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Elektrofahrzeuge ächzen auf chinesischer Buckelpiste

Norbert Hellmann, Schanghai---- Börsen-Zeitung, 25.4.2013 Noch kommt man im bevölkerungsreichsten Land der Erde nur auf gut 50 Fahrzeuge je 1000 Einwohner. In Westeuropa ist die Fahrzeugdichte rund zehnmal so hoch. Aber China holt rasch auf, mit...

Elektrofahrzeuge ächzen auf chinesischer Buckelpiste

Norbert Hellmann, Schanghai—-Noch kommt man im bevölkerungsreichsten Land der Erde nur auf gut 50 Fahrzeuge je 1000 Einwohner. In Westeuropa ist die Fahrzeugdichte rund zehnmal so hoch. Aber China holt rasch auf, mit schlimmen Konsequenzen für die Umwelt. Angesichts immer dickeren Smogs und wachsender Abhängigkeit von Öleinfuhren zur Befriedigung des Mobilitätsdrangs auf vier Rädern sind alternative Antriebsformen das Gebot der Stunde im Reich der Mitte. Unrealistische Ziele Der weltgrößte Produktionsstandort für die Automobilindustrie und zuletzt auch größte Absatzmarkt für Neufahrzeuge sollte eigentlich der ideale Tummelplatz für eine rasche Verbreitung der Elektroautos sein. Das sieht die chinesische Regierung genauso und setzt ambitiöse Ziele für rein batteriebetriebene Fahrzeuge, die in der Branche allerdings als wenig realistisch gelten.Die Zielmarke, bis Ende 2012 via 25 großstädtische Pilotprogramme, die Subventionsanreize bieten, auf 50000 Elektroautos zu kommen, ist schon einmal klar verfehlt worden. Derzeit rollen knapp 28000 Vehikel im Strombetrieb durch China, von denen gerade einmal ein Sechstel an private Käufer gingen. Pekings Planungskonzept läuft auf 500000 reine Elektrofahrzeuge bis 2015 und gar 5 Millionen bis 2020 hinaus. Beim Branchen-Researchhaus IHS Automotive veranschlagt man das Potenzial zum Beginn der neuen Dekade hingegen auf weniger als 250000 Stück im Jahr. Das wäre nur etwa 1% des für diesen Zeitpunkt prognostizierten jährlichen Neuzulassungsvolumens.Dass Anspruch und Realität weit auseinanderklaffen, zeigt sich auch auf der gerade laufenden Automesse in Schanghai, der größten Branchenschau auf dem asiatischen Kontinent. Die führenden Autobauer haben sich mächtig ins Zeug gelegt, um bei der Elektromobilität für den chinesischen Markt mit von der Partie zu sein. In Schanghai sieht man mehr als ein Dutzend demnächst massenproduktionsfähiger Modelle zur Schau gestellt. Auch mit Begeisterung über Entwicklungsfortschritte, makellose Sicherheitsstandards und größere Reichweiten wird nicht gegeizt.Alles bestens, wäre da nicht die Sache mit dem fehlenden Marktpotenzial. Fragen nach möglichen Stückzahlen für den riesenhaften chinesischen Automarkt werden in fast allen Häusern kategorisch abgeblockt. Tatsächlich dürfte von einer echten Massenproduktion auf Jahre hinaus nicht die Rede sein. Chinas größter heimischer Autobauer SAIC hat den neuen Roewe E50 als erstes “massenproduziertes” rein elektrobetriebenes Automobil in China zu bieten. Auf Testfahrten im SAIC-Entwicklungszentrum am Stadtrand von Schanghai durften sich Journalisten von der Fahrtüchtigkeit des optisch an einen Smart erinnernden E-Mobils überzeugen.Auf Fragen zu möglichen Stückzahlen im kommenden Jahr murmelt der leitende Ingenieur etwas von vielleicht 1000 Stück. Ein Tropfen auf den heißen Stein also. Bei Nissan, die einen Abklatsch ihres Elektroautos Leaf mit dem Joint-Venture-Partner Dongfeng Motors in China unter der Marke Venucia bauen lässt, darf man von höheren Stückzahlen ausgehen. Das aber auch nur, weil die Lokalregierung der Großstadt Dalian für ihr Pilotprojekt bereits 1000 Fahrzeuge geordert hat.Auch beim bislang führenden chinesischen Hersteller von Elektromobilen, BYD in Shenzhen, sind die hochgesteckten Erwartungen, die den legendären Investor Warren Buffett im Jahr 2008 bei der Gesellschaft mit 10% einstiegen ließen, nie erfüllt worden. Das für ein Massenpublikum konzipierte Elektro-Flaggschiff BYD E6 ist im heimischen Shenzhen mittlerweile ein gängiges Taximodell. Es hat aber keine Privatkäuferresonanz gefunden und soll künftig nur noch als Flottenfahrzeug für Taxiunternehmen und Autovermieter vermarktet werden.Flottenbetreiber können über eigene Ladestationen mit Starkstromzufuhr dem aus Sicht der Privatkäufer entscheidenden Hindernis ausweichen. Diese misstrauen zu Recht einer noch völlig unzureichenden öffentlichen Infrastruktur bei Ladestationen. Da hilft es nicht viel, dass das Gros der Mobilitätsbedürfnisse in Chinas Megastädten, etwa für den täglichen Pendelbetrieb zur Arbeitsstätte, durchaus mit den jetzt erzielbaren Reichweiten der Elektroautos im Einklang steht. Die Mehrzahl der Städter lebt in Hochhausburgen. Die wenigsten haben einen gesicherten Stellplatz, um ein Elektroauto über Nacht “aufzutanken”. Das macht den Markt enger, als man denkt.Mercedes und BMW glauben mit in China neu entwickelten Elektroautos unter den Marken Denza beziehungsweise Zinoro künftig bei einer aufstrebenden städtischen Mittelschicht, die Umweltbewusstsein mit Komfort- und Qualitätsansprüchen verbindet, landen zu können. Die muss allerdings noch erobert werden. Nach Massengeschäft riecht das nicht, trotz der ausgelobten Subventionen von regierungsseitig 60000 Yuan (7500 Euro) je Fahrzeug, zu denen Zuschüsse in vergleichbarer Höhe von Stadt- oder Provinzverwaltungen hinzukommen können. Plädoyer für Hybridautos Dass sich die chinesische Regierung auf die Förderung von reinen Elektroautos mit geringem Marktpotenzial versteift, halten viele Branchenexperten für einen Fehler und fordern ein Umdenken. Auf der Messe in Schanghai hörte man von Volkswagen und Toyota Aufrufe, stärker auf eine Förderung von Hybridfahrzeugen zu setzen. Ihre Bezuschussung würde einen Beitrag leisten, mit etwas umweltfreundlicheren Fahrzeugen die wohl noch lange Zeit zu überbrücken, bis sich der chinesische Kunde auf das Abenteuer Elektrofahrzeug einlassen mag.