"Eine gute Governance senkt die Risiken"
Der Deutsche Corporate Governance Kodex ist vor einem Jahr reformiert worden, doch der Fall Wirecard hat die Diskussion über gute Unternehmensführung neu entfacht. Der Fondsverband DVFA unterzieht die Governance der Dax-30-Unternehmen seit 2016 einem Ranking und hat nun wissenschaftlich untersuchen lassen, in welchem Zusammenhang dieser Governance-Score mit der Stabilität der Unternehmensentwicklung steht.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtSeit 2016 analysiert die DVFA die Corporate Governance großer deutscher Unternehmen. Auf Basis einer von dem Fondsverband erstellten Scorecard werden die Gesellschaften beurteilt und einem Ranking unterzogen. Dabei werden ausschließlich öffentlich zugängliche Informationen unter die Lupe genommen. Es wird nicht nur geschaut, ob die Konzerne die Regeln des Deutschen Corporate Governance Kodex akzeptieren, sondern auch wie diese Normen tatsächlich umgesetzt werden. Den Investoren soll mit Hilfe der Scorecard ein Bild über die Qualität der Governance gegeben werden.Über die Jahre hat sich gezeigt, dass die Dax-Konzerne ihre Governance verbessert haben. In der Analyse für 2019 hat die DVFA erstmals auch MDax-Unternehmen auf Basis ihrer Scorecard geprüft und festgestellt, dass die Mid Caps Nachholbedarf haben. Beim nächsten Mal soll auch für SDax-Firmen ein Ranking erstellt werden. Reaktion auf FirmenkrisenUm festzustellen, ob die Scorecard die richtigen Themen setzt, hat die DVFA ihr Konzept in einer wissenschaftlichen Studie analysieren lassen. Beauftragt wurde das Sustainable Governance-Lab unter Leitung der Professorin Christina E. Bannier von der Universität Gießen unter Beteiligung ihrer Kollegin Julia Redenius-Hövermann von der Frankfurt School. Untersucht wurde, in welchem Zusammenhang das Governance-Zeugnis mit der Stabilität der Unternehmensentwicklung steht.Vor dem Hintergrund ihrer Studie erinnert Bannier daran, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex vor fast 20 Jahren als Reaktion auf Unternehmenskrisen entwickelt worden sei, “um zu einer stabileren Entwicklung von Konzernen beizutragen”. Es stelle sich also die Frage, “inwieweit das Regelwerk diese Erwartungen erfüllt hat”, sagt sie im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.”Um das zu beantworten, haben wir uns die Auswirkungen guter Governance, gemessen an der DVFA-Scorecard, auf die Stabilität der Unternehmensentwicklung angesehen”, erläutert die Inhaberin der Professur für Banking & Finance der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dazu wurden die Scorecard-Ergebnisse der Jahre 2016 bis 2019 in ihren Effekten auf Eigen- und Fremdkapitalrisiko, Performance und Eigentümerstrukturen analysiert. Kritischer Blick”Als Fremdkapitalrisiko wurde zum Beispiel die Insolvenzgefahr betrachtet, wozu allein Marktdaten herangezogen wurden, etwa die Spreads der Credit Default Swaps. Es ging uns darum, eine breite Marktmeinung über Fremdkapitalrisiken zu berücksichtigen”, erläutert Bannier, die Aufsichtsratsmitglied der Clearstream Banking AG ist sowie Mitglied der DVFA-Kommission Governance & Stewardship.Auf der Eigenkapitalseite haben die Wissenschaftlerinnen Verlustrisiken analysiert, wobei sie die Schwelle nach eigener Aussage niedrig angesetzt haben. Ein verwendetes Risikomaß ist zum Beispiel der Value at Risk. Dieser kennzeichnet in der Studie die tägliche (negative) Rendite, die über ein Jahr hinweg mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht unterschritten werde.Zur Methodik stellt Bannier klar: “Wir haben nicht nach einer einfachen Korrelation gesucht, weil daraus keine Kausalität abgeleitet werden kann.” Es seien unterschiedliche statistische Verfahren angewendet worden, um zu klären, ob eine gute Governance ursächlich ist für eine stabile Unternehmensentwicklung.Das Ergebnis der Untersuchung zeigt eine klare Wirkung guter Governance, aber nicht auf den ersten Blick. Wenn allein die Gesamtnote aus der Scorecard herangezogen wird, lässt sich kein Effekt auf das Unternehmensrisiko feststellen. “Das hat uns gewundert. Deshalb sind wir in die fünf Teilbereiche des Scores hineingegangen, was ein wesentlich aussagekräftigeres Bild ergeben hat. Bestimmte Bereiche senken Risiken, insbesondere die Eigenkapitalrisiken. Als besonders wirksam in der Stabilisierung von Unternehmen hat sich die Aufsichtsratstätigkeit herausgestellt, zudem der Bereich Aktionäre/Hauptversammlung”, erklärt Bannier.Welche Kriterien der Aufsichtsratszusammensetzung für das Ergebnis entscheidend sind, lasse sich