"Eine IAA der Chinesen"
Serie IAA-Mobility (8): Ferdinand Dudenhöffer Im IntervieW
"IAA öffnet Schaufenster nach China"
Experte warnt vor Rückstand der deutschen Autobauer
Von Stefan Kroneck, München
Wer keine Skalierungseffekte erzeugt, hat keine Überlebenschance.
Herr Prof. Dudenhöffer, auf der IAA Mobility 2023 treten mehr Aussteller auf. Wie bewerten Sie das?
Das ist ein gutes Zeichen für die Messe in München. Dass deutlich mehr Aussteller in diesem Jahr auftreten, hat mit dem Wandel der Autoindustrie zu tun. Meiner Ansicht nach ist es aber vor allem eine IAA der Chinesen. Diese werden die Messe prägen.
Die chinesischen Autobauer sind auf dem Vormarsch. Steht die Autowelt vor einer Neuordnung?
Ja, in der Tat. Die chinesischen Autohersteller gehen mit hohem Tempo voran. BYD, Nio, Great Wall, SAIC und die anderen Konzerne aus China treten auf der IAA an. Mit dem batterieelektrischen Auto stehen die Chinesen im engen Wettbewerb mit Tesla. Beim softwarebasierten autonomen Fahren und dem sogenannten Smart Cockpit sind die Chinesen den westlichen Herstellern voraus. Die Autowelt hat sich radikal gewandelt. Wir befinden uns in einer Zeit, in der schnelle und dynamische Unternehmen aus China die Entwicklung vorantreiben. Die Autobranche geht in ein neues Zeitalter, das Software-Defined Car wird zum Maß der Dinge.
Woran machen Sie das aus?
Seit drei Jahren sind in Chinas Mega-Citys Robotaxen auf den Straßen unterwegs. Damit haben sich die Chinesen beim Trainieren der Algorithmen zum autonomen Fahren einen Zeitvorteil verschafft. Das werden wir ohne Hilfe aus China nicht mehr aufholen können. In Deutschland wird durch Regulierung und Datenschutz der Fortschritt blockiert. Lernende Software ist nichts für unsere Politiker.
Gibt es dafür Beispiele?
Schauen Sie sich die Tech-Giganten in China an. China und Huawei beherrschen die modernen 5G-Netze. In Deutschland meldet man „Funklöcher“. Huawei, Tencent, Baidu, JD, Netease geben die Richtung vor. In China gibt es sehr viele Unternehmen, die sich mit autonomem und teilautonomem Fahren intensiv beschäftigen. Für Aufsehen sorgte die Nachricht, dass Volkswagen auf diesem Gebiet sich Entwicklungshilfe beim chinesischen Start-up Xpeng holt. Beide Seiten gehen eine enge Partnerschaft ein. Das muss man sich mal vorstellen. Die stolzen deutschen Ingenieure besorgen sich Know-how von den lange belächelten Chinesen.
Welche Felder sind darüber hinaus entscheidend?
Auf der IAA werden auch Chiphersteller und Sensortechnikspezialisten präsent sein. Entscheidend für autonomes Fahren und hochmoderne Assistenzsysteme sind laserbasierte Sensoren, kurz Lidar. Auch Tesla wird da bei seinem Autopiloten nicht herumkommen. Der weltgrößte Lidar-Hersteller ist die chinesische Hesai-Gruppe, während Bosch ausgestiegen ist.
Welche Perspektiven haben unter diesem Blickwinkel die deutschen Autohersteller?
Es geht nicht um die deutschen Autobauer, sondern um alle traditionellen Hersteller, also auch Toyota, Hyundai oder Ford. Der Abstand in der Wettbewerbsfähigkeit zu den Chinesen wird größer. BYD hat kürzlich BMW bei den weltweiten Auslieferungszahlen überholt, und BYD macht ausschließlich Elektroautos und Plug-in-Hybride. Das Unternehmen wächst exponentiell. BYD beherrscht die Batterie. Da kann man nur durch hohe Dynamik konkurrieren. Und wir brauchen Nachhilfe, etwa bei Batterien oder dem Smart Cockpit, und die kommt von den Chinesen. Eine Politik der Distanz zu China, so wie sie etwa Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck oder Außenministerin Annalena Baerbock betreiben, ist eine Politik gegen die Zukunft des Industriestandorts Deutschland: toxisch.
