GASTBEITRAG

Ein neuer Governance-Kodex - brauchen wir das?

Börsen-Zeitung, 15.7.2017 Dass Unternehmensvertreter und Gesellschaftsjuristen Sinn und Nutzen des deutschen Kodex auch nach fünfzehn Jahren trotz hoher nationaler und internationaler Akzeptanz bezweifeln, kann weder überraschen noch die Gültigkeit...

Ein neuer Governance-Kodex - brauchen wir das?

Dass Unternehmensvertreter und Gesellschaftsjuristen Sinn und Nutzen des deutschen Kodex auch nach fünfzehn Jahren trotz hoher nationaler und internationaler Akzeptanz bezweifeln, kann weder überraschen noch die Gültigkeit eines etablierten Regelwerks sowie dessen Verständnisqualität in Frage stellen. Nicht neu ist auch die Klage, dass das für alle Stakeholder so essenzielle Gesamtbild der deutschen Governance sich aufgrund der gestiegenen Kodex-Verrechtlichung überlebt hätte.Natürlich sollten auch internationale Best-Practice-Modelle regelmäßig auf Relevanz für die deutschen Belange überprüft werden. Schon angesichts der so zahlreichen Anpassungen an internationale Best Practice in den vergangenen Jahren postuliert man hier jedoch ein vermeintliches Defizit ohne ausreichende Evidenz. Ohne ein zumindest skizzenartiges Bild des jüngst annoncierten großen Wurfs macht man es aber den etablierten Nutzenzweiflern leicht, den Kodex als nur noch historisch begründbares Muster ohne Jetzt-Wert darzustellen. Mutiger für Best PracticeWäre es statt eines großen Kodexumbaus mit langwierigen Abstimmungsprozeduren nicht besser, für Deutschland relevante Best-Practice-Themen mutiger anzugehen? Ganz aktuell ist die international selbstverständliche Einbeziehung der Aktionäre bei gravierend strukturverändernden Maßnahmen (siehe Bayer/Monsanto und Linde/Praxair). Genauso sollte die Aufnahme von Claw-back-Klauseln bei der Vorstandsvergütung, die im Finanzsektor schon Gesetz sind, in kodexgerechter Empfehlungsform Einzug halten. Damit würden sich Aufsichtsräte endlich schwertun, nachträglich bekannt werdendes Fehlverhalten nicht mit der Anpassung künftiger Zahlungen zu vergelten.Wäre ebenfalls nicht mehr Kommissions-Mut zu klareren Vorgaben zu wünschen? Zum Beispiel wäre eine Soll-Empfehlung zum Investorendialog durch den Aufsichtsratsvorsitzenden die sinnvolle Annäherung an internationale Best Practice gewesen. Die ledigliche Aufnahme als Sollte-Anregung zeigt, dass die deutsche Governance-Community internationale Best Practice oft nur scheibchenweise umsetzen kann. Gerade weil der Kodex eben nicht Gesetz ist, kann ja der Aufsichtsratsvorsitzende, der die eigentlich ihm obliegenden Aufgaben immer noch vom Vorstandsvorsitzenden vorgeben lassen will, eine Abweichungserklärung abgeben, ohne dafür zu sehr zu haften. Und wäre es nicht besser gewesen, die jüngste Kodex-Ergänzung der namentlichen Benennung der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder gleich durch detailliertere Kriterien zu vervollständigen? Damit wären zwar nicht alle Unabhängigkeitsfragen abschließend geklärt, die Selbsteinschätzungen der Aufsichtsräte könnten aber deutlich objektiver nachvollzogen werden. Realitätsferne Feststellungen wie bei VW, dass alle Anteilseigner-Vertreter als unabhängig anzusehen seien, würden dann endgültig ins Fabelreich eingehen. Befolgung defizitärDann zu dem gegen den Kodex immer noch ins Feld geführten Vorwurf, dass er lediglich Vorlagen für spätere Verrechtlichung qua Gesetz liefere: frühere Kodex-Verbesserungen wie Transparenz der individuellen Vorstandsvergütung (bereits 2004), keine Regel-Nachfolge vom Vorstand in den Aufsichtsrat und Diversität im Aufsichtsrat waren später im Kodex vor allem deswegen als Gesetzeswiedergabe aufzunehmen, weil die Befolgung dieser Soll-Empfehlungen durch die Dax-Unternehmen defizitär war. Die Politik machte rigide Gesetze zum Aktivitätsbeweis vor Bundestagswahlen, weil eben nicht genügend Unternehmen sich trotz intensiver Kommissionsbemühungen zu gesetzesvorbeugender Akzeptanz der Soll-Gebote entschließen konnten. Bei nüchterner Effizienzanalyse des Kodex ist auch nicht zu verbergen, dass selbst