RECHT UND KAPITALMARKT

Einkaufsfinanzierung unter Druck

Wirtschaftsprüfer erschweren Supply Chain Finance mit neuen IDW-Standards

Einkaufsfinanzierung unter Druck

Von Wolf Stumpf *)Mittlere und große Unternehmen nutzen zunehmend Supply-Chain-Finance-Produkte für die Einkaufsfinanzierung zur Working-Capital-Optimierung. Weit verbreitet sind plattformbasierte Programme von Banken wie auch Reverse-Factoring-Lösungen von Factoringunternehmen. Mit den am 13. Mai vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) verabschiedeten neuen Bilanzierungsstandards wird diese etablierte Form der Einkaufsfinanzierung erheblich erschwert – und teurer.In einem neuen Abschnitt von IDW RS HFA 9 statuiert das IDW neue Regularien zur bilanziellen Abbildung von Reverse-Factoring-Transaktionen nach IFRS. Dieser Abschnitt hat es in sich, da er zur Umqualifizierung der vom Reverse Factoring betroffenen Verbindlichkeiten beim einkaufenden Unternehmen führen kann. Gleiches gilt für Verbindlichkeiten, die Gegenstand einer bankseitig angebotenen Einkaufsfinanzierung sind. Praxis rügt FormalismusAus Sicht der Praxis erscheinen die neuen Standards als Formalismus. Zivilrechtlich ändert sich am Charakter einer Verbindlichkeit aus Lieferung und Leistung durch ihren Verkauf an einen Factor oder eine Bank in der Regel nichts. Denn allein der Wechsel des Forderungsinhabers hat keinen Einfluss auf den zugrundeliegenden Vertrag. Einige Rahmenwerke für Supply-Chain-Finance-Programme der Banken enthalten indes Regelungen, die das IDW mit seinem IDW RS HFA 9 besonders kritisch in den Blick nimmt.Dies gilt insbesondere für die Vereinbarung eines abstrakten Schuldanerkenntnisses, das zu einer Ausweisänderung in der Bilanz führen kann. Zwar begründet das abstrakte Schuldanerkenntnis zivilrechtlich eine neue Verbindlichkeit, die neben die Verbindlichkeit aus Lieferung und Leistung tritt. Aus Sicht des IDW ist der Buchwert der “alten” Verbindlichkeit indes null, so dass diese auszubuchen ist. In der Bilanz ist damit nur die “neue” Verbindlichkeit aus abstraktem Schuldanerkenntnis zu berücksichtigen.Betroffen sind aber nicht nur Supply-Chain-Finance-Programme von Banken. Auch auf Reverse-Factoring-Transaktionen hat der neue Standard erheblichen Einfluss, soweit der Forderungsverkäufer nach IFRS bilanziert. Obwohl die von Factoringunternehmen angebotenen Reverse-Factoring-Produkte regelmäßig kein abstraktes Schuldanerkenntnis enthalten, sondern allenfalls – ähnlich einer kaufmännischen Saldenbestätigung – ein bestätigendes Schuldanerkenntnis oder einen Einwendungsverzicht, ist das IDW auch hier skeptisch. Neben einem Barwerttest, mit dem quantitative Veränderungen des Cash-flow gemessen werden, ist nunmehr auch eine Prüfung qualitativer Veränderungen vorgesehen. Hierbei hat der Abschlussprüfer zu bewerten, ob es mit Blick auf die Reverse-Factoring-Transaktion zu einer Abänderung der ursprünglichen Vertragsbedingungen des Liefervertrages gekommen ist.Die vom IDW hierfür benannten Beispiele sind hierfür jedoch weitgehend ungeeignet, da sie auch außerhalb des Reverse Factoring anzutreffen sind; die Vereinbarung von Zinszahlungen gibt es beispielsweise auch beim Lieferantenkredit. Zudem werden Gesichtspunkte benannt, die dem Factoring auch bei der Absatzfinanzierung immanent sind, wie die Vereinbarung einer Ankaufpflicht mit festen Volumen.Kommt es zu einer “Umqualifizierung” der Verbindlichkeit, kann dies gravierende Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung des einkaufenden Unternehmens haben. Die “Umqualifizierung” von Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten in neue finanzielle Verbindlichkeiten kann dazu führen, dass das einkaufende Unternehmen die in seinen Kreditverträgen festgelegten finanziellen Anforderungen nicht mehr einhält. In diesem Fall drohen rechtliche Konsequenzen bis hin zur Darlehenskündigung. Unternehmen, die Reverse Factoring oder plattformgebundene Programme von Banken zur Einkaufsfinanzierung nutzen und nach IFRS bilanzieren, sollten daher die Auswirkungen des neuen IDW RS HA 9 rechtzeitig prüfen.Der IDW RS HA 9 wird die Nutzung von Supply-Chain-Finance-Produkten nicht vereinfachen. Darüber hinaus ist Skepsis angebracht, ob es dem IDW gelungen ist, eine bessere bilanzielle Abbildung von Reverse-Factoring-Transaktionen zu ermöglichen. Viele der herangezogenen Kriterien stellen schon kein Spezifikum von Supply-Chain-Finance-Produkten dar oder sind nicht “sauber” genug herausgearbeitet.Dennoch wird genügend Raum bleiben, um innerhalb der vom IDW gezogenen Grenzen auch künftig Einkaufsfinanzierungen im Wege des Forderungsankaufs realisieren zu können. Der Strukturierungsaufwand wird allerdings steigen. Ein Ansatzpunkt kann daran liegen, bei Abschluss von Lieferverträgen vorausschauend bereits die Möglichkeit eines späteren Reverse Factoring zu bedenken. Ebenso wichtig wird es für das einkaufende Unternehmen sein, den Abschlussprüfer so früh wie möglich an die beabsichtigte Vertragsstruktur heranzuführen. Den anwaltlichen Beratern kommt dabei die Aufgabe zu, dem Abschlussprüfer die juristischen Feinheiten (etwa den Unterschied zwischen den verschiedenen Schuldanerkenntnistypen) transparent zu machen.—-*) Wolf Stumpf ist Partner im Frankfurter Büro von Noerr.