Die chinesische Wirtschaft stottert. Trifft das die deutschen Autobauer besonders hart? Schließlich handelt es sich um ihren größten Einzelmarkt.
Deutlich mehr als ein Drittel der Pkw-Verkäufe von BMW, Mercedes-Benz und VW werden in China gemacht. Wenn China wegbricht, kommen die aus der Balance. Die chinesische Wirtschaft hatte auch in der Vergangenheit schon komplizierte Phasen, und über chinesische Immobilienblasen spricht man seit 15 Jahren. Peking hat es immer geschafft, die Wirtschaft zu stabilisieren. Dabei kommt China zugute, dass man auf vielen Ebenen Technologieführer ist. Der Hauptgrund ist die sehr langfristige Forschungsstrategie. Die IAA zeigt das und öffnet ein Schaufenster nach China.
Welchen Vergleich ziehen Sie dazu mit der EU?
Die EU neigt dazu, schnell die Pferde zu wechseln. Mit jeder Wahlperiode werden die Prioritäten neu gesetzt. Der Zickzack-Kurs in Brüssel und in Berlin ist katastrophal. Das zeigen die Mega-Subventionen für die Halbleiterindustrie. Der Staat verbrennt dadurch Milliarden von Steuergeldern. Statt langfristig etwas aufzubauen, kippt man Milliarden an US-Unternehmen, die dann Standardtechnologie unter einem deutschen Wimpel produzieren.
Welche Elektro-Strategie der börsennotierten deutschen Autobauer überzeugt Sie am meisten?
Ich glaube, BMW, Mercedes-Benz und VW befinden sich in einer ähnlichen Richtung. VW ist dabei, sich zu stabilisieren. Mercedes hat sich schnell auf elektrische Antriebe konzentriert. BMW hat erkannt, dass das reine Elektroauto wichtig ist. BMW hat nachgezogen. Innerhalb des Trios sind die Abstände kleiner geworden. Maßstab sind Tesla und BYD. Der Abstand der deutschen Adressen zu diesem Duo ist noch erheblich.
Der Kampf um Marktanteile nimmt zu. Trägt das zu einem nachhaltigen Preisrückgang bei Elektroautos bei?
Beim Elektroauto zählen hohe Skalierungseffekte. Tesla konzentriert sich auf wenige Modellvarianten. Die Produktionssysteme der Kalifornier setzen auf völlig neue Verfahren, etwa eine riesige Alugussmaschine, die in einem Arbeitsgang das Fahrzeugheck fertigt. Das bringt Tesla Kostenvorteile, die die anderen Hersteller in den kommenden fünf Jahren nicht einholen können. Die Deutschen sind noch sehr in der technischen Modellvielfalt verhaftet. Die hat hohe Produktionskosten und wird vom modernen Kunden kaum geschätzt. Moderne Vielfalt wird durch Software erzeugt und nicht die Nagellackfarbe der Frau. Moderne Vielfalt ist skalengetrieben, und Tesla-CEO Elon Musk nutzt das für einen harten Preiskampf aus, um andere Hersteller zu verdrängen.
Werden die Margen der Unternehmen bei Elektroautos geringer sein als bei Fahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren?
Elektroautos sind ein Geschäftsmodell, bei denen jene Hersteller am meisten verdienen, die große Volumen schaffen. Damit besitzt man die Preis- und Margenhoheit. Es ist ein Monopoly. Musk baut in einem Wahnsinnstempo Fabriken auf, um dieses Ziel zu erreichen. BYD geht ähnlich vor. Der Differenzierungsfaktor für den modernen Kunden ist nicht die althergebrachte teure Variantenvielfalt, sondern die Software.
Tesla ist am Markt deutlich höher bewertet als BMW, Mercedes-Benz und VW zusammen. Ist das Ausdruck eines Misstrauens der Anleger gegenüber dem deutschen Trio?
Die Investoren sehen die Skalierungs- und Geschwindigkeitsvorteile von Tesla. Musk handelt ökonomisch fundiert. Alle Autobauer, die vom Verbrennungsmotor kommen, haben einen außerordentlichen Restrukturierungsbedarf. Gleichzeitig kommen in China im Turbotempo neue Marken und Hersteller. Und bald sind die Vietnamesen und andere dabei. Klar ist, alle werden nicht überleben, viele scheiden aus. Der Konsolidierungsdruck ist hoch. Wer keine Skalierungseffekte erzeugt, hat keine Überlebenschance.
