fokus. Es gilt das Kerngeschäft zu transformieren und an den Anforderungen des digitalen “Ecosystems” auszurichten. Hier liegt die Basis für profitables Wachstum in der Zukunft. Gleichzeitig muss das Serviceportfolio um digitale Logistikdienstleistungen ergänzt werden, um nachhaltiges Umsatzwachstum zu generieren. Die Konzentration auf das Transport- und Logistikgeschäft kann meines Erachtens auf diese strategische Ausrichtung hindeuten; und natürlich auf den festen Willen, weiterhin Marktführer zu bleiben.- Branchenkenner bezweifeln, dass die jüngste Erholung bei den Frachtraten von Dauer sein wird. Es gibt noch immer zu viel Schiffsraum, heißt es. Ist das Ende der Schifffahrtskrise denn nun in Sicht?Nein. Diese Unsicherheit scheint die neue Normalität zu sein. Ich erwarte einen anhaltend hohen Druck auf die Preise, bei zunehmender Volatilität der Märkte und flachen Wachstumsraten. Schließlich gibt es noch immer keine merklichen Anzeichen für die Reduzierung der Überkapazitäten. Im Gegenteil: Die globalen Kapazitäten erhöhen sich mit neuen großen Megaschiffen kontinuierlich, alte Schiffe werden nicht dekommissioniert. Das hausgemachte Problem der Branche wird schon beim Blick in die Auftragsbücher der Schiffsbauer deutlich: Ende 2016 waren sie noch voll mit einem scheinbar noch zu bauenden Äquivalent der globalen Frachtkapazität von mehr als 15 %, obwohl das Volumen der Schiffsbau-Aufträge im vergangenen Jahr 75 % unter dem Wert des Vorjahres lag.- Welche Auswege halten Sie für realistisch?Neue Regulierungsschritte wie Vorgaben zu CO2-Ausstoß und Ballastwasser könnten hier Abhilfe leisten. Reeder nehmen ältere Schiffe eher außer Betrieb, als sie kostspielig umzurüsten. Oder die Branche entscheidet sich endlich bewusst dafür, Überkapazitäten kontrolliert abzubauen. Darüber hinaus gibt es viele Möglichkeiten, die gegebene Dynamik der Märkte zu nutzen, beispielsweise durch die Erschließung neuer Umsatzströme und die Neuausrichtung des Geschäfts auf zukünftige Kundenbedürfnisse. Die konsequente Ausführung einer Digitalstrategie muss den Kunden ins Zentrum rücken und die Konsumerisierung des B2B-Geschäfts in Wachstumspotenzial übersetzen. Darüber hinaus lassen sich neue Technologien nutzen, um die Kosten bedeutend zu senken. Genau hier liegt der Schlüssel zu nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit.- Die taiwanesische Yangming hat ihren Verlust auf fast 500 Mill. Dollar im vergangenen Jahr verdoppelt. Ist nach der Pleite der südkoreanischen Hanjin im Jahr 2016 mit weiteren Insolvenzen zu rechnen?Dies ist keineswegs auszuschließen. Angesichts der Insolvenz der Hanjin herrscht sicher eine erhöhte Sensibilität im Markt. Auch deshalb sind in allen wichtigen Regionen Konsolidierungsabsichten und Allianzbestrebungen zu spüren.- Im Zuge der Fusionen und Übernahmen haben sich auch die Schifffahrtsallianzen neu formiert. Welche Bedeutung ist den Bündnissen beizumessen?Strategische Allianzen sind immens wichtig. Sie ermöglichen nicht nur eine Erweiterung des eigenen Netzwerks, sondern auch eine effektivere Auslastungsplanung. Es wird interessant sein zu beobachten, inwieweit auch Investitionen in die Digitalisierung des Geschäfts Bestandteil von Allianzen werden.- Wie lange wird sich die seit 2014 andauernde jüngste Konsolidierungswelle in der Containerschifffahrt noch fortsetzen?Diese Konsolidierungen sind keinesfalls ein Phänomen der Gegenwart. Sie scheinen sich allerdings mit Blick auf die vergangenen 30 Jahre zu verdichten. Ich könnte mir vorstellen, dass es in den nächsten 12 bis 18 Monaten zu weiteren nennenswerten Konsolidierungsschritten kommt, beispielsweise in Fernost.—-Die Fragen stellte Carsten Steevens.