RECHT UND KAPITALMARKT

Ein Paragraph mit Nebenwirkungen

Gesetz regelt insolvenzrechtliche Behandlung von Termingeschäften

Ein Paragraph mit Nebenwirkungen

Von Nils Andersson-Lindström und Frank Schmitt*)Im Dezember 2016 hat der Gesetzgeber die insolvenzrechtliche Behandlung von Fix- und Finanztermingeschäften neu geregelt. Diese Gesetzesänderung betrifft die Rahmenvertragsmuster zur Zusammenfassung und Abwicklung von Termingeschäften und damit einen wesentlichen Stützpfeiler der Absicherung, mit der sich deutsche Unternehmen vor Preisänderungsrisiken schützen.Grund für die Änderung ist ein auf den ersten Blick unscheinbares Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Juni 2016. Darin hatten die Karlsruher Richter festgelegt, dass Vereinbarungen zur Abwicklung von Termingeschäften, die von den gesetzlichen Regelungen des § 104 der Insolvenzordnung (InsO) abweichen, im Fall der Insolvenz einer Vertragspartei unwirksam sind, soweit sie Rechtsfolgen vorsehen, die den Insolvenzverwalter im Vergleich zu den sonst geltenden Regelungen schlechter stellen. Strukturell streitanfälligHiervon sind insbesondere die in solchen Vereinbarungen enthaltenen Liquidationsnettingklauseln betroffen. Mit diesen auch Nettingklauseln genannten Vereinbarungen, die auf den Mustern des deutschen Bankenverbandes beruhen, werden die wechselseitigen Forderungen aus allen Termingeschäften zwischen Kunde und Bank saldiert. Das verringert das Insolvenzrisiko für beide Parteien. Die Nettingklauseln blieben aber zunächst trotz der BGH-Entscheidung wirksam. Die BaFin befürchtete, dass ihre Unwirksamkeit starke Auswirkungen auf die Realwirtschaft gehabt hätte, und erließ daraufhin hastig eine Allgemeinverfügung, die die alte Rechtslage bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung legalisierte.Mit einer Ergänzung des § 104 InsO hat der Gesetzgeber jetzt zunächst die Rechts- und Insolvenzfestigkeit vereinbarter Nettingklauseln festgeschrieben. Diese nachträgliche gesetzliche Legitimation ist als solche weder ungewöhnlich noch anstößig, sondern das verfassungsgemäße Recht des Gesetzgebers. Insoweit kann man nicht sagen, dass der Gesetzgeber den BGH aushebelt, weil ihm dessen Rechtsprechung nicht passt. Rad zurückgedrehtJedoch gibt es Nebenwirkungen: Als rechtlich problematisch kann sich nämlich die Rückwirkung der Insolvenzfestigkeit der Nettingklauseln zum 10. Juni 2016 erweisen. Diese kann als Eingriff in Eigentumsrechte betrachtet werden und bietet damit eine Angriffsfläche für Insolvenzverwalter. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit – ist die Rückwirkung verfassungskonform oder nicht – führt zu einer strukturellen Streitanfälligkeit der gesamten Neuregelung.Dass die BGH-Entscheidung als Eingriff in die Eigentumsrechte der Insolvenzmasse gesehen werden kann, liegt darin, dass die Liquidationsklauseln schon vor dem Urteil unwirksam waren. Der BGH hat mit seiner Entscheidung lediglich dafür gesorgt, dass die Vertragsparteien davon nunmehr Kenntnis erhielten. Wie sich das BGH-Urteil und das rückwirkende Inkrafttreten der Gesetzesänderung konkret auswirken, lässt sich am besten anhand eines Beispiels verdeutlichen:Bei Termingeschäften, die in einem Rahmenvertrag zusammengefasst sind, hatten eine Bank und ihr inzwischen insolventer Kunde wechselseitige Forderungen von jeweils 100 Euro gegeneinander. Der Insolvenzverwalter konnte aufgrund der Unwirksamkeit der Nettingklausel zunächst verlangen, dass ihm die Bank die 100 Euro zahlt, während die Bank selbst ihre Gegenforderung nur zur Insolvenztabelle anmelden konnte. Dadurch, dass die Klausel durch die rückwirkende Gesetzesänderung jetzt doch wirksam ist, wird der Insolvenzverwalter um bis zu 100 Euro schlechter gestellt, was einer rückwirkenden Enteignung nahekommt.Darüber hinaus sind im Zusammenhang mit dem § 104 InsO weitere Punkte rechtlich bedenklich, da die Regelungen teilweise unspezifisch sind: insbesondere die neu geschaffenen Möglichkeiten, das Netting vertraglich noch weiter vorzuziehen als gesetzlich geregelt und es auf dann noch nicht fällige Ansprüche auszudehnen sowie die Wertermittlung der Ausgleichsforderung nach hinten zu verschieben. Begehrlichkeiten gewecktDer Zeitpunkt, ab dem ein Unternehmen tatsächlich insolvenzreif ist, ist selbst bei großen Insolvenzverfahren oftmals nicht eindeutig feststellbar. Dieser ist aber für die Wirksamkeit neuer Nettingregeln entscheidend. Sinnvoller wäre es daher etwa gewesen, auf den Tag des Insolvenzantrags der betroffenen Vertragspartei abzustellen oder auf den Eröffnungstag des Insolvenzverfahrens.Aufgrund versteckter Verweise besagt das Gesetz zudem, dass die Regelungen des § 104 InsO ab sofort auch für weitere Branchen wie etwa den Handel mit Emissionsrechten gelten. Hier hat der Gesetzgeber ohne Not gehandelt und sicherlich auch bei weiteren Marktteilnehmern Begehrlichkeiten geweckt, sich durch geschickte Vertragsgestaltung von insolvenzrechtlichen Fesseln zu befreien.—-*) Nils Andersson-Lindström und Frank Schmitt sind Rechtsanwälte bei Schultze & Braun.