Sind Kooperationen auf dem Gebiet des softwarebasierten autonomen Fahrens für die deutschen Hersteller das Erfolgsrezept, um die eigene Innovationskraft zu stärken?
Ja, das ist wichtig. Eine Kooperation ist ein Element von vielen. Bei VW hat sich gezeigt, dass es eine zu große Aufgabe ist, alles allein zu machen. Eine Kooperation ergibt nur Sinn, wenn alle Beteiligten davon profitieren.
Vor einem Jahr wurde Herbert Diess an der Spitze von Volkswagen abgesetzt. Macht sein Nachfolger Oliver Blume jetzt alles besser?
Das ist schwer zu sagen. Blumes Aufgabe ist es, den Konzern zu stabilisieren nach den Problemen bei der Softwaretochter Cariad. Er hat ruhig und entschieden durchgegriffen. Blume hat den Konzern neu ausgerichtet. In Bezug auf die Corporate Governance ist aber seine CEO-Doppelrolle im Verbund mit Porsche problematisch. Es wird sich zeigen, wie VW es schafft, in der Tesla-Welt zurechtzukommen.
Ist die Corporate Governance von VW dabei ein Nachteil?
VW ist kein normales Unternehmen. Aufgrund der Goldenen Aktie des Landes Niedersachsen regiert der Staat entscheidend mit, und die normalen Aktionäre sind in der Minderheit. VW ist dadurch faktisch ein kombiniertes Staats- und Gewerkschaftsunternehmen. Das ist eine Konstellation, die für VW nicht gut ist. Bei VW hängt die Organisationsform schief. Tesla, Toyota und BYD kämpfen als marktwirtschaftliche Unternehmen, VW nicht.
Sind in Deutschland neue staatliche Förderimpulse notwendig, um die Neuzulassungen für Elektroautos deutlich zu erhöhen?
Dazu ein klares Ja. Das Elektroauto-Volumen der deutschen Hersteller ist noch sehr überschaubar. Daher sind Kaufprämien für E-Autos weiterhin notwendig, um den Wandel der Technik voranzubringen. Es handelt sich um eine Industrie, die in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Umweltprämien sollten aber zwischen 2025 und 2030 auslaufen. Dann wird die Zahl der E-Autos deutlich zunehmen, denn Batterien werden mit der Feststoffbatterie und anderen Innovationen deutlich in den Kosten sinken. Die Batterie macht bis 40% der Kosten vom Elektroauto aus. Wenn man die Batteriekosten um ein Drittel kappt, wird das Elektroauto 12% preisgünstiger. Und wenn man auch etwa Natrium-Ionen-Batterien und Ähnliches betrachtet, ist ein Drittel Kostensenkung konservativ.
Welche Mobilitätskonzepte in Deutschland halten Sie für notwendig, um die Folgen des Klimawandels abzumildern?
In Deutschland haben wir ein großes Politikversagen. Die Klimaziele werden nie erreicht, wenn die Politik weiterhin so laienhaft unterwegs ist. Man muss das Land stabilisieren in der Infrastruktur. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die Bahn und die Autobahnen zu modernisieren, die Stromleitungen zu bauen, die Energiepreise nicht aus dem Auge zu verlieren und, und, und. Als Beispiel hierfür dient die Schweiz mit ihrer ASTRA-Organisation. Wir brauchen ein System, in dem Politiker bei der langfristigen Verwendung von öffentlichen Geldern keinen Einfluss mehr haben. Die Infrastruktur darf nicht von Wahlzyklen abhängen.
Wann erreicht der deutsche Automarkt wieder das Niveau von vor Ausbruch der Coronakrise?
Der deutsche Automarkt wird getrieben vom Ersatzbedarf. Ich gehe davon aus, dass das noch drei bis vier Jahre dauern wird. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind derzeit ungünstig.
Ferdinand Dudenhöffer hält die chinesischen Autobauer für derart erstarkt, dass diese die diesjährige weltgrößte Branchenmesse IAA Mobility in München dominieren werden. Die deutschen Hersteller könnten von diesen auf den Feldern Elektromobilität und autonomes Fahren lernen, sagt er.
Das Interview führte Stefan Kroneck.
Zuletzt erschienen: Dominanz asiatischer Zellproduzenten bleibt bestehen (31. August)