gewichtige Kommissionsmitglieder gelegentlich Schwierigkeiten mit der eigenen Akzeptanz des Regelwerks hatten (wie Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz oder mangelnde Caps für die variable Vergütung des CEO). Politik-Debatte eingegrenztBei der aktuellen und unverändert populistisch gefärbten Diskussion um zu hohe Managerbezüge ist positiv zu vermerken, dass die von der Kommission 2013 eingeführten Empfehlungen für betragsmäßige Höchstgrenzen bei der variablen Vergütung und die Festlegung transparenten Umgangs mit den Versorgungszusagen die politische Debatte immerhin eingrenzen konnten. Bei der deutschen Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie sollte die Kommission in ihrer Beratungsfunktion sehr wohl überlegen, ob einzig der Aufsichtsrat bindende Vorgaben für die Festsetzung des Vergütungssystems machen sollte. Wer die heute in vielen Fällen so übermäßig komplexen Vergütungsregelungen (und damit evidente Aufsichtsratsdefizite) beklagt, der sollte dem durch elaborate Vergütungsexperten beratenen Aufsichtsrat zwar das Erstrecht des Vorschlags für das Vergütungssystem belassen; die systemische Angemessenheit sollte aber auch das verbindliche Plazet der dafür bezahlenden Aktionäre finden.Nachdem in den diesjährigen Hauptversammlungen drei Dax-Unternehmen mit ihren Vorschlägen scheiterten, wird jetzt den Stimmrechtsvertretern ein übermäßiger HV-Einfluss vorgehalten, der aber die von den entscheidenden Investoren vorgenommene eigenständige Prüfung des Vorstands-Vergütungssystems ausblendet. Hätte man nicht besser rechtzeitig mit den stimmpotenten Institutionellen und anschließend den Proxy Advisors über vereinfachte Systeme gesprochen?Nun zum Projekt der Neuausrichtung des Kodex: Mit einem schlüssigen Gesamtbild der relevanten Elemente deutscher Governance wird nicht nur eine Informationsfunktion für ausländische Investoren erfüllt. Auf eine kompakte Darstellung des dualen Systems mit Soll-Vorgaben für Aufsichtsrat und Vorstand sowie deren so wichtige Interaktion kann nicht mit Hinweis auf zu viel Rechtliches verzichtet werden. Generell sinnvolle international gültige Best-Practice-Vorgaben basieren häufig auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen, sodass eine Übernahme sorgfältiger Prüfung mit Augenmaß bedarf. Das Ziel der Akzeptanzsteigerung der Soll-Empfehlungen durch die Unternehmen ist sicher verfolgenswert, angesichts der vom Governance Center der HHL jährlich festgestellten Akzeptanzquoten von über 95 % jedoch kein leichtes Unterfangen. Mangelt es nicht eher an der Qualität der Umsetzung der Soll-Empfehlungen, die sich aber selbst mit präziseren Beschreibungen der Best Practice nicht vorschreiben lässt? Das lässt sich schon an der häufig unterschiedlichen Form der Umsetzung der Soll-Empfehlungen zur Effizienzprüfung und der Wahlvorschläge zum Aufsichtsrat ableiten.Natürlich ist es zu begrüßen, dass der neue Kommissionsvorsitzende sich vorgenommen hat, vorrangig durch Gespräche mit den Unternehmen dort Verbesserungen zu erreichen. Für die Schaffung neuer, vornehmlich auf internationalen Best-Practice-Erfahrungen beruhender Soll-Empfehlungen bedarf es aber eines gleichermaßen intensiven Austauschs mit den Investoren und anderen Stakeholdern. Als ernsthafte Dialogpartner stehen sie in gleicher Verantwortung für sinnvolle Best-Practice-Anpassungen und wollen mehr als nur über den Unternehmen vermittelbare Änderungen zu befinden haben. Noch Luft für VerbesserungFazit: Auch ein um sinnvolle Best Practice ergänzter deutscher Kodex kann keine hohe Governance-Qualität des einzelnen Unternehmens garantieren. Eine Ergänzung des Regelwerks um einschlägige Aspekte, verbunden mit gemeinsamen Anstrengungen relevanter Stakeholder und ausreichendem Mut zu deutlichen Fortschritten sollte aber bewirken, dass die auch international anerkannte Qualität der Führung und Kontrolle der meisten deutschen Unternehmen weiter ausgebaut wird.—-Christian Strenger, Akademischer Direktor, Center for Corporate Governance, HHL Leipzig Graduate School of Management