aus den Resultaten der Studie zunächst nicht herunterbrechen. Wenn die Datenreihe durch zukünftige Auswertungen verlängert werde, sei dies aber möglich und auch geplant.Warum gerade dem Aufsichtsrat eine besondere Bedeutung zukomme, sei aus der Konzeption der Scorecard zu erklären, erläutert Hendrik Schmidt, Governance-Experte der Fondsgesellschaft DWS und ebenfalls Mitglied der DVFA-Kommission Governance & Stewardship. “Es ist der umfangreichste Bestandteil der Scorecard. In dem Kapitel geht es in 24 Fragen um den Kern der Aufsichtsratsarbeit: Unabhängigkeit der Gremienmitglieder, Diversity, Sitzungsteilnahme, Struktur der Arbeit, getrennte Sitzungen von Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite oder Besprechungen mit dem Abschlussprüfer ohne Anwesenheit des Vorstands.”Als weniger relevant erwies sich in der Studie das Kriterium Vorstand, was jedoch auch – der bisher geltenden Ausgestaltung des Corporate Governance Kodex folgend – durch eine etwas geringere Anzahl an Fragen in der Scorecard beziehungsweise Kodex-Empfehlungen geschuldet sei. “Hinterfragt wird für das Ranking bislang vor allem die Vorstandsvergütung”, erläutert Schmidt. Dieses Thema sei inzwischen über gesetzliche Regelungen etabliert. Um die Vergleichbarkeit über die Jahre zu ermöglichen, habe die DVFA hier bewusst noch nicht nachgeschärft. Sie werde es aber künftig tun – auch mit Blick auf die verpflichtende Abstimmung über die Vergütung auf den Hauptversammlungen vom kommenden Jahr an. Die Bewertungskriterien der Scorecard wollte die DVFA mit Blick auf die Kodex-Reform sowieso überarbeiten. “Neben der Vergütung könnte dann auch die Zusammensetzung und Arbeitsweise des Vorstands differenzierter betrachtet werden”, deutet Schmidt an.Als Fazit sendet Bannier die Botschaft an die Unternehmen: “Gute Governance rentiert sich. Eine gute Governance senkt die Risiken. Dabei lohnt es sich, mutig zu sein, das Regelwerk mit Leben zu füllen und die Anleger darüber zu informieren.” Ob der Zusammenhang zwischen guter Governance und Unternehmensstabilität über die Jahre zugenommen hat, lasse sich auf Basis der Scorecard-Analyse – noch – nicht beantworten. “Wenn man sich andere Untersuchungen zum Thema ESG anschaut, die weiter zurückreichen, ist eine zunehmende Bedeutung der Governance zu erkennen”, sagt Bannier. Das gelte vor allem für Europa. Überschätzte Wirecard In der Unternehmenswelt wurde das Governance-Ranking der DVFA zuletzt mit Blick auf den Fall Wirecard diskutiert und kritisch angemerkt, dass der unter Betrugsverdacht stehende Zahlungsdienstleister in der Scorecard für den Dax zuletzt immerhin im Mittelfeld auf Platz 17 eingestuft war. Die Governance-Defizite von Wirecard seien also auch dort nicht aufgefallen.Hendrik Schmidt will sich zu konkreten Unternehmen nicht äußern. “Die Scorecard kann nicht alles beantworten”, wirbt er um Verständnis. “Die Analyse versteht sich nicht als Detektivarbeit, um falsche oder versteckte Informationen ans Tageslicht zu bringen beziehungsweise kriminelles Handeln zu identifizieren.” Generell habe sich über die Jahre gezeigt, dass gewisse strukturelle Defizite Risiken bergen. “Es lohnt sich, genau hinzuschauen, wo Unternehmen stehen, bevor sie in den Index aufsteigen. Dabei sind regelmäßig Defizite bei den Themen Aufsichtsratszusammensetzung, Prüfungsausschuss oder Vergütungsstruktur festzustellen”, sagt der Fondsvertreter. “Etabliertes Instrument”In der Praxis werde das Ranking akzeptiert. “Wir bekommen die Scorecard-Ergebnisse in Gesprächen von den Unternehmensvertretern reflektiert”, betont Schmidt. Emittenten, die aufgrund fehlender Indexzugehörigkeit noch nicht untersucht wurden, fragten an, ob sie die DVFA-Scorecard verwenden dürfen. Unternehmen nutzten sie auch für die Analyse ihrer Governance-Qualität und die interne Kommunikation. “Als wir 2016 die ersten Ergebnisse der Scorecard veröffentlichten, bekamen wir durchaus heftigen Gegenwind zu spüren”, erinnert sich Schmidt. Daraus habe sich jedoch relativ schnell ein konstruktiver Austausch mit den Emittenten entwickelt. “Heute ist die Scorecard ein etabliertes Instrument. Die DVFA freut sich, mit der Scorecard die Integrität des Kapitalmarktes zu fördern”, sagt er.Die Diskussion läuft weiter. Der Verband der Investment Professionals wird am 16. September auf der 3. DVFA Governance & Stewardship Konferenz unter dem Thema “,Purpose` und ,Performance` – geht das zusammen?” mit vielen Fachleuten über gesellschaftliche Verantwortung, Sustainable Investing, Nachhaltigkeit und Aktionärsrechte in den Austausch gehen.