Eine Branche steht unter Strom

Von Sebastian Schmid, Frankfurt Börsen-Zeitung, 20.3.2019 Die weitgehende Einstimmigkeit, mit der die deutsche Autoindustrie in den vergangenen Jahren gesprochen hat, ist passé. In einem Strategiepapier, in das unter anderem die "Frankfurter...

Eine Branche steht unter Strom

Von Sebastian Schmid, FrankfurtDie weitgehende Einstimmigkeit, mit der die deutsche Autoindustrie in den vergangenen Jahren gesprochen hat, ist passé. In einem Strategiepapier, in das unter anderem die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” Einsicht hatte, beklagt Volkswagen, dass die gegenwärtigen Fördermaßnahmen nicht ausreichen. Besonders Geringverdiener liefen Gefahr, nicht an der Elektrifizierung der Mobilität partizipieren zu können, argumentiert VW. Vorgeschlagen werden üppige Subventionen, die umso höher ausfallen, je kleiner das Auto ist. Hinzu kommt eine Bereitstellung von kostenlosem Ladestrom für Autos mit einem Listenpreis unter 20 000 Euro. Investitionen schützenEs ist ziemlich offensichtlich, was VW hier versucht. Dem Wolfsburger Autobauer geht es primär darum, seine eigenen milliardenschweren Investitionen in die Elektromobilität zu schützen. Denn während die reinen Premiumhersteller wie BMW und Audi wegen der im Schnitt deutlich höheren Preise auch bei kleineren Stückzahlen den Break-even erreichen können, muss VW im Volumengeschäft rasiermesserscharf kalkulieren. Dies gilt allerdings auch für deren Kunden. Das erste Elektroauto der I.D.-Familie spielt in der Golf-Klasse und kommt damit für Käufer in Frage, die oft nur ein Auto besitzen. Entsprechend vorsichtiger sind diese bei der Kaufentscheidung. Ohne nachhaltige Anreize könnte so selbst ein Spitzenprodukt zum Ladenhüter werden, fürchten einige Marktbeobachter – und wohl auch VW-Chef Herbert Diess.Der Alptraum für VW, aber auch die anderen Autokonzerne, wäre sicher, dass man am Ende die CO2-Grenzwerte nicht schafft und trotz hoher Entwicklungskosten hohe Strafzahlungen leisten muss. Vor allem über den Branchenverband VDA ärgert man sich bei Deutschlands größtem Autobauer hinter und vor den Kulissen. Der VDA sei schwach und gebe keine klare Richtung vor. Die von dem in Wolfsburg geborenen Verbandschef Bernhard Mattes propagierte Technologieoffenheit bezeichnete Diess derzeit als “falsche Parole”. 180-Grad-Wende erwartetDoch der Ärger über den schwachen Verband ist wohlfeil. Nach dem Dieselskandal waren es die Autobauer selbst, die für Technologieoffenheit plädierten und damit den Branchenverband auf ein Gleis setzten, von dem dieser sich nun schwertut herunterzukommen. Die Logik der Autobauer war dabei bestechend einfach: Solange man keine Elektroautos im Angebot hat, rührt man für diese besser nicht die Werbetrommel. Nun ändert sich die Lage und der Verband, der als verlängerter Lobbyarm der Branche in Berlin fungiert, hat eine 180-Grad-Wende zu vollziehen. Technologieoffenheit war gestern. Heute gilt es, die Nachfrage für Elektroautos anzuheizen. Würde diesbezüglich eine einhellige Meinung herrschen, wäre der VDA wahrscheinlich auch schon auf dem neuen Gleis unterwegs. Allerdings sind Zulieferer und die verschiedenen Hersteller unterschiedlich schwer investiert und damit auch unterschiedlich interessiert daran, die E-Offensive zum jetzigen Zeitpunkt voranzutreiben.Daimler wird vor dem kommenden Jahr ohnehin nur eine begrenzte Stückzahl des eigenen batterieelektrischen SUV produzieren können, für die sie problemlos ausreichend Abnehmer finden. Bei BMW wird es neue, reichweitenstarke batterieelektrische Modelle ohnehin erst im neuen Jahrzehnt geben. Auch bei den Zulieferern ist die Ausrichtung auf E-Mobilität unterschiedlich weit vorangeschritten.Kein Wunder also, dass der Verband, der mit der Rolle als unerschütterlicher Verteidiger der heimischen Autoindustrie nach dem Diesel-Skandal viel politisches Kapital verspielt hat, sich hin- und hergerissen fühlt – wie eine Marionette, bei der jeder Faden von einem anderen Puppenspieler bedient wird.Eindeutig ist in der aktuellen Lage der Branche vor allem eines: Alle Beteiligten stehen unter Strom.—–Die Forderungen von VW an die Politik zeugen von steigender Nervosität in der Autoindustrie.—–